Welche Kennzahl schauen Sie sich am Morgen jeweils zuerst an?

Das ist die Entwicklung der zehnjährigen US-Staatsanleihen. Auf Bloomberg sind sie mit weiteren Zins-Benchmarks auf einer Seite zusammengefasst. Auch die Zinskurve ist für mich wichtig.

 

Wie weit reagieren die Märkte denn heute, nach Jahren mit massiven Zentralbankinterventionen, noch auf Signale aus der Wirtschaft?

Die Märkte reagieren sehr rasch. Als kürzlich die neusten US-Zahlen zur Konsumentenpreisentwicklung publiziert wurden, die höher als erwartet ausgefallen waren, ging es nur Minuten, bis die Bond-Märkte reagiert hatten. Bei Notenbankentscheidungen hat man dagegen gelernt, mit der Foward Guidance, den kommunizierten absehbaren Schritten, umzugehen.

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Das war vor 30 Jahren noch anders.

Ja, 1994 hatte die Fed im Februar für alle überraschend die Leitzinsen erhöht, worauf die Bond-Märkte mit grossen Verlusten reagierten.

 

Jetzt hatten wir aber – aus unterschiedlichen Gründen – 15 Jahre ein Quantitative-Easing-Regime. Wie weit sind die alten Erfahrungen noch gültig?

Grundsätzlich kehren wir damit zur Normalität zurück. Die Notenbanken wollen ihre riesigen Bilanzen nach und nach abbauen. Damit haben sie letztes Jahr gestartet, indem sie Fälligkeiten auslaufen lassen und Coupons nicht reinvestieren. Allein in der Euro-Zone werden das in den kommenden Monaten 60 Milliarden Euro sein. Man muss abwarten, wie das der Markt verkraftet.

 

Es gibt ja wieder positive Zinsen.

Die sind in den USA mit 4 bis 5 Prozent je nach Laufzeit wieder auf einem Niveau, bei dem Obligationen attraktiv sind. Auch in der Schweiz rentieren zehnjährige Staatsanleihen wieder um die 1,5 Prozent.

Die Analytikerin

Charlotte Bänninger ist Global Head Fixed Income bei UBS Asset Management und arbeitet in Zürich. In dieser Funktion verantwortet sie 270 Milliarden Franken verwaltetes Vermögen in globalen festverzinslichen Anlagen und Geldmarktstrategien. Sie führt ein Team von über 130 Investment-Spezialisten. Sie ist zudem Vorsitzende von Fixed Income Investment Forum und Fixed Income Management Team.

Wenn die Inflationsrate höher ist, verlieren Investoren unter dem Strich auch bei 5 Prozent Zinsen Geld.

Grundsätzlich sind 5 Prozent besser als, sagen wir, null Prozent. Die Dreimonats-Inflationszahlen liegen sogar darunter.

 

Wenn man die Forward-Kurven betrachtet, sieht es im dritten Quartal nach zurückgehenden Zinsen aus.

Ja, die Märkte erwarten, dass die Inflationsraten fallen werden. Sie rechnen mit einem Höchstwert der Fed- respektive der EZB-Zinsen bei ungefähr 5,4 beziehungsweise 3,9 Prozent.

 

Was ist mittelfristig zu erwarten – welches Zins- und Inflationsniveau werden wir sehen?

Es wird wohl keine schnelle Rückkehr zum 2-Prozent-Inflationsziel geben. Dennoch erwarten die Märkte eine solch rasche Rückkehr, obwohl der Dreimonatsdurchschnitt der Inflation wieder von 4,1 auf 4,3 Prozent angestiegen ist.

Kommen wir zu den Fundamentalfaktoren, welche die Notenbanken nicht direkt beeinflussen können, beispielsweise den Arbeitsmarkt.

Der Arbeitsmarkt ist so robust wie zuletzt in den 1960er Jahren. Wenn es zu Zweitrunden-Effekten kommt, die Löhne steigen und die Unternehmen die höheren Produktionspreise an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergeben, wird die US-Notenbank Fed ihre Zinsen nicht reduzieren. Die Fed ist unter ihrem Chef Jerome Powell etwas vorsichtiger als der Markt und hat hier klar kommuniziert, dass die Zinspolitik datenabhängig gestaltet wird. Sollte die Inflation nicht weiter fallen, wird der Markt auf dem falschen Fuss erwischt.

 

Die inverse Zinskurve weist auf eine Rezession in den USA hin.

Wir erwarten eine Abschwächung der Wirtschaft, jedoch keine Rezession, da der Arbeitsmarkt in guter Verfassung ist. Wir erwarten auch keine überdurchschnittlichen Ausfälle im High-Yield-Segment, da sich diese Unternehmen mit längerfristigen Krediten bereits refinanziert haben.

 

Neben den Arbeitsmärkten in den USA, in Europa und der Schweiz gibt es noch weitere Themen, die für die Inflationsentwicklung eine wichtige Rolle spielen. Beispielsweise China.

Die Entwicklung in China ist für den Rest der Weltwirtschaft sehr wichtig. Grundsätzlich verbessert sich die Situation nach den Corona-Öffnungen. Der Immobilienmarkt wird nach den Turbulenzen wieder gestützt. Nachdem Staatschef Xi Jinping Wohlstand für alle versprochen hat, ist sein Fokus nun wieder auf Wachstum ausgerichtet. Dabei ist die Konsumentin, der Konsument sehr wichtig. Die Wachstumserwartungen für China sind bei ungefähr 5 Prozent für 2023.

«Geopolitisch bestehen grosse Unsicherheiten.»

Was heisst das für institutionelle Anleger?

Die Zinsen sind auf einem attraktiven Niveau. Es lassen sich wieder positive Renditen erwirtschaften. Attraktiv ist der Bereich kurzer Laufzeiten, weil sie nicht sehr sensitiv auf Zinsänderungen reagieren. Hier lassen sich 5 Prozent in Dollar und 2 bis 2,5 Prozent bei Franken-Obligationen erzielen. Im High-Yield-Bereich sind es 7 bis 8 Prozent.

 

Was sind die neuen Themen auf Produkte-Seite?

Viel tut sich im Nachhaltigkeitsbereich. Die grössten Herausforderungen sind hier die ständig neuen Bestimmungen der Regulierungsbehörden. Ausserdem ist es schwierig, für alle geforderten Reporting-Standards die korrekten Daten zu erhalten. Aber der Bereich ist wichtig, und deshalb haben wir über die letzten Jahre in ihn investiert. Bei uns im Asset Management haben wir zum Beispiel ein Team von über dreissig Nachhaltigkeitsspezialistinnen und -spezialisten, die anlageklassenübergreifend eng mit unseren Fundamentalanalystinnen und -analysten zusammenarbeiten, um die Grundlage für neue Produkte zu erarbeiten.

 

Welches sind die neuen Entwicklungen hier?

Vor einigen Jahren lag der Fokus vor allem auf Ausschlüssen und Best-in-Class-Ansätzen. Mit wachsendem ESG-Bewusstsein sind nun vermehrt Produkte mit Klima-Ausrichtung, nachhaltige Themen-Fonds und Impact-Produkte – mit messbarem sozialem oder ökologischem Effekt – im Trend. Ein immer wichtigeres Thema ist auch Engagement. Dabei geht es darum, im aktiven Dialog mit der Firmenführung beispielsweise Verbesserungen im Nachhaltigkeitsbereich mit klar messbaren Zielen und Umsetzungsplänen zu vereinbaren. Ausserdem wird Impact Investing an Bedeutung zunehmen. Im Private-Equity- und Venture-Capital-Bereich hat das schon eine längere Tradition. Zudem stellen wir eine Ausdifferenzierung der Themen fest. Neben Klimaschutz stehen zum Beispiel zunehmend Menschen- und Arbeitsrechte, Diversität, Chancengleichheit, Inklusion, Gesundheit und Naturkapital im Fokus.

 

Und wenn Sie einen Ausblick formulieren?

Es gibt wieder Zinserträge. Darüber hinaus: Es kann natürlich alles anders kommen, als man das jetzt am Markt erwartet. Ein wichtiger Faktor wird China sein, und auch geopolitisch bestehen grosse Unsicherheiten. Grundsätzlich sind wir aber verhalten optimistisch.