Was hat Sie bei den Preisträgern der Fairtrade-Max-Havelaar-Awards am meisten beeindruckt?
Ihr Engagement. Alle sind wirklich enthusiastisch, wenn es um Fairtrade geht, egal ob es sich um alteingesessene Partner oder um Neulinge handelt. Es ist toll, zu sehen, dass sie sich für die Fairtrade-Idee einsetzen und auch in ihren Branchen die Botschaft verbreiten.
Glauben Sie, dass solche Auszeichnungen wirklich etwas bewirken?
Ja, davon bin ich überzeugt. Zum einen kommunizieren die Nominierten und Gewinner natürlich darüber. Das schafft Bewusstsein, führt aber auch dazu, dass andere Firmen neugierig auf Fairtrade werden. Ausserdem ist es gelungen, ein recht grosses Medieninteresse zu wecken. Dies wird dazu beitragen, das Bewusstsein für Fairtrade in der Schweiz zu erhöhen. Aber es bestätigt auch unsere Rolle als weltweit führende Organisation für soziale Gerechtigkeit, die sich für eine gerechtere Zukunft für alle einsetzt. Schliesslich ist Fairtrade der beste Weg, um Konsumentinnen, Einzelhändler und Produzenten zusammenzubringen.
Wie wirken sich Krisen wie Covid-19 und der Krieg in der Ukraine auf Fairtrade aus?
Bauern und Arbeiterinnen auf der ganzen Welt gehören zu den am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen. Und der Krieg in der Ukraine sowie Covid-19 haben die bestehenden Ungleichheiten noch verschärft. Die Produktionskosten steigen drastisch. Das bedeutet, dass alles, vom Treibstoff über Düngemittel, vom Verpackungsmaterial bis zur Logistik und zur Arbeit teurer wird. Die Krise, mit der wir jetzt konfrontiert sind, hat sich zwar durch den Krieg verschärft, aber es gibt auch zahlreiche Faktoren im System, die dafür verantwortlich sind. Niedrige Preise für Rohstoffe führen unweigerlich zur Ausbeutung von Bäuerinnen und Arbeitern. Und diese bekommen die aktuelle Inflation zunehmend zu spüren.
Die steigende Inflation ist auch für viele Familien in westlichen Ländern eine Belastung. Befürchten Sie einen Einbruch bei Fairtrade-Produkten?
Fairtrade möchte einen Systemwechsel herbeiführen. Die Regierungen und Unternehmen müssen aktiv werden und Massnahmen ergreifen. Die Firmen müssen faire Preise und Löhne bezahlen. Viele Verbraucher, Arbeiterinnen und Bauern leiden. Aber die Unternehmen machen weiterhin grosse Gewinne auf Kosten der individuellen Lebensgrundlagen all dieser Menschen. Und wir sollten nicht vergessen, dass die Inflationskrise auch das Ergebnis wilder Finanzspekulationen ist. Auch das geschieht auf Kosten der Verbraucherinnen und Produzenten.
Was muss sich ändern?
Jeder Akteur in der Versorgungskette muss seinen Beitrag leisten. Einzelhändler und Trader müssen mehr tun und mehr bezahlen. Sie müssen sich längerfristiger verpflichten, stärker auf Faitrade-Produkte setzen und mehr finanzielle Mittel für die Bauern und Bäuerinnen einsetzen. Vor allem aber sollten sie in der jetzigen Situation nicht weniger bezahlen.
Aber noch einmal: Befürchten Sie einen Einbruch?
Nein. Denn wir wissen, dass sich die Fairtrade-Kunden und -Kundinnen für eine bessere Welt für alle einsetzen.
Fairtrade ist bekannt für faire Schokolade, Kaffee und Bananen. Wo setzen Sie derzeit Ihre Prioritäten?
Im Moment bereiten wir uns auf die UN-Klimakonferenz im November in Ägypten vor. Dort werden wir die Stimmen der Produzenten einbringen. Und die Mitgliedstaaten und Regierungen auffordern, ihre Zusage von 100 Milliarden Dollar Klimahilfe bis Ende 2022 einzuhalten. 80 Prozent dieser Mittel sind bereits ausgegeben worden. Aber nur weniger als 5 Prozent davon gingen an Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die zu den vom Klimawandel am stärksten betroffenen Bevölkerungsgruppen gehören und am wenigsten für unsere Klimaproblematik verantwortlich sind. Wir ermutigen alle Ihre Leser und Leserinnen, uns auf den sozialen Medien zu folgen, während wir uns an der Weltklimakonferenz für sinnvolle Veränderungen einsetzen.
Für die Verbraucher und Verbraucherinnen ist der derzeitige Labeldschungel verwirrend. Woher wissen sie, was sie mit dem Fairtrade-Label kaufen?
Das Fairtrade-Label ist weltweit als die Zertifizierung anerkannt, die sich für soziale Gerechtigkeit für Bauern und Arbeiterinnen einsetzt. Wir sind die führende Organisation für soziale Gerechtigkeit in dieser Hinsicht – und die Konsumenten und Konsumentinnen wissen das.
Und weshalb?
Wir sind das einzige grosse Zertifizierungssiegel, das es Bauern und Bäuerinnen ermöglicht, einen Preis zu erzielen, der die Kosten für eine nachhaltige Produktion deckt. 2019 haben wir unseren Fairtrade-Mindestpreis für Kakao um 20 Prozent erhöht. Je höher die Marktpreise, desto besser können die Bauern verhandeln und desto mehr verdienen sie. Wir sind eine demokratische Organisation, die diese Bauern an den Verhandlungstisch bringt. Sie haben ein Mitspracherecht, wie Fairtrade funktionieren soll, und das bringen sie in unsere jährliche Generalversammlung und in alle anderen wichtigen Entscheidungsgremien bei Fairtrade ein. Das ist aber noch nicht alles: Fairtrade hat auch die höchste feste Prämie aller wichtigen Zertifizierungen. Das bedeutet, dass die Fairtrade-Bauern in ihre Unternehmen und ihre Gemeinden reinvestieren können. Das macht Fairtrade so besonders.