«NOAH» hat in London angefangen und ist jetzt in Zürich – warum diese Verlagerung des Schwerpunktes?

Die Schweiz ist eines der weiterentwickelten Länder für das Thema Nachhaltigkeit. Die Eigentümer, also Family Offices und viele institutionelle Investoren, haben ihren Sitz in der Schweiz. Und ich hatte auch einfach einmal Lust, eine neue Location auszuprobieren. Berlin hat irgendwann keinen Spass mehr gemacht. Beispielsweise Fabrikhallen herzurichten für eine gute Businessatmosphäre, bedeutet einen grossen Organisationsaufwand. Im Circle am Flughafen Zürich geht es viel einfacher. Ausserdem habe ich in der Schweiz meinen zweiten Wohnsitz. Wir sind sehr zufrieden in Zürich, auch wenn vier Fünftel unserer Teilnehmenden aus dem Ausland kommen. Was uns etwas verwundert: Warum bekundet in der Schweiz zum Beispiel die Finanzbranche zwar öffentlich Interesse an Nachhaltigkeit und Digitalisierung, aber zeigt am Ende nur sehr wenig Engagement? Aber das wird sich wohl noch ändern. Schweizer Unternehmen sind vielleicht vorsichtig, schauen sich die NOAH auch erst einmal an, bevor sie dann mitmachen.

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Welche inhaltliche Verschiebung, etwa im Hinblick auf Nachhaltigkeit, brachte der Wechsel mit sich?

Das Thema Nachhaltigkeit ist tatsächlich ein zentraler Punkt – sie passt meiner Ansicht nach sehr gut zur Schweiz. Mein Gedanke war, eine andere, authentische Variante des World Economic Forums (WEF) zu veranstalten. Sprich Führungskräfte zusammenzubringen und dann echte Ergebnisse zu erzielen.

Welche Themen ziehen, welche nicht mehr? Wie sieht es mit dem ESG-Backlash aus?

Weniger attraktiv für uns sind die Themen Social, Travel und E-Commerce; da haben sich bereits grosse, globale Player etabliert. Was immer gut funktioniert, ist Software as a Service (SaaS). Man erinnere sich an das Zitat des amerikanischen Softwareentwicklers, Unternehmers und Investors Marc Andreessen von 2011, «Software is eating the world», sinngemäss: Die Digitalisierung disrumpiert die Wirtschaftswelt. Dieser Trend ist stärker denn je. Software kommt jetzt auch stark in Form von künstlicher Intelligenz (KI). Und sie ist daher dieses Jahr auch der zweite Schwerpunkt neben der Nachhaltigkeit. ESG hingegen ist abgedroschen; das Züricher Unternehmen South Pole hat mit seinen umstrittenen Projekten dem Thema Greenwashing nun nochmals so richtig Rückenwind verschafft – indem es neben vielen Klimaschutzprojekten auch mit Gas- und Ölfirmen still und heimlich Geschäfte gemacht hat. Ich organisiere die NOAH, damit Investorinnen und Investoren echte Klimalösungen präsentieren können. Die Zeiten, in denen die Klimabranche Fundraising mit leeren Versprechungen betrieb, müssen durch konkreten Impact geändert werden.

Welche Stichworte gehören heute auf ein Pitchdeck – die Kurzpräsentation des Businessplans –, welche nicht mehr?

Ein Pitch muss auf den Mehrwert und die Differenzierung zu anderen Startups im gleichen Sektor abzielen. Der Markt muss beschrieben werden, und er muss gross genug sein. Disruption ist nach wie vor das Schlagwort der «NOAH». Sehen Sie: Investoren und Investorinnen wollen heute grundsätzlich Gewinne und keine Verluste. Hyperscaling, also voll auf den Skaleneffekt setzen, ist cool – aber nicht, wenn dir dabei das Geld ausgeht ...

Der Macher

Name: Marco Rodzynek
Funktion: Unternehmer; Managing Director NOAH Advisors Ltd., Zypern
Geboren: 4. November 1974
Wohnort: Spanien
Familie: verheiratet, drei Töchter

NOAH Conference Seit 2009 Europas führende Plattform für die Beschaffung von Wachstumskapital, indem Marktführer zusammengebracht werden. Die NOAH Zürich ist eine zweitägige Konferenz, auf der über 500 hochkarätige Startups vor einem Publikum aus 500 digitalen Investoren, Family Offices, Unternehmen und Impact-orientierten Organisationen präsentiert werden. Hauptziel ist, nachhaltige technische Lösungen zu finanzieren und die Zusammenarbeit innerhalb des digitalen Ökosystems des Naturkapitals zu fördern.

Woran erkennt man ein attraktives Startup? Welches sind Warnsignale?

Wir checken via Linkedin, wie schnell Unternehmen personell wachsen, und prüfen die Qualität der Gründerinnen und Investoren. Ein Startup passt nicht in unser Konzept, wenn es zu alt ist. Nach etwa vier bis fünf Jahren verlieren viele die Geduld. Auch wenn das Umsatzwachstum unter 30 Prozent liegt, kann man nicht mehr von Startup-Wachstum sprechen. Das betrifft Unternehmen, deren Umsatzwachstum zu schwach ist, um sie aus der Verlustzone zu ziehen – und die Barmittel aufgebraucht werden. Dann ist es vorbei.

Dann erwischt es sie …

Interessanterweise gibt es viele Unternehmen in Streubesitz, die ein ähnliches Schicksal ereilt hat. Der Spac-Trend, bei dem Special Purpose Acquisition Companies, also Mantelgesellschaften, am Prozess des Börsengangs eines Unternehmens beteiligt sind, hat gezeigt, dass Durchschnittsinvestoren keine eigenen Analysen vornehmen. Jeder folgt den anderen und verlässt sich auf die grossen Marken der Branche. Auf der NOAH kann man 500 Gründerinnen und Gründer von Startups im direkten Gespräch zu ihrem Business befragen. Es gibt keinen anderen Weg als die gute alte Due Diligence, um die Frage zur Attraktivität eines Startups zu beantworten.

Woran erkennt man die echten, vielversprechenden KI-Firmen?

Attraktive Startups haben eine namhafte, stark wachsende Kundschaft. Das lässt sich leicht checken, etwa mit Similarweb und Linkedin.

Wo befinden sich die attraktivsten Investoren in Europa, und wie sind sie am besten anzusprechen?

Eine gute Frage. Es gibt 7000 Investoren und Investorinnen, die in europäische Startups investieren. Sie bilden die verschiedensten Kategorien. Aber am Ende ist es ein «People Business». Man sollte sich mittels ausführlicher Recherche eine Liste der am besten passenden Investoren machen. Klar, das ist viel Arbeit. NOAH hat aber ein Datenprodukt und alle Investierenden bereits analysiert und nach 300 Branchengruppen sortiert. Übrigens sind die grossen Investoren nicht unbedingt diejenigen, die zu allen passen. Ich kann nur empfehlen, einfach auf der NOAH das Gespräch zu suchen und von einem Portfoliounternehmen eine Referenz einzuholen. Cold Calls hingegen funktionieren nur selten – es sei denn, das Startup sei sehr besonders, also wachse ungemein. Es geht eigentlich nur um Wachstum. Aber Vorsicht, sobald das Wachstum abnimmt, verliert man auch mal einen Topinvestor für die nächste Runde, weil das Wachstum nicht stark genug ist.

Es präsentieren sich auch grössere Firmen – welche Kriterien müssen sie erfüllen, damit sie bei Ihnen auftreten können?

Es kommt auf die Branche an. Manche sind sehr früh dran, beispielsweise in Sachen Corporate Sustainability. Da zeigen wir an der NOAH die Marktführer – egal, wie gross sie sind. Auf unserer Digital-Growth-Bühne muss das Unternehmen entweder 20 Millionen Franken Kapital aufgenommen haben oder bereits 20 Millionen Franken Umsatz erzielen. Wir suchen Marktführer für kleine Marktsegmente. Und das ist unsere NOAH-typische Kuration, und dafür lieben uns die Investoren unserer Konferenz. Wir sind allem Anschein nach Marktführer darin, Firmen an die Konferenz einzuladen, die danach zu Unicorns wurden.

Das kann jeder behaupten.

Historisch gesehen hatten wir rund 50 Prozent der europäischen Einhörner auf der Bühne, als sie noch ganz klein waren. Hätte man in alle NOAH-Speaker investiert, als sie sich das erste Mal auf der NOAH präsentierten, hätte man nach dem 24. Mal sein investiertes Geld verdoppelt. Dieses Jahr haben wir 200 Sprecherinnen und Sprecher, die gemeinsam ein Kapital von über 12 Milliarden Dollar auf der NOAH von 500 Investorinnen und Investoren einsammeln möchten.

Live-Veranstaltungen sind weiterhin erfolgreich – wo lag man mit den Post-Corona- und Metaverse-Prognosen falsch?

Clubhouse, Hopin und viele andere waren hochgejubelte «Bullshit-Firmen», die es nicht geschafft haben. Wahrscheinlich bekamen sie einfach zu viel Kapital. Das geht dann nicht gut ... Der persönliche Kontakt, gestärkt durch alle sieben Sinne, ist für ein erfolgreiches Fundraising unumgänglich.

Welche drei Dinge freuen Sie am meisten im Hinblick auf die Veranstaltung?

Erstens unsere Partnerschaften, zweitens, dass viele gute Risikokapital- und Private-Equity-Investoren unsere Einladung angenommen haben, und drittens, dass wir immer wieder die Unternehmen dabei haben, die auf Digitalisierung setzen und so wachsen. Und natürlich: dass endlich mehr Schweizerinnen und Schweizer kommen!

Welche Schwierigkeiten mussten Sie in den letzten Wochen und Monaten überwinden, was macht Ihnen Bauchweh?

Wie eben gesagt: Bauchweh macht uns bisher, dass so wenig Schweizerinnen und Schweizer dabei sind. Wir sind – noch – eine Konferenz der Ausländerinnen und Ausländer in Zürich. Man fragt sich, ob die vielen Imagebroschüren von Schweizer Unternehmen zum Thema Nachhaltigkeit wirklich Substanz spiegeln, irgendetwas ändern. Ich kann es nicht mehr leiden, dass sich Leute «Nachhaltigkeit» auf die Fahne schreiben, aber dann nicht wirklich liefern. Siehe South Pole – ein Skandal.

Wie geht es nächstes Jahr weiter? Stehen Sie schon in den Startlöchern, gibt es einen konkreten Termin für 2024?

Nun machen wir erst mal 2023. Aber 2024 wird, denke ich, ganz ähnlich aussehen. Vielleicht eine Woche früher als dieses Jahr, da wir uns jetzt bereits Weihnachten nähern. Auch die Klimakonferenz COP hat sich dieses Jahr um eine Woche verschoben, daher haben wir für 2023 so einen späten Zeitpunkt gewählt. Einen Unterschied aber wird es nächstes Jahr auf jeden Fall geben: mehr Schweizer Beteiligung!

Exklusiver Event
NOAH Zurich Conference

Dieser Artikel ist im Rahmen der NOAH-Konferenz entstanden, eine digitale und physische Plattform für digitale Champions und Marktführer im Bereich Nachhaltigkeit.