Mit Beethovens «Ode an die Freude» eröffnete eine Blasinstrument-Delegation des Symphonieorchesters Luzern am Mittwochabend das Europa Forum Luzern Annual Meeting 2021. Im Anschluss daran hiess Dominik Isler, Co-Direktor des Europa Forum Luzern, die rund 800 Gäste herzlich willkommen. Er betonte in seiner Begrüssungsrede, dass der Erfolg unserer Nation darin bestehe, gemeinsam Probleme anzupacken. Gerade für uns Schweizer bedeute dies, wichtige Entscheide selbst zu treffen und nicht anderen zu überlassen.
Christine Maier übernahm das Wort und leitete über zu BR Ignazio Cassis. Der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten hielt fest, dass die Spannungen auf der Welt zunehmen und die Schweiz dabei mittendrin sei. «Um Europa zu stärken, ist es unabdingbar, dass wir in wichtigen Fragen die Kräfte bündeln.» Dazu soll auch die Schweiz einen Beitrag leisten.
«Der richtige Entscheid»
Der Bundesrat habe entschieden, die Verhandlungen mit der EU abzubrechen: «Ich bin überzeugt, dass dies der richtige Entscheid war», kommentierte Cassis.
Die neuen Verhandlungen würden laufen. «Mit demselben Ziel, doch auf einem anderen Weg. Wir sind willig, vorwärtszukommen.» Wohin uns diese Reise führen wird, könne er noch nicht sagen. «Aber wir haben es in der Hand.» Dazu müssen auch innenpolitische Fragen geklärt werden: Welche Kompromisse sind wir bereit einzugehen? Sind wir bereit, die Konsequenzen unserer Entscheide zu tragen? Cassis: «Das alles sind schwierige Fragen. Nehmen wir uns die Zeit, diese zu diskutieren.»
Guy Verhofstadt: Zu viele kleine Abkommen
Einen Blick von aussen auf die Beziehung zwischen der Schweiz und Europa gewährte Guy Verhofstadt: Eine funktionierende Beziehung sei essentiell für beide, so das Mitglied des Europäischen Parlaments. Es gebe zu viele Abkommen zwischen der Schweiz und der EU. «Insgesamt gibt es 20 bilaterale Abkommen. Daneben mehr als 100 kleinere Abkommen», so der Ex-Premierminister Belgiens.
Seine Botschaft an den Bundesrat lautet denn auch: «Wir müssen als Ganzes vorwärts machen und nicht Stück für Stück.» Die EU wolle ein Gesamtabkommen, nicht viele kleine bilaterale Verträge. Der flämische Liberale hofft, dass alle akzeptieren können, dass man schnell vorwärts machen – und dass man nicht nochmals sieben Jahre warten will, bis es eine Einigung gibt. Und zwar weil es viele Aktivitäten geben wird, die mit den bisherigen positiven Abkommen nicht gedeckt seien.
«Gerade im Umfeld von Grossmächten wie China, die USA und Russland müssen wir einen stärkere politische Vereinigung bilden», hält der Politiker fest. Mit den Bedingungen, die momentan vorherrschen, werde die EU das 21. Jahrhundert nicht überleben. «Es braucht den Entscheid zum Way forward.»
Zukunftsfragen = europäische Fragen
Zum Thema «Wie weiter in der Europapolitik?» diskutierte «Handelszeitung»-Chefredaktor Stefan Barmettler im Anschluss mit seinen Gästen Rebekka Müller, Spitzenpolitikerin bei der deutschen Jungpartei Volt, Sarah Bünter, VR-Mitglied von «Die junge Mitte» und Nikolaus Scherak, österreichischer Politiker und Vorstandsmitglied von NEOS. Sie alle repräsentierten die nächste Generation.
«Grosse Zukunftsfragen lassen sich nur europäisch lösen», hielt Nikolaus Scherak gleich zu Beginn fest. Dazu brauche es mutige Visionen.
«Die Krise hat Defizite in der EU sichtbar gemacht», fuhr Sarah Bünter fort. Man habe sich im Detail verloren. «Ich hoffe, dass man daraus lernt und sich gemeinsam auf die grossen Probleme konzentriert.»
Scherak wiederum betonte, wie frustrierend es sei, dass dieser «Eiertanz» (Moderator Barmettler hatte den Ablauf so beschrieben) ums Rahmenabkommen so lange dauere. «Schade, dass man nicht schneller zu einer Einigung kommt. Ich persönlich würde mich freuen, wenn die Schweiz Mitglied der EU wird.»
Rebekka Müller war mit Scherak einig: «Ich fänds schön, wenn wir uns gemeinsam auf was einigen könnten.»
Quelle: Brightcove
Rosinenpicker sind die Briten
Auf Barmettlers Frage, ob die Schweiz von aussen als Rosinenpicker wahrgenommen werde, antwortete Müller: «Die Briten sind Rosinenpicker. Bei der Schweiz ist das anders. Die sind neutral.» Die Akzeptanz sei deshalb bei der Schweiz grösser als bei Grossbritannien, das sich wirklich nur die Rosinen rauspicke.
«Die Schweiz braucht eine Vision», betonte Sarah Bünter. «Und dann müssen wir gegenüber Europa aufzeigen, welchen Weg wir gehen wollen.» Sie verglich die Situation mit ihr selbst als Teenager und ihre Bemühungen, ihre Mutter von ihren Ansichten zu überzeugen. «Wir müssen kreativ sein und mit unseren Ideen vielleicht auch überraschen, um Aufmerksamkeit für unsere Anliegen zu erhalten.
Grössere Probleme als Schweiz-EU
Zum Schluss des Opening-Abends besprachen Doris Leuthard, Ex-Bundesrätin sowie Co-Präsidentin des EFL Steering Committee, sowie Sigmar Gabriel, ehemaliger Vizekanzler Deutschlands, in welcher Beziehung die Schweiz und Europa stehen. Dabei betonte Leuthard, welchen Wert die Schweiz für die EU hat: «Wir haben viel zu bieten, unter anderem das IKRK, aber auch Top-Universitäten.»
Sigmar Gabriel, der per Video zugeschaltet war, rief dazu auf, Verständnis zu entwickeln, was in den Nationen los sei. Ultimaten würden selten weiterhelfen. «Die EU muss Geduld haben. Die Schweiz bringt grossen Mehrwert für die Union.» Es würde nicht guttun, den nächsten Partner zu verlieren. «Die Schweiz ist ein unverzichtbarer Partner für die EU.»
Der SPD-Politiker und ehemalige Aussenminister relativierte anschliessend auch gleich die Situation, wofür er einen Zwischenapplaus einheimste: «Die Welt hat grössere Probleme als die Beziehung der EU zur Schweiz. Wir müssen aufpassen, dass wir uns mit unseren vergleichsweise kleinen Bürden nicht überfordern.»
Dieses Jahr lautet das Jahresthema «Die Schweiz und Europa im Banne Chinas». Damit trifft das Forum den Nerv der Zeit, denn der Austausch mit Führungspersönlichkeiten in der Schweiz und Europa macht vor allem eines klar: Die Unsicherheit im Zusammenhang mit dem aufstrebenden China ist gross, der Bedarf nach Austausch, Einordnung und Rezepten ebenso. Diesen Anliegen widmen wir uns im laufenden Jahr und entwickeln im Zusammenhang mit dem Jahresthema Strategien, die unseren Wohlstand verteidigen ohne unsere Werte zu verraten. Mehr Infos hier.