Wie steht es um die Kreislaufwirtschaft in der Schweiz?

(Karolin Frankenberger) In den letzten Jahren ist in der Schweiz sehr viel passiert. Die Awareness für das Thema ist deutlich grösser geworden. Auch die KMU sind mittlerweile sehr engagiert. Wir liegen in der Schweiz bei circa 10 Prozent Umsetzung der Kreislaufwirtschaft in den Unternehmen. Die flächendeckende Umsetzung bleibt allerdings nach wie vor eine Herausforderung. Die Einführung der Kreislaufwirtschaft erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise und eine fundamentale Veränderung der Geschäftsmodelle, auch über die Firmengrenzen hinweg. Das Ganze geht nicht über Nacht. Die Unternehmen müssen sich ändern, aber es braucht dann auch die Partner, Lieferanten und Kundinnen und Kunden, die mitziehen müssen. Das ganze Ökosystem eines Unternehmens ist von der Umstellung betroffen und muss zusammenspielen – das macht es komplex. 

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Wenn man sich die Zahlen anschaut, sieht man, dass die Kreislaufquote stetig sinkt. 

 

(Fabian Takacs) Ja, da ist noch sehr viel Luft nach oben. Der Rückgang ist einerseits auf den Rebound-Effekt nach Corona zurückzuführen, wo in vielen Branchen die Produktion wieder hochgefahren wurde, anderseits auf die weitere Beschleunigung des Konsums unserer Gesellschaft. Die Bestrebungen in der Kreislaufwirtschaft werden vom immer noch ungesättigten Konsumhunger weggefressen. 

 

Frustriert Sie das?

(KF) Ich sehe es nicht so negativ, weil man merkt, dass sich was bewegt. Wir haben es letztlich in der Hand, wie wir die Veränderung hin zu einer planetarisch-kompatiblen Wirtschaftsweise gestalten möchten. Entweder aktiv und positiv im Sinne von «by design» oder aber reaktiv «by desaster» – die Veränderung wird sowieso kommen. Viele Unternehmensführerinnen und -führer sehen den Wandeln kommen und wollen mitgestalten. Wir haben deshalb hier an der Universität St. Gallen auch den «Circular Economy Leader Circle» ins Leben gerufen. Ziel dieses C-Level-Gremiums ist, sich gegenseitig bei der Entwicklung zirkulärer Geschäftsmodelle zu unterstützen und Empfehlungen an die Politik abzugeben beziehungsweise mit der Politik stärker zusammenzuarbeiten. Wir müssen viel mehr zusammenarbeiten zwischen verschiedenen Industrien, aber auch zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Sektor. 

 

Können Sie Beispiele für Kreislaufwirtschaft nennen?

(KF) Ein Beispiel ist der Sportartikelhersteller On, der mit Cyclon versucht hat, einen zirkulären Schuh aus einem Monomaterial herzustellen, der komplett geschreddert werden kann, um daraus wieder einen neuen Schuh herzustellen. Ein anderes Beispiel aus der Chemiebranche: Clariant hat für die Enteisung von Flugzeugen eine Lösung entwickelt, mit der sich die entsprechenden Chemikalien in einem Becken auffangen und sie dann wiederverwendbar werden lassen. 

 

Sehr schöne Beispiele, aber vermutlich nur Einzelfälle.

 

(KF) Das sehe ich anders. Unternehmen brauchen Zeit, um die Geschäftsmodelle anzupassen, das sind fundamentale Veränderungen der Geschäftslogik. Das geht leider nicht so schnell. Jedes einzelne Beispiel hilft, um die anderen Unternehmen zu motivieren und um insgesamt den Wandel voranzutreiben. Es wird keinen Wandel von heute auf morgen geben, bei dem jemand zentral den Schalter umlegt, sondern es werden viele einzelne Beispiele sein, die dann irgendwann zusammen die grosse Masse ausmachen. Als Unternehmer tut man gut daran, sich schon jetzt mit dem Wandel zu beschäftigen.  

 

Die Unternehmen sind ja nur eine Partei. Macht denn die Politik genug, oder sind die Konsumenten und Konsumentinnen einfach noch nicht so weit?

(FT) Wir unterscheiden in der Wissenschaft in diesem Zusammenhang die neun R-Strategien. Das sind Strategien, die den Verbrauch von natürlichen Ressourcen reduzieren und die Kreislaufführung von Materialien unterstützen, wodurch die Entstehung von Abfall verringert wird. Die R-Strategien werden als Kerngerüst der Transformation hin zur zirkulären Wertschöpfung gesehen. Eine Reduzierung von Ressourcen kann durch Recycling, Repurpose, Reburbishment und Remanufacturing, Repair, Rethink – beispielsweise Sharing –, Reduce, Refuse und Reuse erreicht werden. Das Problem ist, dass viele Unternehmen in einem linearen System gefangen sind.

 

Was heisst das?

(FT) Es existieren viele Unternehmen, die etwas verändern und verschiedene R-Strategien einführen wollen. Aber ihr Business-Case mit einer Kreislauflösung ist teurer als die über Jahrzehnte etablierte lineare Lösung. Nehmen wir das Beispiel Reparatur: Es macht ja Sinn, Dinge zu reparieren, um den Lebenszyklus zu verlängern, bevor wir anfangen, zu recyceln oder zu verbrennen. Wir leben aber in der Schweizer in einer Gesellschaft, in der Arbeitskräfte sehr teuer sind. Da ist es günstiger, eine neue Jeans aus Asien zu importieren, als eine alte zu reparieren. Viele reden über Nachhaltigkeit, doch wer ist wirklich bereit, den Preis dafür zu bezahlen? Ohne gesellschaftliche Bereitschaft, den Preis zu bezahlen, werden kreislauffähige Lösungen langfristig einen schweren Stand haben. 

 

Ist das nicht genau der Punkt, bei dem die Politik mit Anreizen unterstützen kann?

(KF) Ja, es braucht alle Stakeholder. Wir brauchen zum einen die Unternehmen, die vorangehen und die Transformation umsetzen. Wir brauchen auch die Kunden und Kundinnen, die ihr Verhalten ändern. Und drittens brauchen wir unbedingt auch den Staat, der in Richtung Kreislaufwirtschaft stärkere Anreize und Rahmenbedingungen setzt. Wir sehen es beispielsweise bei den CO2-Zertifikaten, dass das funktionieren kann.

 

Können wir eventuell von anderen Ländern lernen?

(FT) In Österreich gibt es einen staatliche Reparaturbonus bis zu 200 Euro. Auf diese Gutscheine hat die Bevölkerung pro Jahr Zugriff und kann damit bei zertifizierten Stellen Dinge reparieren lassen. Rasenmäher beispielsweise, aber auch Kaffeemaschinen. Dies ist Teil des österreichischen Aufbau- und Resilienzplans. So wird ein Anreiz dafür geschaffen, dass die Kundinnen und Kunden vermehrt Reparaturen in Anspruch nehmen. Und damit wächst auch das Angebot an Reparaturdienstleistungen. Spannende Anreize gibt es zudem in Frankreich und Schweden.

 

Angenommen, Sie beide werden jetzt zu Circular-Economy-Kommissaren der Schweiz ernannt, mit voller Durchgriffsgewalt. Sie können also neue Policies durchsetzen. Gibt es da welche, die Ihnen sofort einfallen?

(KF) Wir sind Wissenschafterinnen, keine Politiker. Und so bitte ich um Verständnis dafür, dass wir jetzt nicht fünf konkrete Regulierungen vorschlagen. Im Prinzip ist es aber recht einfach. Erstens müsste man die Anreize oder die Regulierungen so ausrichten, dass Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil haben, wenn sie ihre Produkte oder Leistungen zirkulär machen. Das würde viele Unternehmen dazu bringen, ihr Geschäftsmodell zu ändern und in die Kreislaufwirtschaft zu investieren. Die Kreislaufwirtschaft muss für die Unternehmen profitabel sein, sonst wird es schwierig. Die Politik kann hier steuernd eingreifen, entweder indem sie kreislauffähiges Wirtschaften unterstützt oder indem sie nicht kreislauffähiges Wirtschaften sanktioniert. Zweitens sollte man auch bei der Kundin ansetzen, sodass diese Anreize hat, ihr Verhalten zu ändern und die Kreislaufwirtschaft voranzutreiben. Und drittens sollte auch der Staat selbst in Ausschreibungen et cetera die Kreislaufwirtschaft fördern. Zuletzt sollten wir viel mehr in Public-Private-Partnerships denken und arbeiten – das ist der Weg nach vorne, um die Kreislaufwirtschaft in der Schweiz erfolgreich zu realisieren. 

 

Müssen Zölle erhoben werden? 

(FT) Grundsätzlich ist es schwierig, wenn bei inländischen Produzenten höhere Standards angewandt werden als bei importierten Produkten – so werden die nachhaltig operierenden Unternehmen schlechtergestellt. Hier könnten beispielsweise Importzölle auf unökologische und lineare Produkte Abhilfe schaffen. In der Landwirtschaft kennen wir ähnliche Vorgehensweisen. In anderen Industrien wie etwa in der Textilindustrie ist es offenbar kein Thema. Warum eigentlich nicht? Das sollte öffentlich diskutiert werden. Ich bin zudem davon überzeugt, dass wir in allen grossen Städten und auch auf dem Land Reparaturzentren und Sharing-Plattformen brauchen, um eine verstärkte Nutzung von brachliegenden Produkten zu ermöglichen, alte Verhaltensweisen wieder zu etablieren und damit den Bedarf für Neuanschaffungen verhindern zu können. Der Kanton oder die Städte könnten mietfrei Räumlichkeiten dafür zur Verfügung stellen. Man könnte es auch über Steuern fördern oder über Direktinvestitionen wie die Gutscheine. 

(KF) Ein weiteres Beispiel aus Holland: Dort ist das gesamte öffentliche Beschaffungswesen darauf ausgerichtet, eine Kreislaufwirtschaft zu unterstützen. Das hätte auch in der Schweiz einen grossen Impact, wenn sich ein grosser Einkäufer wie die Stadt Zürich stärker daran orientieren würde. Schweizweit geht es da um Milliardenbeträge.

 

Welchen Beitrag können Sie als Wissenschafter leisten?

(KF) Zum einen wollen wir den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor fördern – da sind wir als öffentliche Universität, die viel mit dem privaten Sektor zusammenarbeitet, perfekt positioniert. Ein Beispiel ist der «Circular Economy Leader Circle», den wir oben bereits erwähnt haben.  Zum anderen machen wir konkrete Forschung in diesem Bereich und liefern Erkenntnisse, die den Unternehmen helfen, eine Kreislaufwirtschaft erfolgreich umzusetzen. Eine wichtige Erkenntnis ist zum Beispiel, dass Kreislaufwirtschaft ein strategisches Thema ist und unbedingt von ganz oben im Unternehmen getrieben und unterstützt werden muss. Es muss auf die Agenda von CEOs und Verwaltungsräten, sonst funktioniert es nicht. Wir zeigen mit unserer Forschung auf, welche Strategien, Geschäftsmodelle und Tools notwendig sind, um die Kreislaufwirtschaft im Unternehmen erfolgreich umzusetzen. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass das Reporting in Unternehmen um Kennzahlen ergänzt wird, die nicht nur Umsatz und Ebit messen, sondern auch den Fortschritt bei der Umsetzung der Kreislaufwirtschaft. 

 

Noch ein letzter Tipp für die Unternehmen?

Wir bringen im Frühling unser Buch «Der Circular-Economy-Navigator» heraus: mit über 400 Beispielen von Firmen, die Herausragendes geleistet haben, mit Details von Forscherinnen und Praktikern. Das Buch sollte als Standardwerk zur Kreislaufwirtschaft dienen.