Die Welt ist im Wandel, und der Krieg in der Ukraine und der Hitzesommer 2023 haben unsere Abhängigkeit von einer sicheren und zuverlässigen Stromversorgung aufs Deutlichste gezeigt. Doch für eine lebenswerte Zukunft sind nicht nur eine diversifizierte und auf erneuerbaren Energiequellen basierende Stromerzeugung und eine Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft notwendig, sondern auch ein nachhaltiger Umgang mit sämtlichen Ressourcen.
Textilindustrie: Grosser Verschmutzer
Die Wirtschaft muss von linearen Produktlebenszyklusmodellen auf ein umweltbewusstes, zirkuläres Materialmanagement umstellen, das heisst auf eine Kreislaufwirtschaft. Für das Erreichen dieses Ziels können innovative Technologien zukünftig einen wesentlichen Beitrag leisten.
Eine Branche, bei der in Sachen Nachhaltigkeit viel Spielraum nach oben besteht, ist die Textilindustrie. Gemäss der Forschungsstelle des Europäischen Parlaments verursacht allein die Modebranche 10 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen – mehr als die internationale Luftfahrt und Seeschifffahrt zusammen. Das Färben und die Veredelung von Textilien im Rahmen ihrer Herstellung sind schätzungsweise für rund 20 Prozent der weltweiten Wasserverschmutzung verantwortlich, und durch das Waschen von synthetischen Textilien gelangen unzählige Tonnen Mikrofasern in die Ozeane. Dazu kommt, dass viele Kundinnen und Kunden eine veritable Wegwerfmentalität verfolgen.
Um einen Paradigmenwechsel in der Modeindustrie herbeizuführen, müssen alle Beteiligten der Wertschöpfungskette auf dieselben Ziele hinarbeiten. Das in diesem Sommer gegründete Swiss Textile Recycling Ecosystem ist ein Netzwerk, das die Entstehung einer Kreislaufwirtschaft für Textilien vorantreiben will. Textilhersteller, Einzelhändler, Wertstoffsammler und -sortierer sowie Markeninhaber und Technologieanbieter streben eine Zusammenarbeit an, um Nachhaltigkeitsvisionen für den Sektor zu verwirklichen.
Der Autor
Erik Koep, CEO, Worn Again Technologies, Nottingham.
Neue Recyclingverfahren
Die Basis der Initiative ist die innovative Recyclingtechnologie von Worn Again Technologies (WAT): Aus zerschlissenen Textilien soll Garn für neue Kleidung gesponnen und die Modeindustrie somit nachhaltiger werden. Technologie- und Scale-up-Partner von WAT ist Sulzer Chemtech. Die Demonstrationsanlage in Winterthur ist in Planung, die Anlageninstallation soll 2024 erfolgen.Mit einem neuen Verfahren werden Polyester (Polyethylenterephthalat/PET) und Zellulose aus nicht wiederverwendbaren, schwer recycelbaren Mischtextilien von Endverbrauchern und aus industriellen Quellen zurückgewonnen. Zudem reinigt das Technologieverfahren die gewonnenen Produkte, indem Farbstoffe, Fremdstoffe und Unreinheiten entfernt werden, was ein entscheidender Vorteil gegenüber herkömmlichen mechanischen Recyclingverfahren ist. So entstehen hochwertige, reine Materialien, die in bestehenden Anlagen zu neuen Fasern, Textilien und anderen Produkten verarbeitet werden können.
Die Demonstrationsanlage in industriellem Massstab – sie kann 1000 Tonnen Material pro Jahr verarbeiten – ist der erste Schritt zum Aufbau eines zuverlässigen Textilrecyclings und zu der Verwirklichung der Kreislaufwirtschaft mit Textilien. Anlagen mit fünfzig- bis sechzigmal höherem Durchsatz, die auch preislich kompetitiv sind, sollen weltweit gebaut werden.
Zur Kommerzialisierung der Demonstrationsanlage tragen verschiedene Branchenakteure massgeblich bei. Rieter wird die Kurzstapelspinnerei unterstützen, und Monosuisse kümmert sich um die PET-Faser-Produktion. Coop tritt als Einzelhändlerin auf, Texaid organisiert die Sammlung und Sortierung der zu recycelnden Textilien und liefert zusammen mit Sallmann (ISA) und Serge Ferrari die Ausgangsstoffe. Koordiniert werden die Aktivitäten von Swiss Textiles.
Entlang der Wertschöpfungskette
Umweltorganisationen und Branchenverbände schätzen, dass weltweit 92 Millionen Tonnen Textilien pro Jahr weggeworfen werden. Vor diesem Hintergrund ist das Swiss Textile Recycling Ecosystem ein wichtiger Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft und mehr Nachhaltigkeit in der Textilindustrie. Speziell am neuen Ökosystem ist, dass dank der verschiedenen Partner die Nachhaltigkeitsbestrebungen der gesamten textilen Wertschöpfungskette aufeinander abgestimmt werden und so ein ganzheitliches Ergebnis erreicht werden kann.