Im Vorfeld der Fussball-Europameisterschaft häufen sich die Meldungen rund um das Thema Smart Home: Google zum Beispiel kündigt neue Steuerungsmöglichkeiten für die Homescreens an. «Die neuen Homescreen-Widgets zur bequemen Nutzung sind da», jubelt die Fachpresse. Der Hersteller Aqara lanciert smarte Stecker für die individuelle Steuerung der Häuser. Und weitere Hersteller versprechen eine Integration und Unterstützung unterschiedlicher Kommunikationsprotokolle. Technische Lösungen wie Zigbee, Z-Wave, Enocean und Dect ULE sollen zukünftig problemlos zusammenarbeiten.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

 

Alles wird integriert

«Bezüglich Smart Home sehe ich verschiedene Treiber», sagt Simon Künzli, Dozent an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), Fakultät School of Engineering. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Internet of Things. Einerseits hätten Hausbesitzerinnen mit Smart-Home-Lösungen attraktive Möglichkeiten, mehr aus ihrer Immobilie herauszuholen, beispielsweise den Komfort zu erhöhen und das Wohnen und Arbeiten möglichst angenehm zu gestalten. Aber sie könnten auch als mögliche Energieproduzentinnen ihre eigene Energie verbrauchen. «Anderseits haben die Energieversorger ein Interesse daran, als Massnahme zur Netzstabilität, die verteilten Produzenten und Konsumentinnen steuern zu können», so Künzli weiter. «Gerade bei der Steuerung von Photovoltaikanlagen, Heizungen und Ladestationen für Elektroautos gibt es schon heute gute Lösungen. Bei kleineren Elementen, wie der Lichtsteue-rung oder der Integration von Küchengeräten in ein Smart Home sind heute noch viele Insellösungen vorhanden, und die Situation erinnert an einen Flickenteppich.»

Immerhin – in die Protokollvielfalt scheint Bewegung zu kommen. «Mit dem Matter-Protokollstandard, der durch viele Big Techs wie Apple, Google, Amazon, aber zum Beispiel auch Ikea und Schneider Electric definiert und Ende 2022 veröffentlicht wurde, scheint sich ein Standard zu etablieren, der es Smart-Home-Anbietern ermöglicht, Geräte herzustellen, die auch mit den Geräten anderer Hersteller kompatibel sind», sagt Künzli. «So gesehen denke ich, dass Smart-Home-Lösungen nicht mehr an einzelne Anbieter gekoppelt sind wie beispielsweise Apple Homekit, Google Nest oder Samsung Smart Things.» Vielmehr würden mit diesem neuen Standard alle Marktteilnehmer, seien es Big Techs, traditionelle Haustechnikanbieter oder eben auch innovative Startups, Produkte und Lösungen für Smart Homes anbieten können.

Darüber hinaus wird die künstliche Intelligenz zum Thema. «Erste Produkte mit integrierter KI, wie zum Beispiel Googles Nest Thermostat, der versucht, die von den Benutzerinnen und Benutzern gewünschte Temperatur über die Zeit zu erlernen und entsprechend zu antizipieren, sind ja schon eine Weile auf dem Markt erhältlich», sagt Künzli. «Deshalb würde ich fest davon ausgehen, dass weitere Optimierungen eines Smart Home mit der verbesserten KI einhergehen und wir insbesondere den Energieverbrauch von Smart Homes mithilfe von KI verringern können.»

Mit den gut vernetzten Wohnimmobilien kommen jedoch auch neue Gefahren auf. Die Einbrecher der Zukunft kommen nun über Datenleitungen – und nicht mehr über die aufgebrochenen Türen und Fenster. «Viele heute eingesetzte Produkte sind vermutlich für ihren erwarteten Einsatzzeitraum nicht genügend gegen die Gefahren bezüglich Cyberkriminalität gesichert», erklärt Künzli. «Mit dem Cyber Resilience Act der Europäischen Union gibt es aber klare Vorgaben, die vernetzte Geräte bezüglich Cybersicherheit erfüllen müssen. Es wird erwartet, dass er noch in diesem Jahr in Kraft tritt. Ich rechne also damit, dass sich die Situation in den nächsten Jahren stark verbessern wird und Smart-Home-Produkte mit gutem Schutz gegenüber Cyberattacken auf den Markt kommen werden.»

 

Mehr Strom für die Geräte

Ein weiteres Thema ist die Nachhaltigkeit. Denn mit den vernetzten Geräten und der rund um die Uhr laufenden Infrastruktur steigt der Stromverbrauch. Und das wiederum ist auf den ersten Blick nicht kompatibel mit den zahlreichen Nachhaltigkeitsbemühungen. «Auf den ersten Blick scheinen Smart-Home-Produkte den Gesamtenergieverbrauch eines Gebäudes zu erhöhen», bemerkt Künzli. «Die Bestrebungen bezüglich Nachhaltigkeit werden sich aber aus meiner Sicht positiv auf die Smart-Home-Entwicklungen auswirken.» Gerade auch, weil im-mer häufiger private Photovoltaikanlagen installiert werden, die von den Besitzern selber gesteuert und überwacht werden können. Auf der anderen Seite eröffnen sie die Möglichkeit, die erzeugte Energie über Smart-Home-Anwendungen auch direkt selber im eigenen Zuhause zu verbrauchen.

«Der gezielte Einsatz zur Warmwassergewinnung, für den Betrieb der Waschmaschine oder des Geschirrspülers oder zu guter Letzt auch intelligente Gebäudesteuerung wie Wärmeregulierung, Beschattung oder Lichtsteuerungen – das alles bedingt Smart-Home-Geräte, die mit der lokalen Energieerzeugung kooperieren können.» Und möglicherweise den Gesamtstromverbrauch reduzieren. Innovationen kommen nicht über Nacht – die Smartphones waren eher die Ausnahme, aber auch sie benötigten ein halbes Jahrzehnt, bis sie sich breit durchgesetzt hatten. An Smart-Home-Themen arbeitet man seit einem halben Jahrhundert – und auch hier spricht man noch lange nicht von einem «reifen» oder «gesättigten» Markt. Das könnte sich trotz einiger branchenspezifischer Eigenheiten ändern. «Die Gebäudetechnikbranche ist an und für sich eher ein konservativer Markt», stellt Künzli fest. «Nichtsdestotrotz ‹helfen› höhere Energiekosten und der Trend zu Photovoltaikanlagen und Wärmepumpen bei der Verbreitung von Smart-Home-Lösungen.» Insbesondere in den letzten Jahren seien viele interessante Produkte und Lösungen auf den Markt gekommen. «Ich denke, dass einerseits die Geschwindigkeit für neue innovative Smart-Home-Lösungen zunimmt, anderseits sich aber einige Anwendungen auch in der Breite durchsetzen werden», so Künzli.

 

Waschen, wenn der Strom billig ist

Und so verbessern sich auch die Aussichten auf die weitere Entwicklung bei Smart Home. «Der Kontext mit dem neuen Matter-Standard für Smart Homes, höheren Energiekosten und dem damit gekoppelten Wunsch nach besserer Energieeffizienz im Eigenheim sowie den technischen Entwicklungen im Smart-Home-Bereich scheint der weiteren Verbreitung von Smart-Home-Lösungen Auftrieb zu geben», so Künzli. «In zehn Jahren könnte es durchaus Standard sein, dass das Smart Home die Waschmaschine und andere grosse Verbraucher wie die Ladestation des Elektroautos automatisch einschaltet, wenn günstige Energie zur Verfügung steht, zum Beispiel von der eigenen PV-Anlage.» Oft werde das ohne Interaktion mit den Bewohnerinnen vonstattengehen, wenn beispielsweise die Heizung oder die Warmwasseraufbereitung angesteuert wird. «Und Smart-Home-Geräte können natürlich helfen, ein Gebäude barrierefrei zu gestalten, indem verschiedene Benutzerschnittstellen über Sprachsteuerung oder Gestenerkennung eingesetzt werden.» Damit würde ein weiteres Nachhaltigkeitsthema gleich mit erledigt – obwohl man es so eigentlich gar nicht geplant hat.