Seit gut fünfzig Jahren, nach dem Erscheinen des Berichts «Grenzen des Wachstums» des Club of Rome, spielt die Umwelt bei Unternehmen eine Rolle. In den vergangenen Jahren haben die globalen Klima- und Umweltkonferenzen zu einem immer vielfältigeren Regelwerk für die Reduktion von Emissionen und die Berichterstattung von Firmen darüber geführt. Erst in jüngster Zeit konzipieren Vordenker die Einheit von natürlicher Umwelt und Unternehmen. Unterschiede – hier die Wirtschaft, da die Umwelt – seien überholt. Die Verbindung herzustellen, ist nicht ganz einfach.

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Natur lässt sich bewerten

Zunächst kann ein Unternehmen die materiellen Auswirkungen und Abhängigkeiten von der Natur bewerten, sagt Joshua Kauffman, Gründer von Ground Effect, einer US-Boutique für sogenannte katalytische Frühphaseninvestitionen, welche die «Interessen lebender Systeme vertritt». «Unternehmen können sich dann ein vollständigeres Bild von ihrer Beziehung zum Naturkapital machen. Das versetzt sie in die Lage, ehrlich zu bewerten, wie ihre Beschaffung und ihr Betrieb die lebende Welt schädigen oder heilen.» Laut Kauffman liegt der wirtschaftliche Vorteil darin, dass Führungskräfte, die sich mit dem Thema Natur positiv auseinandersetzen, enorme Vorteile entdecken, weil sie ihre Lieferketten so detailliert kennen, wie es im modernen Management bisher selten der Fall war.

«Es ist nicht leicht, ein Unternehmen zu erkennen, das nachhaltig arbeitet. Am einfachsten zu erkennen sind Firmen, die sich explizit dem Naturschutz verschrieben haben und die sich mit ‹naturbasierten Lösungen› beschäftigen», erklärt Kauffman. Bei Unternehmen, die nicht explizit im Naturschutz tätig sind, ist der erste Anhaltspunkt, ob sie ihre umfassenden Auswirkungen auf die Natur offenlegen, die über den Klimawandel hinausgehen und die auch die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, die Umweltverschmutzung, die Nutzung von Süsswasser und mehr umfassen.

Unter Anlegern ist ESG ein bekanntes, aber umstrittenes Konzept.

Manchmal hilft auch ein Blick in die Bilanz. «Einige Unternehmen, die eine Vorreiterrolle spielen, haben Zahlen in der Bilanz, aber das ist äusserst selten», sagt Kauffman. «Das Problem ist, dass die Unternehmen derzeit nicht verpflichtet sind, ihre wesentlichen Auswirkungen auf die Natur offenzulegen.» Dies werde sich jedoch bald ändern. In Ziel 15 der jüngsten globalen Biodiversitätskonvention COP 15 von Montreal heisst es, dass die Länder die Unternehmen dazu ermutigen und befähigen, ihre Risiken, Abhängigkeiten und Auswirkungen auf die biologische Vielfalt regelmässig zu überwachen, zu bewerten und transparent offenzulegen, einschliesslich der Anforderungen an alle grossen sowie transnationalen Unternehmen und Finanzinstitute entlang ihrer Tätigkeiten, Liefer- und Wertschöpfungsketten und Portfolios. «Diese Offenlegungen werden sich vielleicht zunächst nicht in den Bilanzen niederschlagen, aber sie werden erhebliche Auswirkungen auf die Unternehmensbewertung, die Bewertung von Naturrisiken, die Preisgestaltung von Versicherungen, die Haftung bei Umweltklagen sowie auf wichtige immaterielle Faktoren wie den Ruf, die Attraktivität für Verbraucher und die Anwerbung und Bindung von Talenten haben», so Kauffman.

Unter Anlegern ist ESG inzwischen ein bekanntes, wenn auch umstrittenes Konzept. Kauffman zufolge ist es nicht sehr integriert, da diese Bewertungen dazu neigen, Unternehmen zu belohnen, die nicht in hohem Masse von der Natur abhängig sind. «Ich würde ein System bevorzugen, das Unternehmen innerhalb der Standards ihrer eigenen Branche für die Intensität und Verantwortung der Interaktionen mit der Natur einstuft. Und was noch wichtiger ist: Wir müssen die Wirtschaft als Ganzes sehen und nicht als eine Reihe von Einzelteilen», so Kaufmann.

Der Hebel bei grossen Unternehmen

Anpassungen für kleine Unternehmen erscheinen machbar. Hier könnten die Aktionärinnen und Aktionäre eine wichtige Rolle spielen. In grossen Unternehmen ist die Stimmrechtsvertretung eine wirksame Strategie. «Für grosse Unternehmen möchte ich zwei Hebelpunkte nennen, an denen wir interessiert sind», erklärt Kauffman. «Der erste ist die Bereitstellung von Startup-Kapital für Unternehmen. Zweitens engagieren wir uns stark in der Wissenschaft der biologischen Vielfalt und der Schaffung von Naturmärkten, um dazu beizutragen, dass die Natur zu einer Anlageklasse wird.» Ziel ist es, ein globales System zu unterstützen, das die Auswirkungen eines Unternehmens auf die Natur misst und einen Marktmechanismus einsetzt, um die Unternehmen für ihre Bemühungen zur Regeneration der lebenden Systeme der Erde zu belohnen.

Die bei weitem grösste Rolle, die die Konsumentinnen und Konsumenten spielen können, ist, weniger zu konsumieren, sagt Kauffman. «Vielleicht schwieriger, aber wichtiger ist es, sich daran zu erinnern, dass die Menschen den grössten Einfluss nicht als Verbraucher, sondern als Mitglieder von Demokratien haben. Das bedeutet, engagierte Bürgerinnen und Bürger zu sein, die die Regierungen ermutigen, die Bedingungen zu schaffen, unter denen naturfreundliche Unternehmen als Motoren des Wirtschaftswachstums und als Vorbilder für die Ideale der Gesellschaft belohnt und gefeiert werden.»