Ein Journalist der «NZZ am Sonntag» stellte in der Ausgabe vom 30. Mai 2022 dem Präsidenten der Credit Suisse, Axel Lehmann, die Frage, wie er denn nach seinem Amtsantritt die krisengeschüttelte Bank auf die Erfolgsspur zu führen gedenke. Dieser antwortete: «Wir haben einen klaren Plan, den wir bekannt gegeben haben. So wollen wir bis 2024 mindestens 10 Prozent Eigenkapitalrendite haben.»
Die Aussage des Bankchefs irritiert: Was soll die Bekanntgabe eines Eigenkapitalrenditeziels von 10 Prozent, wenn die Bank dauerhaft Milliardensummen verbrennt und viel zu wenig Eigenmittel hat? Eigenkapitalrenditeziele, wie sie schon Joe Ackermann als früherer Chef der Deutschen Bank bekannt gab und damit in der Folge kläglich scheiterte, sind ein Unding. So liegt es in der Natur der einfachen Mathematik, dass Renditen im Erfolgsfall umso höher ausfallen, je tiefer die Eigenmittel sind. Wenn es aber am Ende einen Anreiz oder zumindest eine Interessenkollision für die Chefs eines Finanzinstituts gibt, möglichst wenig Eigenkapital zu haben, um möglichst hohe Eigenkapitalrenditen ausweisen zu können, ist definitiv etwas faul.
Zurich Insurance zielt auf 20 Prozent
Das zeigt das Beispiel der Zurich Insurance. Konzernchef Mario Greco hat im November 2022 die Erhöhung des Eigenkapitalrenditeziels von 14 auf 20 Prozent bekannt gegeben. Tatsächlich ist er diesem Ziel bereits ein schönes Stück nähergekommen, obwohl der Gewinn im Jahr 2022 mit 4,6 Milliarden Dollar deutlich tiefer ausgefallen ist als im Vorjahr, als er 5,2 Milliarden Dollar betrug.
Da in derselben Periode das Eigenkapital der Zurich Insurance aufgrund zweistelliger Milliardenverluste, die erfolgsneutral über das Eigenkapital abgeschrieben wurden, von 37,9 Milliarden Dollar auf 26,6 Milliarden Dollar implodiert ist, stieg in der Folge die Eigenkapitalrendite signifikant von 13,7 auf 17,3 Prozent.
Der Autor
Pirmin Hotz, Gründer und Inhaber, Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen, Baar.
Ein Fluch für das Aktionariat
Die scheinbar erfreuliche Erhöhung der Eigenkapitalrendite ist somit einzig das Resultat davon, dass die Eigenmittel des Versicherers noch stärker eingebrochen sind als die Gewinne. Bei Lichte betrachtet ist das für die Aktionärinnen und Aktionäre nicht etwa ein Segen, sondern ein Fluch.
Bankkader brüsten sich mit dem Ausweis hoher Eigenkapitalrenditen, und die Gewinne werden sofort in Form von fetten Boni an die Führungskräfte ausbezahlt. Bleibt der Erfolg aus, übernehmen die Aktionärinnen und Aktionäre den Schaden, während die Managerinnen und Manager immer noch hohe Boni kassieren – sie würden sonst zur Konkurrenz abwandern, lautet in diesem Fall das gebetsmühlenartig vorgetragene Argument. Eigenkapitalrenditeziele sind ein Übel, denn selbst eine hohe Rendite auf «viel zu wenig» ist immer noch viel zu wenig und gleichzeitig brandgefährlich.
Hohe Eigenmittel: Schutz vor Krisen
Neben einem tragfähigen Geschäftsmodell braucht es zwei Dinge, um eine Bank (oder eine Versicherung) nachhaltig und langfristig erfolgreich zu führen. Erstens braucht es genügend Eigenkapital, um auch grössere Krisen überstehen zu können. Wenn Grossbanken gerade einmal gut 4 Prozent hartes Eigenkapital (als Mindestanforderung in der Schweiz gelten 3,5 Prozent) halten, ist das viel zu wenig. Banken verlangen von ihren Kundinnen und Kunden mindestens 20 oder 30 Prozent an Eigenmitteln, damit sie überhaupt einen Kredit erhalten.
Fragt sich, ob hochbezahlte Bankangestellte in adäquater Form Risiken tragen.
Warum geben sich Banker und Banken selbst viel laschere Standards? Der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Professor Simon Johnson, der am renommierten Massachusetts Institute of Technology lehrt, fordert für systemrelevante Banken ein minimales Eigenkapital von 10 Prozent. Anat R. Admati, Professorin für Finanzen und Wirtschaft an der Universität Stanford, und Professor Martin Hellwig, früherer Direktor am Max-Planck-Institut, fordern von den Banken sogar harte Eigenkapitalquoten von 20 bis 30 Prozent. Das ist etwa das Fünf- bis Siebenfache der heutigen Quoten. Bei einer Eigenkapitalquote von gut 4 Prozent, wie dies bei einer Credit Suisse der Fall ist, braucht es «nur» ein paar dümmliche Spekulationen, überflüssige Bussenzahlungen oder ein zittriges Marktumfeld, um die Bank an den Rand des Ruins zu drängen – das kann es wahrlich nicht sein.
Zweitens sollen leitendende Angestellte einer Bank vernünftige und leistungsgerechte Löhne erhalten, die unternehmerisch vertretbar sind. Die Credit Suisse beschäftigt weit über tausend sogenannte Key Risk Takers, die ein Millionensalär kassieren. Über tausend! Diese Zahl ist viel zu hoch und es fragt sich auch, ob diese hochbezahlten Bankangestellten überhaupt in adäquater Form Risiken tragen, wenn sie sich nicht, so wie die Aktionäre, auch an den Verlusten beteiligen.
Banken brauchen keine Halbgötter
Der gebetsmühlenartig vorgetragene Hinweis, man müsse die «Talente» entsprechend bezahlen und sich am Markt orientieren, ist in jeder Hinsicht unglaubwürdig. Was sind denn das für «Talente», die systematisch den Unternehmenswert zulasten der Aktionäre plündern? Was sind das für «Talente» respektive Verlust produzierende Banker, denen Hunderte von Millionen als sogenannte «retention awards» bezahlt werden, um sie bei der Stange zu halten? Klar ist doch: Es braucht in unserer Branche keine Halbgötter und Übermenschen, sondern solide Schaffer, die mit ihren Füssen auf dem Boden stehen. Sie sollen gut oder auch sehr gut verdienen, aber nicht das Mehrfache dessen, was vergleichbare Kader zum Beispiel in der Gesundheitsbranche oder in der Industrie erhalten.
Würde die Credit Suisse ähnliche Durchschnittssaläre zahlen wie beispielsweise eine Nestlé, Roche oder Novartis, wäre sie schlagartig profitabel. Gefordert ist in der Bankenwelt eine Kultur der Demut, in der auch die Interessen der Aktionäre wieder einen Wert haben. Vorgelebt hat diese Kultur ausgerechnet ein Vertreter einer Staatsbank. Der im letzten Jahr abgetretene Chef der Zürcher Kantonalbank, Martin Scholl, führte «seine» Bank über Jahre unspektakulär, bodenständig und fast schon langweilig. Es braucht nicht mehr, aber auch nicht weniger, um erfolgreich zu sein.