Was haben eine Finnin, ein Brite, ein Deutscher und ein Schweizer gemeinsam? Nicht allzu viel, wie sich bei einer lebhaften Diskussion über Europa, die Corona-Pandemie und die internationale Kooperation zeigte. Der vom Europa Forum Luzern (EFL) veranstaltete Leadership-Talk fand im KKL Luzern vor einem kleinen physischen und grossen virtuellen Publikum statt. Auch die Podiumsgäste schalteten sich online dazu: Anne-Catherine Berner (schweizerisch-finnische Unternehmerin und ehemalige Verkehrs-Ministerin in Finnland), Sigmar Gabriel (ehemaliger deutscher Bundesaussenminister), Christian Mumenthaler (Konzernchef Swiss Re) und Oliver Zimmer (Professor für moderne europäische Geschichte an der Universität Oxford).
Die unterschiedlichen Hintergründe und Perspektiven der Gäste prägten die Debatte. Obwohl wiederholt von gegenseitigem Lernen die Rede war, blieben die Voten unverändert. Das zeigte sich etwa bei der Frage, ob dezentrale oder zentrale Ansätze bei der Lösung von Problemen sinnvoller sind. Oliver Zimmer mit schweizerisch-britischem Hintergrund plädierte für Ersteres: «Vielfalt ist klüger als Einheit.» Gerade die aktuelle Krise zeige, dass regionale und lokale Lösungsansätze deutlich sinnvoller seien, sagte er und erhielt augenblicklich Widerspruch von Anne Berner, die den finnischen Zentralismus lobte. «Finnland funktioniert relativ stark zentral. Das hat uns in den vergangenen Monaten viele Vorteile verschafft und in eine bessere Lage als dezentrale Länder wie die USA gebracht.»
Welche Strategie denn risikoärmer sei, wollte Moderatorin Christine Maier wissen und warf den Ball Swiss Re-Chef Christian Mumenthaler zu, der sich von Berufs wegen mit Risikomanagement befasst. Verschiedene Datenpunkte und Experimente zu haben, sei eine sehr gute Idee, das mache ein System stärker, erklärte dieser. «Im Moment fehlt in Europa aber das Lernen aus den Erkenntnissen.» Was hat funktioniert, was nicht? Mumenthaler: «Mein Gefühl ist, dass die Länder gerade in dieser zweiten Welle erstaunlich wenig aufeinander schauen.»
Damit leitete Mumenthaler ein weiteres Thema ein, das die Gesprächsrunde spaltete. Aus Sicht von Anne Berner findet in Europa durchaus ein Lernprozess statt. Sigmar Gabriel hingegen sagte: «Wir sind noch mitten im Krisenmanagement.» Das Lernen voneinander sei erst möglich, wenn die Pandemie unter Kontrolle gebracht sei. «Ich finde es normal, dass die Länder jetzt vor allem auf sich selbst schauen.» Einen gewissen Austausch gebe es natürlich schon, relativierte er. Dieser sei aber begrenzt – und zwar zurecht: Die Länder seien zu verschieden, die Bevölkerungsdichte in Finnland sei nicht mit jener in der Schweiz oder Deutschland zu vergleichen. «Erkenntnisse einfach so zu übertragen halte ich für schwierig.»
Die Frage aus dem Publikum, ob es eine europäische Corona-Politik geben wird, schien damit beantwortet. Doch was heisst das für die Zukunft, hakte Christine Maier nach. Werden wir bei einer nächsten Pandemie – statistisch gesehen kann eine solche alle 30 Jahre auftauchen – genau gleich überfordert sein? Sehr wahrscheinlich nicht, beschwichtigte Mumenthaler. Asiatische Länder, die mit solchen Situationen mehr Erfahrungen hätten, schnitten jetzt viel besser ab. Und weiter meinte er: «Ich bin aber überzeugt, dass Europa dank dem neuen Know-how in Zukunft besser reagieren wird.»
Um zukünftige Pandemien, Krisen und andere Herausforderungen zu meistern, seien mehr Austausch und Einigkeit nötig, schien sich die Runde zum Schluss immerhin einig. Das mit dem gegenseitigen Lernen hatten die vier Podiumsgäste zumindest im Kleinen schon mal geübt – gegen Ende der Diskussion vergass niemand mehr, vor dem Reden den Stumm-Knopf auszuschalten. So viel Learning muss nach bald einem Jahr Pandemie sein.