Die Schweizer Baubranche «hat noch viel Potenzial bezüglich der Digitalisierung», stellte der Schweizerische Baumeisterverband (SBV) im Januar fest. Gemäss den Umfragen der grossen Beratungshäuser kommen derzeit gleich mehrere belastende Faktoren wie schwächere Baukonjunktur, Kostendruck, Talentmangel und Lieferkettenprobleme zusammen – und hier könnte die Digitalisierung weiterhelfen. «Der Einsatz von digitalen Hilfsmitteln zur Vermessung, Analyse und Planung ist inzwischen weit verbreitet», sagt Lars Kunath, Verantwortlicher digitale Lösungen Gebäudetechnik beim Schweizerisch-Liechtensteinischen Gebäudetechnikverband (Suissetec). «Die Treiber sind die grossen Bauprojekte und die Effizienzsteigerung durch Vorfabrikation.»
Teilweise schon digitalisiert
Die digitalen Technologien haben das Potenzial, die Grundlage für die Vernetzung der Wertschöpfungskette respektive für durchgängige datenbasierte Prozesse über die verschiedenen Fachleute und Spezialistinnen hinweg zu legen. «Während viele andere Sektoren durch die Digitalisierung deutlich produktiver geworden sind, hinkt die Bau- und Immobilienwirtschaft mit jährlich nur rund 1 Prozent Produktivitätssteigerung nach wie vor deutlich hinterher», konstatiert Markus Weber, Präsident Bauen digital Schweiz/Buildingsmart Switzerland. «Das Wissen und die digitalen Technologien sind verfügbar, wir stehen aber noch immer am Anfang.» Das habe vor allem damit zu tun, dass einerseits die Wertschöpfungskette sehr komplex sei: Eine Vielzahl von unterschiedlichen Fachleuten und Spezialisten tragen in einer sequenziellen Abfolge dazu bei, dass schlussendlich ein Bauobjekt entsteht, das danach durch weitere Fachleute und Spezialistinnen betrieben, bewirtschaftet und unterhalten wird. Auf der anderen Seite sind laut Weber die Anforderungen an die Gebäude durch die zunehmenden Gesetze, Vorgaben und Rahmenbedingungen laufend gestiegen. «Gebäude sind heute komplexe Systeme, das heisst, die verschiedenen Disziplinen wie zum Beispiel Architektur, Baustatik, Gebäudetechnik, Bauphysik und Brandschutz müssen optimal aufeinander abgestimmt sein.» Gebäude seien ausserdem zunehmend Bestandteile von übergeordneten Systemen. So werde zum Beispiel ein Gebäude mit einer Photovoltaikanlage zum «Prosumer» und damit zum Teil des Energiesystems Schweiz. «Diese Komplexität, die zudem in den verschiedenen Ländern, ja teilweise sogar Kantonen, unterschiedlichen Anforderungen unterliegt, sowie die vielen involvierten Stakeholder führen dazu, dass die digitale Transformation der Bau- und Immobilienwirtschaft nur langsam voranschreitet», erklärt Weber.
Der Einsatz von Plattformen spart Geld
Zunehmend setzt sich das Building Information Modeling (BIM) durch. Während der Planungsphase ermöglicht BIM einen schnellen Datenaustausch und legt die Grundlage für automatisierte Planungsschritte und stark automatisierte Vorfabrikation», erklärt Lars Kunath von Suissetec. «Durch BIM ergeben sich neue Geschäftsmodelle für den Betrieb von Gebäuden sowie erhebliche Einsparpotenziale bei der Wartung und beim Facility-Management.» Es braucht laut Kunath Cloud-Plattformen, um sicherzustellen, dass für alle Beteiligten der gleiche Informationsstand verfügbar ist. Auch ist zu beobachten, dass diverse Firmen in Plattformmodelle investieren. «Insbesondere bei der Devisierung und Auftragsvergabe ist zu erwarten, dass sich hier starke Plattformen entwickeln werden», sagt Kunath. «Die BIM-Methode gibt vor, wie die verschiedenen Fachleute und Spezialisten entlang des Lifecycles eines Bauwerks zusammenarbeiten müssen», erklärt Buildingsmart-Präsident Weber. «Damit werden Bestellung, Planung, Erstellung, Betrieb und Rückbau nicht weiter als einzelne isolierte Prozesse betrachtet, sondern als durchgängiger Lifecycle-Prozess.» In der aktuellen Praxis sei eine echte digitale Durchgängigkeit allerdings nur schwer umzusetzen, weil Daten noch viel zu heterogen vorlägen und Unternehmen dazu tendierten, ihre eigenen Datenstrukturen aufgrund von projektspezifischen Anforderungen anzulegen. «Genau da setzt der Use-Case-Management-Service von Buildingsmart an, der BIM-Projekte in einzelne Anwendungsfälle, also sogenannte Use Cases, gliedert und damit die Grundlagen für ein durchgängiges Informationsmanagement schafft», so Weber weiter.
Neue Technologien wie Augmented Realitiy und Virtual Reality (AR/VR) gelten ebenfalls als vielversprechende Ansätze für die Digitalisierung des Baus. «Simulationen und Visualisierungen helfen vor allem eine höhere Planungssicherheit zu schaffen, indem das Gebäude in der virtuellen Welt unter realitätsnahen Bedingungen optimiert werden kann, bevor es gebaut wird», erklärt Weber. «Sowohl für Simulationen als auch Visualisierungen brauchen wir eine digitale Repräsentation des Gebäudes, ein BIM-Modell mit den notwendigen strukturierten Informationen.»
Mit Visualisierungen lässt sich beispielsweise ein Spitalbau mit den zukünftigen Nutzern und Nutzerinnen virtuell begehen, und darauf aufbauend können Abläufe und die Logistik getestet, Materialien abgestimmt und das Gebäude dahingehend optimiert werden. «Das hilft nicht zuletzt dabei, Fehler zu vermeiden: Denn auch hier schlummert ein riesiges Potenzial: Die Schweiz gibt Statistiken zufolge rund 3 bis 5 Millionen Franken pro Jahr für Fehlerbehebungen aus», erklärt Weber den finanziellen Nutzen.
In der Branche setzen sich langsam weitere neue Technologien und Methoden wie Design-Build (DB) und Integrated Project Delivery (IPD) durch, die eine agile, integrative und kollaborative Zusammenarbeit fördern. «Dies wiederum verändert einerseits die Wertschöpfungskette selbst, anderseits aber auch die Leistungsabgrenzungen zwischen den verschiedenen Leistungserbringern.» BIM-Modelle beziehungsweise die datenbasierten Repräsentationen der Gebäude würden immer konsequenter genutzt. «Zum Beispiel wird sich dadurch die Fertigung von Bauwerken zunehmend von der Baustelle in die Werkstatt verlagern», prognostiziert Weber. «Die Werkstätten werden zu industriellen Produktionsmaschinerien mit einem hohen Automatisierungsgrad ausgebaut.» Das seien längst fällige Schritte. «Denn aktuelle Studien zeigen, dass ein Gebäude, unabhängig von Design und Nutzung, aus einer Vielzahl von Wiederholungen gebaut werden kann. Heute ist jedoch fast jedes Gebäude noch ein Prototyp – hier schlummert ein grosses Potenzial, um schlussendlich schneller, günstiger und qualitativ besser zu bauen.»
«Das Bauen als Ganzes wird nicht revolutioniert», ist sich Kunath sicher. «Auch 2030 sehen wir auf den Baustellen noch Bagger, Kräne und so weiter. Zusätzlich wird es mehr Drohnen und Roboter geben, die unterstützend eingesetzt werden.» Stärkere Auswirkungen auf ihren Alltag würden Planerinnen und Architekten spüren. «Hier gilt die Devise, offen für Neues zu sein und möglichst schnell digitale Anwendungen auszuprobieren und einzusetzen – ganz nach dem englischen Sprichwort ‹Use it or loose it›», meint Kunath abschliessend.