1. Regulatorischer Tsunami im Anmarsch

Der Kern von Environmental, Social and Governance (ESG) liegt darin, dass Unternehmen nachhaltige Praktiken in ihre Geschäftsabläufe integrieren. In der Schweiz und der EU gibt es immer mehr Regulierungen im Bereich ESG. Eine Herausforderung für die KMU ist es, angesichts der sehr dynamischen Rechtsentwicklung den Überblick zu bewahren.

Der Autor

Adrian Peyer, Legal Partner, Attorney at Law, MME

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2. Bericht nichtfinanzielle Belange

In der Schweiz gilt seit 2022 Art. 964a–964c im Obligationenrecht (OR). Die von dieser Regelung erfassten «grossen» Unternehmen müssen erstmals im Jahr 2024 über nichtfinanzielle Belange Bericht erstatten. Neu kommt ab 2025 für diese Unternehmen zusätzlich die Pflicht zur Berichterstattung über Klimabelange. Die EU ist schon wieder einen Schritt weiter. 2023 ist die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) in Kraft getreten, die den Anwendungsbereich der nichtfinanziellen Berichterstattungspflicht erheblich ausweitet. Kaum sind also die entsprechenden Vorschriften in der Schweiz in Kraft getreten, gilt der Schweizer Regelungsansatz somit schon als überholt. Das hat auch der Bundesrat erkannt, und eine entsprechende Gesetzesanpassung soll Mitte 2024 in die Vernehmlassung gelangen.

 

3. Netto null

Die Schweiz hat sich zudem verpflichtet, bis zum Jahr 2050 netto null Emissionen zu erreichen. Daher hat die Schweiz im Klima- und Innovationsgesetz (Art. 3 Abs. 3 KIG) Zwischenziele für die Reduktion erlassen. Das KIG besagt klar (Art. 5 KIG), dass alle Unternehmen (unabhängig von ihrer Grösse) bis 2050 netto null Emissionen erreichen müssen, also auch KMU!

 

4. Lieferketten-Themen

Das schweizerische Recht (Art. 964j-l OR) sieht Sorgfalts- und Transparenzvorschriften bezüglich Kinderarbeit und Konfliktmineralien vor. Auch KMU tun gut daran, ihre Compliance und diesbezügliche Dokumentation zu überprüfen und zu verbessern, um den Verwaltungsrat zu schützen. Denn der Verwaltungsrat, der die Berichterstattung unterlässt, falsche Angaben macht oder die gesetzlichen Pflichten zur Aufbewahrung und Dokumentation vorsätzlich oder fahrlässig verletzt, macht sich strafbar (Art. 325ter StGB)! 

 

5. Druck auf KMU von Grossunternehmen

Mit der Erweiterung des Anwendungsbereiches der CSRD und der künftigen Einführung der sogenannten Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) werden tausende Schweizer Unternehmen direkt oder indirekt erfasst, denn die grossen berichterstattungspflichtigen Unternehmen werden weitreichende Angaben von KMU als Teil ihrer Wertschöpfungskette abfragen. 

 

6. Jetzt pragmatisch starten

KMU sollten jetzt pragmatisch beginnen, sich mit ESG vertraut zu machen. Durch den schrittweisen Aufbau von Prozessen zur Einhaltung von ESG-Standards und zur Erfassung (korrekter!) Daten können sich KMU gut positionieren, um ihre Kunden und Mitarbeitenden mit Informationen zu bedienen und bereit zu sein, wenn die Anforderungen verpflichtend werden.

 

7. Haben KMU (k)eine Wahl?

Früher oder später werden ESG-Aspekte auch für KMU unvermeidlich sein. Die Frage ist somit nicht, ob KMU eine Wahl haben, sondern wann sie keine Wahl mehr haben werden!