Es war ein Treffen mit langem Vorlauf. Corona und das Rahmenabkommen haben den Bundesrat, zuvorderst Aussenminister Ignazio Cassis, in Beschlag genommen. Doch vorletzte Woche war es so weit. Cassis empfing eine Delegation des Europa Forum Luzern (EFL) zur grossen Debatte (siehe Box). Im Zentrum der Diskussion standen die greifbaren Unsicherheiten, ausgelöst durch Klimawandel, Digitalisierung oder den schleichenden Vertrauensverlust in Wirtschaft und Staatsführung. «Sicherheit in Zeiten der Unsicherheit» hiess denn auch das EFL-Jahresmotto 2020.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und der «Generation Zukunft» haben ein Impulspapier verfasst, mit Anregungen für eine zukunftsfähige Schweiz. Für die Schweiz haben die Autorinnen und Autoren vier Eckpfeiler ausgemacht. Gefordert wird eine Technologieoffensive, verknüpft mit einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik. Die Vorwärtsstrategie betrifft nicht nur die Digitalisierung, sie soll sich auch in einer sozial-ökonomischen Marktwirtschaft oder im Thema Nachhaltigkeit niederschlagen.

Eigenständigkeit der Nationalbank

Weiter wollen die Thesenautoren als zweiten Pfeiler die Bedeutung der Schweiz auf dem globalen Parkett stärken – nicht über die Politik oder die internationalen Organisationen vor Ort, sondern vielmehr über die Kapitalisierung ihrer Wirtschaftskraft. Als Vorbild dient Singapur, das als Kleinstaat dank seiner Finanzkraft global einen enormen Einfluss ausübt. Es müsse eine Strategie dafür entwickelt werden, wie man die grosse Wirtschaftskraft sowie die vorhandenen Währungsreserven der Schweiz im Rahmen der Finanzdiplomatie gezielt einsetzen könne, ohne die Eigenständigkeit der Nationalbank zu gefährden.

Pfeiler drei bilden die Weltoffenheit sowie die internationalen Beziehungen, vornehmlich  zu Europa als wichtigster Exportregion. Eine enge Kooperation mit der EU im Bereich des Binnenmarkts, der Gesundheit oder der digitalen Technologien liege im Interesse der Schweiz. Trotz den gescheiterten Verhandlungen ums Rahmenabkommen seien Marktzugangsabkommen mit der EU zu begrüssen.

Die vierte Säule betrifft die vierte Macht im Staat. Die Medien stehen unter Druck durch die mit der Digitalisierung veränderte Kommunikation, die neuen Wege des Informationsaustauschs und der Wissensvermittlung. Die Folgen von Fehlinformationen und Fake-News seien fatal, sind die Autoren und Autorinnen überzeugt, schliesslich benötige eine direkte Demokratie eine starke, unabhängige, qualitativ hochstehende Medienlandschaft. Zur Impulsautorenschaft gehören Doris Leuthard, Marcel Stalder, Riet Cadonau, Julie Cantalou, Jérôme Cosandey, Ida Glanzmann-Hunkeler, Daniel Koch, Peter Maurer, Stefan Mettler, Monique Morrow, Christian Mumenthaler, Marcel Salathé, Sarah Springman und Thomas Süssli.

Die zehn wichtigsten Impuls-Themen

Wirtschaft
1. «New Blue Deal» – Digitaloffensive und Vorreiterrolle einer neuen globalen sozial-ökologischen Wirtschaftspolitik
Europa hat die Chance, sich als Vorreiter einer neuen globalen sozial-ökologischen Wirtschaftspolitik zu positionieren. Gefragt ist eine «Blaue Ökologie», sprich Nachhaltigkeit durch Fortschritt. Es gilt, das aufgrund von Covid-19 verabschiedete EU-Recovery-Package für die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit der EU mit den Zielen des «New Blue Deal» zu verknüpfen.

2. Stärkung unserer Widerstandsfähigkeit – Chief Risk Officer des Bundes
Die Lehren aus Covid-19: Die öffentliche Hand und private Akteure müssen zusammenstehen, um gemeinsam unsere Zivilgesellschaften zu stärken. Die Ernennung eines Chief Risk Officer auf Bundesebene soll eine rationale Allokation der limitierten öffentlichen Mittel auf erkannte Risiken fördern und somit langfristig Wirtschaftsschäden und Todesopfer minimieren.

Wissenschaft
3. Wissenschaftsbasierter Ansatz ermöglicht Lösungen für grosse Herausforderungen unserer Zeit
Das Vertrauen und die Zuversicht in die kreative Lösungskraft unserer Wissenschaft sind zu stärken und der Ausbau der internationalen wissenschaftlichtechnologischen Zusammenarbeit zu fördern. Digitale Grundkompetenzen müssen dringend zu Basiswissen erklärt werden.

4. Beteiligung der Schweiz an gemeinsamen Forschungsprogrammen der EU
Forschungszusammenarbeit und -kooperation sind Kern der wissenschaftlichen Innovation. Es ist zentral, dass sich die Schweiz an Initiativen der gemeinsamen Programmplanung der EU beteiligt, die sich mit wichtigen gesellschaftlichen Herausforderungen befassen.

Politik
5. Demokratie, Liberalismus und Meinungsfreiheit in Gefahr – dringend nötige Medienreform sowie Anpassung des Ordnungsrahmens
In einer direkten Demokratie sind Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und faktenbasierte Information zur politischen Willensbildung die Grundpfeiler einer funktionierenden demokratischen Ordnung. Es gilt, die in der analogen Welt geltenden Gesetze auf das Internet zu übertragen und die Qualität öffentlich zugänglicher Informationen zu erhöhen.

6. Kapitalisierung der Wirtschaftskraft zur Stärkung des politischen Einflusses der Schweiz – Wahrnehmung der sicherheitspolitischen Rolle im Zwist von Ost und West
Die internationale Lage spitzt sich zu und der Zwist zwischen Ost und West vertieft sich. Die Schweiz hat ihre sicherheitspolitische Rolle in Europa als neutrale Vermittlerin wahrzunehmen. Sie hat an politischem Gewicht eingebüsst und muss deshalb aus ihrer Wirtschaftskraft
neues politisches Kapital schlagen.

Gesellschaft
7. Stärkung des inneren Zusammenhalts und Vermittlung der Bedeutung eines geeinten Europas – Förderung des intergenerationellen Dialogs
Der innere Zusammenhalt in der EU bröckelt. Zusätzlich entstehen Spannungen zwischen den sozialen Schichten. Es ist zentral, die Bedeutung eines geeinten Europas insgesamt sowie für die Schweiz als Exportland einer breiten Bevölkerung zu vermitteln und den inneren Zusammenhalt sowie den intergenerationellen Dialog zu fördern.

8. Verstärkter Fokus auf multilaterale, tragfähige Lösungen für globale Herausforderungen durch Einbindung von Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft
Die Treiber der Desintegration in Europa liegen nicht nur in nationalistischen Tendenzen, sondern vermehrt auch in einem Eliten-Basis-Konflikt. Massnahmen wie die Förderung der Chancengleichheit, eine Kultur der Toleranz und die Stärkung von gesellschaftlich verbindenden Strukturen wie dem dualen Bildungssystem oder unserer Milizkultur sind wichtig, um diese innere Einheit zu erhalten.

Generation Zukunft
9. Bewusstsein der Bedeutung von Cyberangriffen und verstärkte Vorbeugungsmassnahmen
Cyberangriffe auf Unternehmen und kritische Infrastrukturen werden in den nächsten Jahren exponentiell zunehmen. Entscheidungsträger sollten entsprechend adäquate Massnahmen ergreifen und gewährleisten, dass die Bevölkerung ihre Rechte sicher im Cyberraum ausüben kann. Die Schweiz und Europa müssen in diesem Bereich konzertiert vorgehen.

10. Integration der jungen Generation in die Lösungs- und Entscheidungsfindung zur Überwindung der Covid- 19-Krise in der Schweiz und in Europa
Es muss sichergestellt werden, dass die Bedürfnisse und Wünsche der jüngeren Generation von den schweizerischen und europäischen Institutionen berücksichtigt werden. Nur so ist der Weg aus der Krise ein gemeinsames Konstrukt und die Nachhaltigkeit des Gesellschaftsvertrags zwischen den Staaten und ihren Bürgern gewährleistet.

Das gesamte Impulspapier ist unter www.europaforum.ch abrufbar.
 

EFL-PROGRAMM 2021

2021 im Banne der Grossmacht China

Austausch: Bundesrat Ignazio Cassis empfing die Delegation des Europa Forum Luzern unter der Leitung von Doris Leuthard, Co-Präsidentin des EFL Steering Committees und Marcel Stalder, Präsident des EFL Executive Committees sowie Morten Hannesbo, Gründer Dignitinis, VR Scott Sports; Stefan Rösch-Rütsche, Country Managing Partner EY Switzerland EY; Sarah Springman, Rektorin ETH Zürich; Julie Cantalou, Präsidentin GLP Lab; Çiğdem Akyol, Völkerrechtlerin und Autorin; Riet Cadonau, Präsident Dormakaba Group; Dominik Isler, Co-Direktor Europa Forum Luzern.

Programm 2021: Das diesjährige EFL-Programm steht unter dem Titel «Schweiz und Europa im Banne Chinas». Das internationale Gipfeltreffen von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft findet am 24./25. November im KKL statt. europaforum.ch