Let Europe arise! Welches Europa wollen die  Millennials jetzt?» lautete das Jahresthema 2022 des Europa Forums. Die Impuls- und Dialogplattform rückte damit die nächste Generation in den Fokus, die in herausfordernden Zeiten auf dem Alten Kontinent die Führungsrolle übernimmt. Das Europa Forum widmete sich der Frage, wie es mit Europa – nicht nur mit der EU – und seinem Verständnis von Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und den Menschenrechten weitergeht. Eine besondere Rolle kommt dabei den Millennials zu: Sie sind global gesehen die grösste Generation aller Zeiten, weltgewandt, vernetzt, realistisch und pragmatisch.

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Aus den zahlreichen Anlässen, Essays und Workshops, die in diesem spannenden Jahr stattfanden, hat das EF-Redaktionsteam nun zehn konkrete Thesen formuliert und liefert damit strategische Denkanstösse und Handlungsempfehlungen, um Europa und damit auch die Schweiz zu stärken:

1. «Europa soll auch ausserhalb der EU gestärkt werden. Ein Drei-Kreise-Modell ist sinnvoller als die ‹Europäische Politische Gemeinschaft›.»

Die geopolitische Erschütterung durch den Ukraine-Krieg macht ein Näherrücken der europäischen Staaten dringend und zwingend. Umsetzbar wäre dies mit einem Europa der drei Geschwindigkeiten beziehungsweise ein Europa der drei Kreise: 1. Kreis: Euro und Personenfreizügigkeit. 2. Kreis: Binnenmarkt ohne Euro und ohne Personenfreizügigkeit. 3. Kreis: Assoziierte Staaten mit privilegiertem Zugang zum Binnenmarkt. Auch für die Schweiz würden sich neue Möglichkeiten eröffnen.

2. «Subsidiarität macht resilient. Die EU soll zu einer strategischen Interessengemeinschaft werden.»

Die EU muss das Prinzip der Subsidiarität wieder ernster nehmen, denn dezentrale Strukturen machen resilient und fördern den Dialog. Im Gegenzug soll sich die EU mit ihren eigenen Stärken auf die Kernthemen des 21. Jahrhunderts konzentrieren: Sicherheit, Energie und Klimaschutz.

3. «Die EU soll zwischen politischem Asyl und Wirtschaftsmigration unterscheiden. Es braucht eine europäische Greencard.»

Die demografische Lücke in Europa ist so gross, dass es eine aktive Migrationspolitik braucht. Diese kann jedoch innenpolitisch nur legitimiert werden, wenn sie kontrolliert verläuft, eine binneneuropäische Fairness berücksichtigt und bedürfnisorientiert ausgerichtet ist. 

4. «Die Bekämpfung des Klimawandels ist die grösste wirtschaftliche Chance Europas im 21. Jahrhundert. Sie bedingt jedoch auch gesellschaftliche Innovationen.»

Die Millennials sehen im Klimawandel die grösste Herausforderung für die Menschheit und verstehen ihn als Gemeinschaftsaufgabe. Sie verlangen, dass die EU mehr für den Klimaschutz tut und als Vorreiterin und «Civilian Green Superpower» entschlossener vorangeht statt sich in klimapolitischen Grundsatzdebatten zu verstricken.

5. «Europa ist der Kontinent der Aufklärung und damit auch der digitalen Menschenrechte. Je virtueller die Welt wird, desto bedeutender wird diese Position.»

Die EU hat echte Chancen, mit einem möglichst technologieneutralen Ansatz global zu einer dritten Kraft der Regulierung zu werden, die auch unsere Werte schützt bzw. in der Onlinewelt verteidigt.

6. «Es ist nicht mehr verboten, zu verbieten. Die Millennials haben keine Geduld mehr und stehen staatlichen Interventionen zugunsten von Klima und Umwelt positiv gegenüber.»

Die Klimakrise erfordert Regeln des Zusammenlebens, auch in ökologischer Hinsicht. Viele junge Europäer:innen fordern deshalb durchaus einschneidende Massnahmen und kluge Regulation, was unsere Verhaltensmuster als auch die Verantwortung der Wirtschaft angeht: weniger Autos, weniger Fleisch, weniger Flüge und eine zirkuläre Wirtschaft. Die Millennials sind allergisch gegen alle Formen des Greenwashings und haben ein hervorragendes Sensorium dafür, was authentisch ist und was nicht.

7. «Europa muss Wege finden, das Wohlstandsversprechen auch für die Jungen wahr werden zu lassen. Sonst gerät die Demokratie weiter unter Druck.»

Laut einer Studie der Universität Cambridge sind die Millennials die erste Generation, die mehrheitlich unzufrieden ist mit der Demokratie, weil sie sich wirtschaftlich zunehmend abgehängt fühlt. Trotz aller Flexibilität, Selbstverantwortung und Unternehmergeist fordern sie einen europäischen Minimallohn, der nach Kaufkraft geografisch differenziert ist. Besonderes Augenmerk muss der Chancengleichheit, der Prekarisierungsgefahr im Arbeitsmarkt und der Wohnsituation gelten.

8. «Sicherheits- und insbesondere Militärthemen werden von den Jungen trotz des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine noch immer zu wenig ernst genommen. Die Millennials müssen realpolitischer denken und handeln.»

Millennials hielten Frieden und Sicherheit in Europa lange für selbstverständlich. Jetzt, wo Sicherheits-, Energie- und Umweltpolitik verschmelzen, wird die Trennlinie zwischen zivilem und militärischem Sicherheitsbegriff aufgeweicht – das macht es den Jungen einfacher, ihre reflexhafte Abwehr militärischer Überlegungen zu überwinden, und bietet Möglichkeiten für umfassende Sicherheitskonzepte, die auch in der jungen Generation Anklang finden.

9. «Europa braucht die ‹Antizipative› – den Zukunftsrat aus Bürger:innen, der die Nachhaltigkeit stärkt.»

Das Demokratiedefizit soll zeitnah durch Bürger:innenräte abgebaut werden, die die europäischen Institutionen ergänzen. Das würde das gesamteuropäische Bewusstsein sowie die Generationengerechtigkeit stärken, die demokratieskeptischen Jungen intensiver in die Prozesse einbinden, und originelle Lösungsvorschläge, die heute aus ideologischen oder parteitaktischen Gründen ignoriert werden, hätten eine Chance, realisiert zu werden.

10. «Europa soll stärker zusammenwachsen. Statt der heutigen ‹Schweigespirale› braucht es künftig eine ‹Engagement-Spirale›.»

Gräben durchziehen die EU – zwischen Nord und Süd, zwischen West und Ost. Ein europäischer Zivildienst würde mehr zum europäischen Bewusstsein beitragen, als die Personenfreizügigkeit es tut, denn er gäbe weiteren Bevölkerungskreisen die Chance, die Verhältnisse in einem anderen Land kennenzulernen. Die EU muss zudem besser kommunizieren, was sie ist, warum es sie braucht, was sie will – und was sie nicht leisten kann.

(ef; alj)