Frau Amacker, wo stehen wir derzeit mit dem fairen Handel?
Das Thema fairer Handel ist im breiten Publikum angekommen. Fairtrade Max Havelaar erschliesst laufend neue Zielgruppen, die sich dank unseren zahlreichen Geschäftspartner für über 3300 Produkte mit Fairtrade-Label entscheiden können. Bei den wichtigen Produkten Kaffee und Kakao sind wir noch nicht dort, wo wir sein wollen: Unsere Marktanteile liegen erst bei rund 15 Prozent. Was uns zunehmend beschäftigt, sind regulatorische Themen. Weltweit findet ein Paradigmenwechsel statt von der freiwilligen Zertifizierung hin zu regulatorischen Verpflichtungen. Denken Sie an das Lieferkettengesetz in Deutschland, das 2023 in Kraft tritt. Das betrifft viele Firmen in der Schweiz ganz direkt, weil Deutschland ein wichtiger Handelspartner ist.
Stichwort Kaffee und Kakao: Einige Anbaugebiete werden durch den Klimawandel unbrauchbar. Wie handhaben Sie das Thema?
Es gibt tatsächlich Gebiete, in denen ein existenzsicherndes Einkommen gefährdet ist. Insbesondere dort, wo aktuelle Krisen wie Covid-19, Inflation und die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine mit Klimaerwärmung, Monokulturen und altem Pflanzenbestand zusammenkommen. Das ist zum Beispiel im westafrikanischen Ghana bei Kakao der Fall. Hier arbeiten wir zusammen mit Partnern wie Coop, Seco und WWF seit 2018 im Projekt Sankofa daran, mit der lokalen Kooperative Guapa Coco in den Anbaugebieten für 100 000 Kleinbauern und Kleinbäuerinnen Wiederaufforstung und Mischanbau von Nutzpflanzen zu praktizieren.
Welche Ergebnisse konnten Sie dort bisher erzielen?
Im Projekt Sankofa ist feststellbar, dass mit Aufforstungen das Mikroklima wirksam beeinflusst werden kann. Zudem lassen sich auch andere Sorten von Nutzpflanzen einsetzen, welche die Temperatur- und Klimaveränderungen besser ertragen. Solche Anpassungen sind sehr wichtig, damit die Menschen in diesen Anbaugebieten eine attraktive Lebensgrundlage mit Perspektiven haben. Gerade in Ghana zeigt sich, dass viele junge Menschen – auch dank höherer Bildung – nicht mehr die Arbeit ihrer Eltern machen möchten und andere Berufe wählen. Bei dieser Entwicklung sind auch die Lieferanten gefordert.
Was können Sie den Menschen in den Anbauregionen konkret bieten?
Es sind drei Elemente: Zunächst einmal garantieren wir Mindestpreise. Diese gleichen Schwächen am Markt aus, wenn die Preise stark fallen. Zudem bezahlen wir den Produzenten Fairtrade-Prämien. In den letzten fünf Jahren waren dies über die weltweite Fairtrade-Bewegung gesehen mehr als 800 Millionen Franken. Die Fairtrade-Produzenten sind in Kooperativen organisiert und entscheiden demokratisch über die konkrete Verwendung dieser Mittel vor Ort. Und schliesslich engagieren wir uns zunehmend in Programmen dort, wo besonders widrige Umstände ein existenzsicherndes Leben dennoch gefährden. In einigen Ländern hat sich zudem gezeigt, dass und wie wichtig digitale Bankkonten sind, damit Menschen Geld problemlos handhaben und ansparen können, um auch im Alter existenzgesichert zu leben.
Kommen wir zu Ihrer Arbeit hier in der Schweiz. Wo liegen aus Ihrer Sicht die grössten Hebel?
Wir unternehmen viel im Bereich Marktbearbeitung mit und für B2B-Kunden. Das engagierte Handeln unserer zahlreichen Geschäftspartner macht unseren Erfolg aus. Ohne sie stehen keine Produkte mit Fairtrade-Max-Havelaar-Label in den Regalen und in Online-Shops. Im B2C-Bereich arbeiten wir daran, neue Kundinnen und Kunden zu gewinnen und die Menschen ganz grundsätzlich für die Themen des fairen Handels zu sensibilisieren. Zudem arbeiten wir daran, ganz neue Produktgruppen zu erschliessen.
Welche Bereiche sind das konkret?
Ein zentrales Innovationsthema ist für uns Gold. Wir führen als Länderorganisation dieses Thema für Fairtrade International. Es geht um zertifiziertes Gold aus Kleinminen in Peru. Erste konkrete Produkte mit Gold haben in der Schweiz bereits Erfolge erzielt. Über Kantonalbanken lassen sich kleine, zertifizierte Goldbarren erwerben. Im Juni dieses Jahres haben wir zusammen mit der Basler Kantonalbank einen Goldfonds aufgelegt. Jetzt wollen wir uns auch in die Bereiche Schmuck und Uhren wagen und das Thema Gold von der Nische in die Breite bringen. In der Schweiz sind wir dafür ideal aufgestellt, hier haben wir grosse Hebel. Die Schweiz ist eine globale Handelsdrehscheibe für Gold und ein internationaler Finanzplatz. Wir stehen als Land für Gouvernanz und Rechtsstaatlichkeit, wir haben eine blühende Schmuck- und Uhrenindustrie. Für Menschen in der ganzen Welt wird es immer wichtiger, zu wissen, woher das Gold kommt, das sie als Schmuck am Hals oder am Arm tragen.
Wie sollte man sich als schweizerisches KMU verhalten?
Wichtig erscheint mir, die Unternehmensstrategie und die Nachhaltigkeitsstrategie miteinander zu verschmelzen. Nachhaltiges Handeln muss im Zentrum der Daseinsberechtigung ankommen. Alle Menschen in einem Unternehmen sollen nachhaltig agieren, jeder und jede in eigener Verantwortlichkeit. Damit werden intern und extern wichtige Signale gesetzt: Alle Menschen können ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit des Unternehmens leisten. Das betrifft natürlich den Kaffee im Personalrestaurant oder in der Snackecke, aber es geht weiter in die Produktentwicklung, bis zu den Beschaffungsentscheiden, zu den Finanzanlagen und letztlich in die Gestaltung der Kreislaufwirtschaft. Diese Themen erfordern eine aktive Auseinandersetzung auf allen Stufen.
Name: Kathrin Amacker
Funktion: Stiftungsratspräsidentin von Fairtrade Max Havelaar
Karriere: Dr. Kathrin Amacker ist seit 2021 Stiftungsratspräsidentin von Fairtrade Max Havelaar. Sie ist zudem Mitglied des Universitätsrats Basel und Stiftungsrätin bei Kunst für den Tropenwald. Früher war sie über zehn Jahre lang in den Konzernleitungen von SBB und Swisscom verantwortlich für Kommunikation, Politik und Nachhaltigkeit. Davor war sie als Kaderfrau bei Novartis in Produktion, Entwicklung und Personalwesen tätig. Sie war zudem politisch aktiv, auch als Nationalrätin.