Die Investoren, die im September vergangenen Jahres schweizerische oder amerikanische Aktien gekauft hatten, haben damit je 10 Prozent Kursgewinne gemacht. Gleichzeitig haben sie damit gegen die Börsenregel «Don’t fight the Fed» verstossen: «Kämpfe nie gegen die Politik der Zentralbank», lautet die in den 1970er Jahren geprägte Regel, die eine wichtige Rolle spielt.

Anlageberater und Analystinnen erinnern immer wieder daran, sie zu befolgen, denn vielerorts geht man davon aus, dass die Hundertschaften von sehr fähigen Experten bei den Zentralbanken über die besseren Datenquellen verfügen und viel mehr wissen als alle weiteren Marktteilnehmer. Die Experten von Morgan Stanley beispielsweise rieten Ende Januar zum Verkauf von Aktien – denn die Fed habe sehr wohl gute Gründe, die Leitzinsen weiter anzuheben, und das wiederum wäre Gift für die kurzfristig eingespielten Kursgewinne.

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Daten als Entscheidungsgrundlage

«Ich denke, es ist wichtig zu verstehen, warum dies als eine Anlegerweisheit gilt», erklärt Karsten Junius, Chefökonom bei der Bank J. Safra Sarasin in Zürich. Denn die Fed hat mit ihrer Geldpolitik einen extrem starken Einfluss auf die beiden global wichtigsten Variablen an den Finanzmärkten. Das sind die risikofreien Nominalzinsen und damit indirekt auch die Realzinsen, die als Diskontfaktor oder als Opportunitätskosten bei der Bepreisung aller Vermögenspreise verwendet werden, sowie zu einem gewissen Ausmass der Dollar, der wiederum Liquiditätsanker und Weltreservewährung Nummer eins ist.

«Solange eine Zentralbank diese beiden Variablen beeinflussen kann, sollte man sie besser nicht bekämpfen», rät Junius. Damit werde auch klar, in welchen Fällen und bei welchen Zentralbanken die Anlegerregel nicht gilt. «Nämlich bei denen, die nur unvollständige Kontrolle über ihre Währung und die inländischen Zinsniveaus haben», so Junius.

Vollbeschäftigung oder Inflation?

Dennoch – die Regel gilt, obwohl sie in jüngster Zeit immer wieder mal von institutionellen und privaten Investoren getestet worden war. «Allerdings ist es natürlich unser Bestreben als aktive Vermögensmanager, das Verhalten der Fed besser zu prognostizieren, als sie es in ihren ‹dot plots› selber tut», so Junius. Die Zentralbanken entscheiden heute weitaus stärker als noch vor fünfzig Jahren auf der Grundlage immer besserer und rascher verfügbar gemachter Daten. «Zeitweise waren Covid-19-Infektionen, Mobilitätsdaten und Lieferengpässe sehr wichtig. Aktuell sind sie es nicht», so Junius. «Das Gleiche gilt für die US-Geldmenge, die vor 35 Jahren noch eine zentrale Rolle spielte.»

Generell könne man sich gut an dem dualen Mandat der Fed orientieren und Variablen beobachten, die entweder die Lage am Arbeitsmarkt oder den Inflationsdruck beschreiben. Dann müssten Investoren entscheiden, welches zurzeit das grösste Problem der Fed ist. Hier stehen zwei im Vordergrund: Vollbeschäftigung oder Inflation. «Momentan ist es die Inflation – und damit sind inflationsprognostizierende Variablen zentral», so Junius weiter. «Dazu gehört, ganz wichtig, aktuell auch die Bereitschaft, sich am Arbeitsmarkt zu beteiligen.»

 

Gilt nur einschränkt für SNB

Treiber der Inflation sind auch die Rohstoffpreise – und die entziehen sich der Kontrolle der Zentralbanken. «Was für die Zentralbanken ausser Kontrolle ist, kann auch nicht von Anlegerinnen und Anlegern kontrolliert werden», sagt Junius. «Wer die damit verbundenen Unsicherheiten und Volatilität nicht aushalten kann, sollte sich defensiv verhalten und vorsichtig investieren.» Das gelte auch für institutionelle Investoren. «Wir präferieren defensive Anlagen und würden aktuell eher Anleihen als Aktien übergewichten. Auch Gold erscheint uns attraktiv.»

Rohstoffpreise entziehen sich der Kontrolle der Zentralbanken.

Bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) sowie der Europäischen Zentralbank (EZB) gelte die Regel nur eingeschränkt, weil diese keine so starke Kontrolle über ihre Wechselkursentwicklung und das heimische Zinsniveau haben. «Das mussten SNB, EZB und die Bank of England in den letzten Jahren immer wieder realisieren», so Junius. «Kurzfristig mag es auch bei ihnen riskant sein, gegen sie zu spekulieren. Mittelfristig müssen sie sich aber ökonomischen und finanziellen Entwicklungen beugen, die sie nicht ganz unter Kontrolle haben.»

Das gilt selbst für Japan. Dort hatte die Zentralbank im Dezember vergangenen Jahres ihre bis anhin felsenfesten Renditekurvenziele unter der Macht der Verhältnisse aufgegeben. Zuvor hatten Anleger die japanischen Staatsanleihen dreissig Jahre lang erfolglos geshortet. Aus guten Gründen galt die Wette gegen die Bank of Japan als «Witwenmacher».

Und noch extremer sind die Verhältnisse bei aufstrebenden Märkten. Dort kommen die Währungen regelmässig unter Druck, wenn die Zinsen in den USA steigen. In diesen Märkten müssten sich die Zentralbanken regelmässig auf die Fed einstellen, indem sie die Leitzinsen erhöhen, um ihre eigenen Währungen zu verteidigen.