Wo auch immer ein Krieg ausbricht, führt er in weiten Kreisen der Schweiz zu einem pawlowschen Reflex: Der Rückbesinnung auf die Armee, die uns vor einem Angriff bewahrt. Dabei wären auch andere Reaktionen möglich, nämlich zum Beispiel die Frage, wie es zur Eskalation des Konfliktes kommen konnte und ob genug unternommen wurde, um dies zu verhindern.
Aus Konflikten kann man lernen, um die internationale Friedensförderung zu verbessern. Ökonomisch gesehen, müssten Investitionen in den Frieden als viel rentabler gelten als Ausgaben im Bereich der militärischen Sicherheit. Dass dies noch nicht überall der Fall ist, ist durch überholte Wahrnehmungen der internationalen Politik bedingt.
In wirtschaftsnahen politischen Kreisen dominieren die Grundannahmen der realistischen Schule der internationalen Beziehungen aus der Zeit des Kalten Kriegs. Diesen liegt ein Weltbild zugrunde, demzufolge Staaten sich im besten Fall nicht angreifen und sich gegenseitig im Zaume halten, auf keinen Fall jedoch weitergehende Verbindungen ohne hinterlistige Machtüberlegungen eingehen.
Dies wird als Konstante der zwischenstaatlichen Beziehungen betrachtet, so sicher wie die Gravitationskraft, die dafür sorgt, dass der Apfel auf die Erde und nicht zum Mond fliegt. Verweise auf die Friedensförderung werden mit einem gutmütigen Lächeln quittiert, das die Ethik zwar wertschätzt, aber zugleich die Naivität bedauert – wie gegenüber jemandem, der oder die eben nicht ausschliesst, dass der Apfel zum Mond fliegen könnte.
Anders als die Gravitationskraft ist die Natur des zwischenstaatlichen Systems aber nicht durch physikalische Kräfte, sondern durch die Organisation der Beziehungen zwischen Menschen und Staaten bestimmt. Und diese sind, wie alles Soziale, veränderbar. Die Absurdität der gegenseitigen Abschreckungslogik wurde mit der reziproken totalen Zerstörungskraft zur Zeit des Kalten Kriegs allen vor Augen geführt.
Die UNO ist alles andere als perfekt, aber hinsichtlich der Eingrenzung kriegerischer Konflikte das bisher Bestmögliche. Wenn die Schweiz, wie geplant, 2023/24 Mitglied im Sicherheitsrat wird, kann sie ihre Interessen auf höchster Ebene mit mehr Nachdruck einbringen, etwa zu den Entwicklungen in Ländern wie Afghanistan, Syrien oder Libyen, aber hoffentlich auch zu Staaten, in denen es bisher trotz Konflikten noch nicht zu diesem Ausmass an organisierter Gewalt gekommen ist.
Den Ursachen solcher Konflikte auf den Grund zu gehen und möglichst präventiv einzugreifen, ist ein Beitrag, den die Schweiz zur Förderung des Friedens in der Welt, aber auch zur Stärkung ihrer eigenen Sicherheit leisten sollte. Dies ist auch ökonomisch sinnvoll, denn jeder Krieg vernichtet Unmengen an realem, finanziellem und sozialem Kapital. Die durch frühzeitige Friedensförderung realisierten Einsparungen gegenüber Kriegskosten und militärischen Reaktionen leuchten intuitiv ein, wurden aber auch in Studien belegt. Vor diesem Hintergrund sollte die Schweiz auch das Ausmass ihrer eigenen Militärausgaben überdenken. Rüstungsausgaben sind staatliche Aufgaben ohne Multiplikatorwirkung. Sie produzieren kaum wirtschaftlichen Mehrwert, und ihr tatsächlicher Beitrag an die Sicherheit der Schweiz ist umstritten. Ihr Nutzen ist vor allem ideeller Natur, indem sie das subjektive Sicherheitsgefühl von Teilen der Bevölkerung stärken.
Demgegenüber helfen Ausgaben im Bereich der Friedensförderung, wirkungsorientiert die Interessen der Schweiz wahrzunehmen. Neben klassischen Instrumenten der Vermittlung und der Guten Dienste könnte sich die Schweiz deutlich stärker als bisher für Innovationen und die Entwicklung neuer Handlungsfelder der Friedensförderung engagieren, beispielsweise in digitalen und urbanen Räumen oder bei den Schnittstellen der Friedensförderung zu anderen gesellschaftlich und politisch relevanten Feldern wie der Migration, der Gesundheit oder der Kunst. Mit dem Geneva Science and Diplomacy Anticipator und dem Basel Peace Forum wurden dafür in der Schweiz spannende Initiativen lanciert.
In Zukunft könnte die Schweiz mit dem richtigen Händchen zu einem Silicon Valley der zivilen Friedensförderung werden. Kompensationsgeschäfte für Rüstungsimporte würden bald wie lästige Schatten der Vergangenheit aussehen. Mit grösseren Investitionen für den Frieden würde die Schweiz nicht nur sicherheitspolitisch, sondern vor allem auch wirtschaftlich gewinnen.
Laurent Goetschel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Basel; Direktor, Schweizerische Friedensstiftung (swisspeace), Basel.