Wie hat sich die Europäische Union in den vergangenen zehn Jahren verändert? Für den ehemaligen niederländischen Ministerpräsidenten Jan Peter Balkenende ist die EU heute wirtschaftlich schwächer und politisch gespaltener als 2010 zum Ende seiner Amtszeit.
Obwohl sich die EU damals auf dem Höhepunkt der Finanzkrise befand, war der Wille zur Zusammenarbeit noch grösser, sagt Balkenende. Zudem steht die EU vor grossen Herausforderungen wie dem Brexit und die wirtschaftliche Dynamik komme heute aus Asien, vor allem China.
Gleichzeitig hat sich auch die Position Osteuropas innerhalb der EU verändert. Ein Beispiel: Vor einigen Monaten verhinderten einige osteuropäische Staaten den Niederländer Frans Timmermans als neuen Chef der Europäischen Kommission.
Veränderte Machtverhältnisse in der EU
Und zwar weil der EU-Kommissar gegen Polen und Ungarn wegen rechtsstaatlicher Bedenken vorgegangen war. «Die Rechtsstaatlichkeit ist ein Kernstück der EU, doch einige osteuropäische Staaten nehmen es damit nicht so ernst», sagt der Ex-Staatschef. Die EU sollte stärker dagegen vorgehen und etwa auch die finanzielle Mittel an diese Staaten mit der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien verknüpfen.
Eine weitere Herausforderung für die EU: Die globalen Machtverhältnisse haben sich stark verschoben, die USA fährt eine «America first»-Politik, in China gilt der Grundsatz «One China». Jan Peter Balkenende sagt, die EU müsse sich daran ein Beispiel nehmen und selbstbewusster in der Welt auftreten. Allerdings brauche es dafür mehr Geschlossenheit und eine eine stärkere Zusammenarbeit. Das sei eine der grossen Aufgaben der neuen EU-Kommission.
Neues Narrativ für Europa
«2010 ging es um Krisenmanagement, heute brauchen wir ein neues Narrativ für Europa», sagt Balkenende. Dabei solle sich Europa in der Welt einbringen, um zur Lösung globaler Probleme beizutragen. Dazu müsse die EU die europäischen Werte wieder definieren und stärken. «Schaffen wir das, so kann die neue EU-Kommission viel bewegen», ist Balkenende überzeugt.
Dass die Schweiz keine Angst haben muss, in der EU nicht gehört zu werden, zeigt das Beispiel Niederlande. Als Staatschef eines der kleineren Mitgliedstaaten verhinderte Balkenende Anfang der 2000er Jahre erfolgreich eine Aufstockung des europäischen Agrarbudgets, obwohl sich die grossen Länder Frankreich und Deutschland bereits darauf geeinigt hatten.
EU-Schweiz: Voneinander lernen
Was der Ex-Premier der Schweiz rät: Mit der EU auf einer Linie sein und voneinander lernen. «Die Schweiz würde der EU einen Mehrwert bringen, aber ich respektiere, dass die Schweiz unabhängig bleiben will.»
Acht Jahre lang war Jan Peter Balkenende Ministerpräsident der Niederlande. 2010 zog er sich aus der Politik zurück, heute ist lehrt er an der Erasmus-Universität Rotterdam.