Den Namen der Künstlerin konnten sie vermutlich nicht gut aussprechen, aber vom Farbrausch liessen sie sich gleichwohl willig überwältigen, die Vernissagegäste, die an einem Abend im letzten Februar in die Upper-Eastside-Dependance der Galerie Hauser & Wirth pilgerten. Die geometrisch-abstrakten Bilder, die sie sahen, überraschten mit gewagten Farb- und Formkonstellationen, sie waren manchmal laut und knallig wie Pop-Art, dann wieder atmosphärisch und zart wie ein sich pastellfarben verfärbender Himmel beim Sonnenuntergang – kurz, sie wirkten so frisch, als kämen sie direkt aus dem Atelier eines jungen Künstlers irgendwo von drüben, Brooklyn oder so. Geschaffen hat die Bilder aber vor über fünfzig Jahren Verena Loewensberg, die konstruktiv-konkrete Zürcher Malerin, die 1986 73-jährig starb. Hatte sie zu Lebzeiten regelmässig Ausstellungen, war ihr Werk in den letzten Jahren zwar in Museen, aber nur noch vereinzelt in Galerien zu sehen.
Zwei Werke werden in Basel gezeigt
Ihr New Yorker Debüt in einer der einflussreichsten internationalen Galerien war nicht nur eine Überraschung. Es zeigte vor allem, dass ihr Werk keinen Staub angesetzt hat. Ganz im Gegenteil. Das Interesse von Institutionen und Museen sei grossartig gewesen, berichtet Iwan Wirth. «Wir werden sicherlich in naher Zukunft den einen oder anderen Neuzugang in öffentlichen Sammlungen verkünden können», so Galerist Iwan Wirth. Auch während der Art Basel wird die Galerie zwei Werke von Loewensberg am neu eröffneten Standort in Basel zeigen. Für Wirth gehört Verena Loewensberg, neben der international renommierten Sophie Taeuber-Arp, die ebenfalls im Programm seiner Galerie figuriert, zu den wichtigsten Künstlerinnen der konkret-abstrakten Kunstbewegung. Zu verdanken hat er den Neuzugang dem Basler Galeristen Carlo Knöll, der die neue Basler Dependance leiten wird. Knöll arbeitet bereits seit 2019 mit dem Loewensberg-Nachlass zusammen, zeigte ihre Werke mehrfach, unter anderem an der Art Basel Miami, zusammen mit Max Bill. Er erinnert sich, dass die Kraft von Loewensbergs Gemälden, ihre technische Brillanz und koloristische Meisterschaft Max Bill fast in den Schatten stellte.
Verena Loewensberg als Wiederentdeckung zu bezeichnen, wäre aber falsch. Sie gehört hierzulande zur anerkannten Gruppe der konstruktiv-konkreten Kunstbewegung um Max Bill (ebenfalls bei Hauser & Wirth vertreten), Camille Graeser und Richard Paul Lohse (siehe Buchtipp auf Seite 10), und wurde zeitlebens in Galerieausstellungen und posthum in Retrospektiven gewürdigt. Doch der grosse internationale Durchbruch gelang nicht wirklich. Sie wurde nie an der Biennale Venedig gezeigt wie ihre Kollegen, und sie gewann auch keinen Kunstpreis wie diese. Aus heutiger Sicht – vor allem, wenn man die fulminante Retrospektive im Musée d’art moderne et contemporain (Mamco) in Genf 2022 gesehen hat – besteht durchaus Erklärungsbedarf.
Lag es daran, dass sie eine Frau war und ihre Kunst unterschätzt wurde, wie es vielen Künstlerinnen erging, die heute neu evaluiert werden? Oder daran, dass sie das Regelwerk der Konkreten, die ihre Kunst auf mathematischen Ordnungssystemen gründeten, freier auslegte – und deshalb an einem falschen Massstab gemessen wurde?
Loewensberg, 1912 in eine Arztfamilie hineingeboren, ausgebildet an der Gewerbeschule in Basel, in einer Webereilehre in Appenzell und in einer Kunstschule in Paris, verwendete für ihre Kunst genauso wie ihre Kollegen die geometrischen Elementarformen Quadrat, Rechteck, Dreieck und Kreis, aber sie baute immer auch Überraschungen, Dynamik und Rhythmus ein. Mit unterschiedlichen Grössen und Positionen erzeugte sie eine Illusion von Raum und Bewegung. Beschwingt und leicht fügen sich ihre Figuren zu Ketten, Gittern und Reihen. Der theoretische Rahmen, den Bill und Lohse für die konkrete Kunst absteckten und wortreich propagierten, war für sie ein zu enges Korsett. Genau der Umstand, dass sie sich immer wieder neu erfand, kühne Farbkombinationen jenseits der Primärfarben wählte, sich Freiheiten herausnahm, macht sie heute für eine junge Generation von Galeristinnen, Kuratoren und Sammlerinnen so interessant.
Selber eine grosse Liebhaberin von Jazz und Minimal Music, sind ihre Werke von Rhythmus und Musikalität geprägt, lassen auch Stimmungen, Energien und psychische Klimata zu, durchaus auch Zeitstimmungen.
Treffen mit Mondrian, Ernst und Taeuber-Arp
Sie mag Max Bill ihre ersten Ausstellungsbeteiligungen zu verdanken haben. Aber Carlo Knöll betont, sie sei weit mehr vom Pariser Zirkel der einflussreichen Gruppe Abstraction-Création beeinflusst gewesen, allen voran von Georges Vantongerloo, dem belgischen Pionier mathematischer Konzeptionen in der Kunst. Mit ihm war sie zusammengetroffen, als sie 1935 Kunstkurse in Paris besuchte. Auch Piet Mondrian, Max Ernst und Sophie Taeuber-Arp hat sie in ihren Ateliers besucht. Kaum aus Paris zurück, begann sie mit ihren kühnen Konstruktionen, setzte Kreise, Quadrate und Linien und wie im Raum schwebende Flächen zueinander in Beziehung – und schaffte es in die erste Gruppenausstellung im Zürcher Kunsthaus.
Verena Loewensberg erscheint heute als die Progressive unter den Schweizer Modernen, die sich in späteren Jahren den Strömungen der 1960er- und 1970er-Jahre wie Farbfeldmalerei, Pop-Art, Hard-Edge-Abstraktion und Minimalismus geöffnet hat. Ihr wird mittlerweile der gebührende Platz in einer Reihe internationaler Konstruktivistinnen eingeräumt – darunter Grössen wie Marlow Moss, Vera Molnár, Carmen Herrera –, deren pionierhafte Beiträge zur Entwicklung der Kunst des 20. Jahrhunderts neue Aufmerksamkeit erregen. Entsprechend sind heute ihre Werke bewertet (rund 150 000 bis 180 000 Franken).
Einer zweiten in der Schweiz tätigen Künstlerin, Shizuko Yoshikawa, wird vom Markt neue Aufmerksamkeit geschenkt. Die gebürtige Japanerin, eine Generation jünger als Verena Loewensberg, von ihr beeinflusst und bis zu ihrem Tod 2019 ebenfalls in Zürich tätig, wurde gerade – zusammen mit der britischen Op-Art-Künstlerin Bridget Riley – von der Marlborough Gallery in London präsentiert und einer neuen Sammlergeneration zugeführt. Die Preise sind im internationalen Vergleich geradezu erschwinglich mit 30 000 bis 50 000 Pfund für ein Reliefbild und unter 1000 Pfund für Zeichnungen und Siebdrucke.
Mit Loewensberg verbindet Yoshikawa, dass sie ebenfalls mit dem rigiden Rationalismus der Konkreten Kunst brach und Dynamik auf die Leinwand brachte. Yoshikawa, 1934 in Omuta, Japan, geboren, kam über den Umweg der Grafik und des Corporate Designs zur Malerei. Sie hatte die einflussreiche, von Max Bill mitbegründete Hochschule für Gestaltung in Ulm besucht und heiratete 1967 den einflussreichen Schweizer Grafikdesigner Josef Müller-Brockmann. Anfang der 1970er-Jahre begann sie ihre ersten abstrakten Reliefs zu schaffen, und sukzessive entwickelte sie daraus ihren charakteristischen zurückhaltenden Stil, der sie immer näher an die Minimal Art rückte.
Ihre Bilder bestechen durch mathematische Präzision und mehrdimensionale optische Effekte. Schuf sie zunächst dreidimensionale Reliefs in Acryl auf Holz, in denen sie mit Farbabstufungen spielte, wandte sie sich in späteren Jahren ihren östlichen Wurzeln zu und begab sich auf die Spur von «Energien». Immer näher an die Minimal Art rückend, schuf sie Netzstrukturen, die sogenannt kosmischen Netze. Dabei verteilte sie kleine Kreuze in verschiedenen Farben und mit unterschiedlich langen Armen und liess sie sukzessive kleiner werden.
Beide Frauen vertreten eine undogmatische Variante der konkreten Kunst – und verhelfen damit einer Kunstrichtung, die sich vermeintlich als nachvollziehbar und kalkulierbar zu erkennen gab, zu neuer, verjüngter Anhängerschaft. Was wieder einmal beweist: In der Kunst haben die, welche Regeln brachen, oft das längere Leben.