Leise summten die Kühlventilatoren von zwei Computern im Keller. Die angeschlossenen Modems blinkten. Dann dauerte es einige Minuten, bis in der Garage, dem improvisierten Büro, die Glocke zum ersten Mal klingelte: Die erste Bestellung – ein Buch – war eingetrudelt!
Die Abwicklung und Verpackung übernahm gleich die Frau des Firmengründers. Der musste sich mit organisatorischen Fragen herumschlagen. Beispielsweise damit, wie man die Mindestbestellmenge von jeweils zehn Büchern beim Grosshändler unterlaufen konnte.
Auch Amazon-Gründer Jeff Bezos fing im Sommer 1994 sehr klein an – das mag für viele KMU, die Online-Pläne haben, ein Trost sein. Zumal auch die schweizerischen Marktplätze allesamt einmal Neugründungen gewesen waren und auf ähnliche Startbedingungen zurückblicken können.
Inzwischen sind sie zu Konkurrenten der traditionellen Geschäfte geworden: Das jüngste vom Zürcher Beratungsunternehmen Carpathia ermittelte Ranking sieht Digitec mit 1,125 Milliarden Franken vor dem schweizerischen Ableger von Zalando und dem schweizerischen Anteil bei Amazon. Um in die Top Ten zu kommen, muss man mehr als 200 Millionen Franken Umsatz einspielen.
Und unter den grössten Anbietern gibt es keine Firmen mehr, die noch vor kurzer Zeit klein gewesen waren. Wer jetzt dominiert, hatte zwar oft einmal als KMU angefangen – aber der Grundstein des Erfolgs musste vor der Covid-19-Pandemie gelegt und eine kritische Grösse bereits vorher erreicht werden.
Viele KMU stehen vor der Herausforderung, rasch eine Online-Präsenz aufzubauen.
Umgekehrt stehen viele KMU vor der Herausforderung, rasch eine Online-Präsenz aufzubauen und entweder über eine grosse Marktplatzplattform oder eigenständig Produkte und Services anzubieten. Damit fangen die Herausforderungen an – wie lässt sich so etwas rasch und zweckmässig beginnen?
Mehrere Marktplätze möglich
«Zuerst gilt es, die relevanten Marktplätze zu identifizieren, dann mit dem Marktplatz Kontakt aufzunehmen, um die Rahmenbedingungen und finanziellen Faktoren zu klären», rät Martin Egli, Digital Business Consultant bei Carpathia in Zürich. «Danach das Szenario durchrechnen, um abschätzen zu können, ob unter dem Strich noch eine grüne Zahl steht.»
Firmen sollten auch nicht zögern, Spezialisten beizuziehen. «Wenn ein KMU keine Erfahrung mit Marktplätzen und Crossboarder-E-Commerce hat, lohnt es sich, von spezialisierten Agenturen Beratung anzufordern», sagt Darius Zumstein, Dozent und Forscher im Bereich E-Commerce an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Es erscheint sinnvoll, zunächst einen Plan zu entwickeln, bevor man loslegt. «In einer Vertriebsstrategie ist zuerst zu definieren, welche Sortimente beziehungsweise Produkte zu welchem Preis auf welchen Marktplätzen in welchen Ländern angeboten werden.» Wolle man in der EU und in den USA verkaufen, komme man um Amazon nicht herum, meint Zumstein. In Asien komme man nicht um Alibaba und in der Schweiz nicht um Galaxus herum. «Es kann sich aber durchaus lohnen, zusätzlich auf weiteren Plattformen wie Microspot.ch, Tutti.ch, Anibis.ch, Ricardo.ch oder Ebay oder auf B2B-Plattformen zu verkaufen», so Zumstein.
Auch Egli sieht positive Argumente für einen Verkauf über mehrere Marktplätze. «Dieser Entscheid hängt von zu vielen Faktoren ab, um das pauschal zu sagen», sagt der Carpathia-Experte. So komme es unter anderem auf die Reichweite und die Marktabdeckung der Marktplätze an. Um ein Klumpenrisiko und Abhängigkeit zu vermeiden, könne es sinnvoll sein, auf mehreren Marktplätzen zu verkaufen. «Jedoch kann der Verkauf über mehrere Marktplätze, die dieselbe Kundschaft bedienen, zu einer negativen Preisspirale führen», so Egli.
Wenn es sich um einen Marktplatz handelt, sind Händler in der Preisgestaltung frei. «Das heisst aber trotzdem, dass die Preise konkurrenzfähig sein müssen, um Absätze zu erzielen», empfiehlt Egli. «Also am besten vorab eine Preisanalyse durchführen, um den Marktpreis zu eruieren, und die eigene Kalkulation auf diesem Wert aufbauen, nicht auf dem UVP.»
Entscheidende schnelle Lieferungen
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – das gilt auch und gerade im Online-Handel. Produktinformationen, Bilder und Videos werden typischerweise vom Hersteller bereitgestellt (siehe Box). «Ist ein KMU selbst Produzentin oder Dienstleisterin, müssen Bilder und Videos selber oder in Zusammenarbeit mit Content Marketing Agenturen produziert werden», sagt Zumstein.
«Händler müssen fähig sein, Bestands- und Auftragsdaten automatisiert mit dem Marktplatz auszutauschen.»
«Es empfiehlt sich, hochwertige Inhalte zu erstellen, schliesslich kann man sich damit gegenüber anderen Anbietern differenzieren.» In den meisten Fällen lohnt es sich nicht, eine eigene Logistik aufzubauen und zu betreiben, sondern mit externen Logistikanbieter zusammenzuarbeiten, sagt Zumstein. «Wenn ein KMU exportiert, braucht es starke Partner wie zum Beispiel Asendia, weil die Herausforderungen rund um die Themen internationale Logistik und Verzollung systematisch unterschätzt werden.»
«Für die Logistik ist man grundsätzlich selbst verantwortlich», so Egli. Es gebe die Möglichkeiten, eine eigene Logistik aufzubauen, die auch auf Kleinstmengen ausgelegt ist, oder dafür einen externen Dienstleister zu beauftragen. Teilweise bieten Marktplätze ein Fulfillment an und übernehmen dadurch die Lagerung und den Versand. Jedoch wird dieser Service den Händlern normalerweise verrechnet. «An dieser Stelle darf man nicht vergessen, dass die Lieferzeit bis zum Endkunden nicht mehr als ein bis zwei Tage betragen sollte. Händler müssen fähig sein, Bestandsdaten und Auftragsdaten automatisiert über Schnittstellen mit dem Marktplatz auszutauschen.»
Solche Schnittstellen gab es in der Startphase von Amazon 1994 noch nicht. Für Jeff Bezos standen praktische Herausforderungen im Vordergrund. Wie beispielsweise die erwähnte Mindestbestellmenge für Bücher. Seine Lösung: Er bestellte jeweils das eine Buch, das er für seinen Kunden benötigte, und neun zusätzliche Ememplare eines Buchs über Flechten. Denn das war immer vergriffen und konnte dann halt einfach nicht geliefert werden.
Gute Bilder und aktuelle Angaben Abklärung Wenn Händler Produkte anbieten, die schon auf dem Marktplatz gehandelt werden, sind laut Martin Egli, Digital Business Consultant von Carpathia, die Daten oft schon in ausreichender Qualität vorhanden. Das müsste aber jeweils geprüft werden. «Grundsätzlich kann man jedoch sagen, dass Händler die Produktdaten und Fotos in hoher Qualität verfügbar haben sollten», so Egli weiter. Anpassen «Es ist empfehlenswert, möglichst früh die Anforderungen der Marktplätze einzuholen, damit die Daten gleich auf die Bedürfnisse ausgerichtet aufbereitet werden können.» Verfügbarkeit Die Notwendigkeit zuverlässiger Produktdaten würde oft unterschätzt. «Händler, die mit dem Gedanken spielen, ihre Aktivitäten in den E-Commerce auszuweiten, benötigen primär eine gute Datenbasis», meint Martin Egli. Neben den Produktdaten dürfen auch die aktuellen Produktverfügbarkeitsdaten nicht vergessen werden: Ein Händler muss sie ebenfalls übermitteln können, damit Käuferfrust möglichst ausbleibt.