Das Europa Forum wählt gemeinsam mit Ringier Axel Springer Schweiz jährlich 25 Impulsgeberinnen und Impulsgeber aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Generation Zukunft. Es werden damit Menschen gewürdigt, die mit ihren Leistungen, Visionen und Ideen im Zusammenhang mit dem Jahresthema des Europa Forums wertvolle Spuren hinterlassen, einen relevanten Beitrag leisten und letztlich auf ihre Art prägend sind. Nachfolgend fünf Porträts aus dem Bereich Wirtschaft.
Weil ihr Jeep manchmal mitten in den Bergen von Bolivien stecken blieb, lernte Petra Ehmann früh die Bedeutung von Maschinenverständnis kennen. Denn die heute 36-Jährige wuchs im südamerikanischen Binnenstaat auf und sah ihrem Vater bereits als Kind zu, wie er irgendwo in der Atacamawüste den Motor reparierte. Diese Erfahrung prägte Ehmann nachhaltig, sodass sie Maschinenbau an der ETH Zürich und später Management Science and Engineering in Stanford studierte.
Ehmanns internationaler Hintergrund, gepaart mit der Spitzenausbildung, blieb nicht lange unentdeckt. Google umwarb die Maschinenbauingenieurin früh und konnte sie für internationale Rollen gewinnen. Ihr letzter Bereich: Augmented Reality, kurz AR. Bei dieser Technologie überlappen sich die physische und die digitale Welt, wie das kürzlich gelaunchte Projekt Indoor Live View unter anderem am Flughafen Zürich bestätigt: User lancieren in Google Maps die Navigation und tippen auf Live View. Mit dem Anheben des Smartphones wechselt Google automatisch in den Kameramodus und auf dem Bildschirm erscheint ein Pfeil, der die Zielrichtung anzeigt. «Mir macht es grosse Freude, die Zukunft mitzugestalten und neue Technologien zu pilotieren, zu implementieren und zu skalieren», so Ehmann.
Ab September wird sie als Chief Innovation Officer der Ringier-Gruppe auf internationalem Parkett antreten. Im Haus ist Ehmann keine Unbekannte: Sie setzte sich bereits für mehr Sichtbarkeit von Frauen in den Medien ein und ist Teil der Ringier-Initiative Equalvoice. Nebst der neuen Arbeit im Innovationsbereich engagiert sich die Macherin vor allem auch für mehr Frauen in der Technologiebranche. Als Vorstandsmitglied von We Shape Tech macht sie die Tech-Welt greifbar und motiviert junge Frauen, die Technologiewelt mitzugestalten. Bei Ehmanns Elan und Begeisterungsfähigkeit dürfte es nicht lange dauern, bis sich die männerdominierte Tech-Welt zu verändern beginnt. Tina Fischer
Ihr Wunsch für Europa?
Dass Europa geschlossen als eine Einheit auftritt und sich alle Staaten auch in schwierigen Situationen zu einer gemeinsamen Entscheidung durchringen. Dass Europa Entscheidungen basierend auf gemeinsamen Werten, Überzeugung und der Wissenschaft fällt.
Ihre grösste Sorge?
Eine Erosion des Vertrauens in die Politik. Ohne Vertrauen wird eine gemeinsame Zukunft schwierig.
Worauf sind Sie stolz?
Auf die kulturelle Vielfalt Europas. Europa vereint so viele Sprachen und Kulturen wie kaum ein anderer Kontinent. Vielfalt ist Abwechslung, und Abwechslung bereichert.
Ihre erste Amtshandlung, wenn Sie EU-Vorsitzende wären?
Die Stimme des Volkes noch stärker in den Mittelpunkt rücken.
Was wollen Sie in zehn Jahren erreicht haben?
Die Welt etwas besser gemacht zu haben, als ich sie vorgefunden habe.
Bescheidenheit ist im Hause Arnault keine Zier. Nicht dass die Dynastie aus Frankreich, welche den Riesen LVMH kontrolliert, einen grossspurigen Auftritt pflegte, im Gegenteil. Wer aber den klangvollsten Namen in der Luxusbranche trägt, muss grosse Ambitionen haben. Da macht auch Frédéric Arnault, der 27-jährige Sohn von LVMH-Mastermind Bernard Arnault, keine Ausnahme. Seit Juli 2020 Chef der Uhrenmarke TAG Heuer und damit jüngster Chef einer Schweizer Uhrenmarke, hat er sich nach dem Pandemie-Einbruch vorgenommen, richtig durchzustarten. Und in den exklusivsten Club der Uhrenindustrie vorzustossen, einen Club mit nur sieben Mitgliedern. Die Rede ist vom Club der Milliardäre, in dem jene Uhrenmarken versammelt sind, die mehr als 1 Milliarden Franken Umsatz machen. Unter den Top Five macht es ein Arnault einfach nicht.
Es ist keine unlösbare Aufgabe für Arnault, aber eben eine sehr ambitiöse: 2019 lag TAG Heuer mit 857 Millionen Franken Umsatz in Sichtweite der magischen Marke, fiel aber 2020 sehr deutlich auf 589 Millionen zurück. Und während die Mehrheit der grossen Uhrenmarken bereits wieder das Niveau von vor der Pandemie erreicht haben, ist TAG Heuer mit 682 Millionen Franken noch nicht so weit.
Arnault hat also noch viel vor, vor allem auch mit neuen, jungen Kundinnen und Kunden, deren Wünsche er kennt und deren Sprache er spricht: Er will mit NFT punkten, hat soeben die bislang teuerste TAG Heuer lanciert (Preis 350 000 Franken), mit einem Zifferblatt aus Diamanten, selbstverständlich aus dem Labor. Er glaubt als einer der wenigen Chefs einer Schweizer Uhrenmarke an Smartwatches. Und demnächst lanciert er – wie Omega vor ihm – eine Sonnenbrillenkollektion. Marcel Speiser
Erbsen und Pouletfleisch: Für den Schweizer Volksmund und den Schweizer Volksmagen waren das lange zwei komplett verschiedene Dinge. Bis Pascal Bieri und seine eingefleischten Co-Gründer mit ihrem Startup Planted loslegten. Das Spin-off der ETH Zürich hat es geschafft, dass diese zwei Dinge im Volkshirn nun zusammengehören: Pouletfleisch aus Erbsenprotein.
Erst 2019 startete Bieri mit dem Unternehmen, das den Konsumenten und Konsumentinnen etwas vorlegt, das bezüglich Biss, Geschmack und Textur wie Pouletfleisch wirkt, dabei aber das Tier aus der Produktionskette nimmt. Planted baut seine Produkte auf Erbsenprotein auf. Wer nun glaubt, dass Bieri mit einer Mission unterwegs sein könnte, die rigiden Fleischverzicht anmahnt, alles andere brandmarkt und dabei nur die vegane Kundschaft im Auge hat, liegt falsch. Kolossal falsch. «Hauptsächlich sprechen wir Allesesserinnen und Allesesser an», sagt Bieri, der sich selber «irgendwo zwischen Veganer, Vegetarier und Flexitarier» ansiedelt und zugibt, dass es im Rahmen von Vergleichstests in der Produktentwicklung auch mal vorkommen kann, «dass ein Stück totes Tier in meinem Bauch landet».
Mit dieser undogmatischen Haltung kommt der Mittdreissiger Bieri an. So gut, dass es dem Jungunternehmen gelungen ist, auch geldgebertechnisch richtig viel Fleisch an den Knochen zu bringen: Die finanzstarken Unternehmer Stephan Schmidheiny und Philippe Gaydoul glauben ebenso an die Kraft des pflanzlichen Chickens wie Bieri selber. Auf dem Areal der einstigen Maggi-Fabrik in Kemptthal ZH tüftelt Bieri an weiteren Verbesserungen und schmiedet Pläne für den europäischen Feldzug, der eben erst begonnen hat. Wenn einer wie Bieri den Schweizern schon erklären kann, welch disruptive Kraft in der Erbse schlummert, dann sollte das auch anderswo gelingen. Zumal es der clevere Jungunternehmer an ungeahnter Stelle bereits hingebracht hat: In der Wiener Schnitzel-Hochburg Figlmüller gelang es Bieri, sein veganes Schnitzel in der Speisekarte einzupflanzen. Andreas Güntert
Mette Lykke könnte sich auf die Schulter klopfen und sich zu ihrem Erfolg gratulieren. Doch das ist so gar nicht in ihrem Sinne: «Nicht ich stehe für den Erfolg des Unternehmens, sondern wir alle haben gemeinsam dazu beigetragen.» Damit meint sie das gesamte Team, das die Plattform Too Good To Go (TGTG) betreibt, der Mette Lykke seit 2017 als CEO vorsteht.
Essen retten statt wegwerfen – so das Leitmotto von TGTG. Auf der einen Seite stehen Lebensmittelhändler, Bäckereien, Restaurants oder Kantinen. Auf der anderen Seite sind Privatpersonen, die Resten günstig erwerben und sie so vor dem Abfall retten. Was 2016 begann, weist mittlerweile eine beachtliche Bilanz auf: Täglich rettet TGTG 250 000 Mahlzeiten vor dem Abfall, arbeitet weltweit mit 100 000 Partnern zusammen, zählt 55 Millionen App-Nutzende und ist in 17 Märkten aktiv.
Global stösst Lykke mit TGTG immer wieder Gedankenprozesse an und setzt sich gegen Lebensmittelverschwendung ein. Dabei orientiert sie sich am Sustainable Development Goal (SDG) 12.3 der Vereinten Nationen, das vorsieht, bis 2030 die Verschwendung zu halbieren. Es ist ein hoch angesetztes Ziel, doch Mette Lykke zeigt sich überzeugt: «Ich bin stolz darauf, dass das Geschäftsmodell von Too Good To Go mit jeder eingesparten Mahlzeit einen echten, nachweisbaren Beitrag dazu leistet.» Ein Ausruhen kommt jedoch für Mette Lykke und ihr Team nicht infrage. «Ein entscheidender Aspekt des Lebensmittelsystems ist die Datumsetikettierung», so die Innovatorin. Um die Problematik anzugehen, hat das Team ein europaweites Etikettierprojekt gestartet, das mittlerweile in elf Ländern läuft. In der Schweiz unterstützen Marken wie Hero, Emmi, Knorr oder Familia die Initiative, indem sie den Schriftzug «Oft länger gut» auf ihren Produktverpackungen anbringen. Für den Hintergrund der Initiative findet Mette Lykke klare Worte: «Die Initiative soll das Bewusstsein für die Bedeutung der Angaben schärfen und die Konsumentinnen und Konsumenten dazu ermutigen, ihren Verstand zu benutzen, wenn ein Produkt sein Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hat, anstatt es wegzuwerfen.» Tina Fischer
Mit 8 Jahren tauschte Gavin Wood seine Legosteine gegen einen gebrauchten Computer. Dem Briten wurde schnell klar, dass er mit diesem Gerät noch viel grössere und komplexere Dinge bauen konnte. Als 13-Jähriger brachte er sein erstes kommerzielles Videospiel heraus. Heute ist der 42-jährige Dr. Gavin Wood eine der schillerndsten Figuren im Kryptouniversum. Haben den studierten Computerwissenschafter schon die ersten Berichte über ein damals noch weitgehend unbekanntes Projekt namens Bitcoin fasziniert, ist es wohl die Begegnung mit Vitalik Buterin, die sein Leben Ende 2013 am stärksten verändert hat. Gemeinsam mit dem russischstämmigen Kanadier hat er Ethereum in Zug gegründet, die heute erfolgreichste Smart-Contract-Plattform und nach Bitcoin zweitgrösste Blockchain der Welt. Wood hat die Programmierkenntnisse mitgebracht, über die Buterin damals noch nicht verfügte, so das Ethereum-Protokoll mitentwickelt und war der erste CTO des Ethereum-Projekts. Anfang 2016 stieg Wood bei Ethereum aus und gründete Parity Technologies. Das von ihm geführte Unternehmen baut Blockchain-Infrastruktur für ein dezentralisiertes Internet.
Wood ist viel mehr als ein Programmierer, er ist einer der Vordenker der Blockchain-Industrie. So stammt der Begriff Web3 von ihm. Im Gegensatz zum Web2 ist das Web3 dezentral organisiert und unabhängiger von den dominanten Plattformen wie Facebook oder Google, die heute weite Teile des Internets kontrollieren. Selbst die Rechte an den Daten gehen wieder an ihre Hersteller zurück, wie es in den Anfängen des Internets der Fall war. Web3 ist somit nicht weniger als eine Revolution des Internets. Für Wood sind dezentrale Technologien der einzige Weg, liberale Demokratien am Leben zu erhalten. Im Juni 2017 gründete Wood die Web3 Foundation, die das Thema vorantreibt, und ist auch ihr Präsident. Das Flagship-Protokoll der Web3 Foundation nennt sich Polkadot. Dabei handelt es sich um ein Protokoll, über das verschiedene Blockchains miteinander kommunizieren. Die dazugehörige Kryptowährung Dot gehört zu den zehn wertvollsten der Welt. Erich Gerbl
«Let Europe arise. Die nächste Generation übernimmt in herausfordernden Zeiten. Welches Europa wollen die Millennials jetzt?» lautet das diesjährige Hauptthema der Gesprächs- und Ideenplattform Europa Forum. Als Höhepunkt der Jahresaktivitäten findet am 23. und 24. November 2022 das Annual Meeting im KKL Luzern statt.
Zu den namhaften Speakerinnen und Speakern zählen Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Deutschlands früherer Aussenminister Sigmar Gabriel, Bundespräsident a.D. Christian Wulff, Historiker und Publizist Timothy Garton Ash, Schriftstellerin Nora Bossong, Chefin Sicherheitspolitik des VBS Pälvi Pulli, Alena Buyx und Franca Lehfeldt. Sichern Sie sich jetzt Ihr Ticket.