Als 1949 in Zürich die ersten Lichtsignale eingeführt wurden, war laut zeitgenössischen Medienberichten die Skepsis gross: Würden sich die Verkehrsteilnehmer daran halten?
Inzwischen gibt es allein in der Stadt Zürich mehr als 400 Lichtsignalanlagen mit insgesamt 6000 Ampeln. Als prominenteste Lichtsignale der Schweiz gelten die beiden an den Tunneleinfahrten des Gotthards. In Deutschland sind es gemäss Siemens, einem wichtigen Hersteller, rund 1,5 Millionen Anlagen. Lichtsignale sind indes nur der sichtbare Teil der Verkehrssteuerung von Strassen. Die Steuerung dahinter wird laufend verbessert – und das Thema ist zu einem eigenständigen Innovationsgebiet geworden.
Verlustzeiten minimieren
«Lichtsignale verfolgen das Ziel, die an Kreuzungen konkurrierenden Verkehrsströme der unterschiedlichen Verkehrsmittel sicher und effizient abzuwickeln», beschreibt Stefan Lämmer, Gründer und CTO des Startups Lumisera aus Affoltern am Albis diese Aufgabe. Dabei spiele gerade im dichten Verkehr zu Spitzenzeiten eine gute Interaktion der benachbarten Lichtsignalanlagen eine Rolle. «Werden diese statisch betrieben, so stellt dies zwar eine recht stabile Abwicklung des Verkehrs sicher, dies geht aber insbesondere dort mit Nachteilen einher, wo sich einzelne Mobilitätsbedürfnisse nicht bündeln lassen», so Lämmer. «Fährt beispielsweise ein Bus in einer grünen Welle mit und muss dann die nächste Haltestelle entlang des Strassenzugs bedienen, so ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass er wegen der Aufenthaltszeit an der Haltestelle aus der grünen Welle fällt und an der nächsten Ampel warten muss, bis die nächste Welle beginnt.»
Lumisera beschäftigt sich mit Lösungen, mit denen Lichtsignale selbstständig gesteuert werden. «Im genannten Beispiel würde die Selbststeuerung die grüne Welle gezielt anpassen, so dass der Bus mit geringstmöglichen Verlustzeiten die nächste Ampel passieren kann», beschreibt Lämmer diesen Vorgang. «Die grüne Welle würde sich im Gegensatz zu statischen Steuerungen auf die aktuelle Situation anpassen und das Grünband neu ausrichten, so dass der Bus gut passieren kann.»
Spannend wird es, wenn die Fahrzeuge in Zukunftuntereinander vernetzt sind.
Dann passiere genau das, was für alle Verkehrsteilnehmenden insgesamt am besten ist. «Möglich ist dies deswegen, weil die Selbststeuerung die Verkehrszuflüsse an den Kreuzungen gestützt auf die Sensorik antizipiert und die Verteilung der Grünzeiten sekündlich nach einer klaren Zielfunktion optimiert», erklärt Lämmer. Ein erstes Projekt hat Lämmer mit seinem Team in Luzern abgeschlossen.
Selbstgesteuerte Lichtsignalanlagen würden die Optimierungsfrage für sich allein lösen. «Aber das geht nur, wenn sie auch den Verkehr und die Platzverhältnisse an ihren Nachbarkreuzungen mitberücksichtigen», so Lämmer. «So sagt etwa die nachfolgende Anlage, wie viele Fahrzeuge noch auf den Aufstellstreifen Platz haben, und umgekehrt gibt die vorausliegende der nachfolgenden Anlage an, wie viele Fahrzeuge sie stromabwärts passieren lassen will.» Bei der Priorisierung einzelner Haupt- und Nebenachsen sowie der einzelnen Verkehrsmittel hätten die Betreiber freie Hand. Sie können beispielsweise einer Achse ein höheres Gewicht geben, um dort den Verkehrsfluss hoch zu halten. «Verkehrt jedoch auf der Nebenachse eine wichtige Tram- oder Buslinie, so dürfte er auch diesen ein erhöhtes Gewicht geben wollen», sagt Lämmer. Auch liessen sich damit Nachhaltigkeitsaspekte steuern.
«Bei gleichen Verkehrsmengen lassen sich insgesamt die Brems-, Halte- und Anfahrvorgänge reduzieren und darüber hinaus aus multimodaler Sicht betrachtet mehr Verkehr bei gleichem oder gar reduziertem Ressourcenverbrauch abwickeln», sagt Lämmer.
Autonome Fahrzeuge und Karten
Darüber hinaus lassen sich auch bestimmte Verkehrsteilnehmer einbinden. «Einiges ist bereits heute möglich, so wie beispielsweise die Erfassung von Trams und Bussen oder auch von Notfallfahrzeugen», erklärt Lämmer. «Richtig spannend wird es, wenn die Fahrzeuge dereinst miteinander vernetzt sind und somit noch besser antizipiert werden kann, wer wann wo wie abbiegen möchte.»
Wenn man darüber hinaus zukünftig auch Kartensysteme und dahinter stehende Steuerungen einbinden kann, würden sich ganz neue Optionen erschliessen.
Und sind die Fahrzeuge dannzumal wirklich komplett automatisiert, so stellt sich laut Lämmer die Frage, wer dann wirklich steuert. «Jedenfalls wäre es durchaus denkbar, dass die Steuerung der Fahrzeuge dereinst mit derjenigen der Lichtsignale verschmilzt und somit der ganze Weg von A nach B durchs Verkehrssystem hindurch mit einer globalen Steuerungslogik gemanagt würde.»