Für den Umgang mit Treibhausgasemissionen gibt es mehrere Möglichkeiten: Viele Firmen reduzieren nach und nach die Emissionen, indem sie von fossilen auf nicht fossile Energieträger wie beispielsweise grünen Strom wechseln. Logistikunternehmen etwa gehen diesen Weg. Bei anderen Unternehmen gelangt dieses Vorgehen an Grenzen, so beispielsweise in der Luftfahrt. Hier gibt es zwar zum Beispiel von Synthelion erste nachhaltig aus dem CO₂ der Luft mit Solarstrom erzeugte Treibstoffe – aber ihre Preise sind noch zu hoch und die produzierten Mengen zu gering. Und dann gibt es die Carbon-Capture-Unternehmen, die wie Climeworks das CO₂ direkt der Luft entnehmen und sicher im Untergrund entsorgen.

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Vielen weiteren Firmen und Branchen, in denen keine raschen technologischen Lösungen bereitstehen, bleibt nur der Weg über Kompensationen der Carbon-Emissionen. Parallel zum wachsenden Handel mit den Emissionsrechten sind zwei Kategorien von Startups entstanden: Die einen stellen oftmals Ressourcen für die Handhabung der Kompensationen zur Verfügung. Die anderen unterstützen bei der Überwachung, auch weil es gelegentlich Zweifel an den Kompensationsressourcen und -mechanismen gibt.

 

Zweifel an der Wirksamkeit

«Mehr als 90 Prozent der Regenwald-Carbon-Kompensationen des grössten Zertifizierers sind wertlos», titelte im Januar 2023 der britische «Guardian». Gestützt auf Analysen der «Zeit» sowie der investigativen Journalistenorganisation Source Material hatte man beim spezialisierten US-Zertifizierungsunternehmen Verra eine grosse Diskrepanz zwischen Versprechen und Umsetzung festgestellt. «Gemäss zwei Studien bringt nur eine Handvoll von Verras Regenwaldprojekten tatsächlich eine Reduktion der Abholzung, während 94 Prozent der verkauften Kredite keinen Bezug zum Klima hatten», hiess es beim «Guardian» weiter.

«South Pole, der weltgrösste Vermittler von Kompensationsmöglichkeiten, sieht sich Vorwürfen ausgesetzt, bei den Waldschutzprojekten mit der Klimaschutzwirkung übertrieben zu haben», legte im März Bloomberg nach. Bereits vergangenes Jahr hatte man bei South Pole auf der Basis einer Formel von Verra kalkuliert, dass 64 Prozent der Kompensationen, die man in den vergangenen zehn Jahren verkauft hatte, die Belastungen nicht wirklich reduziert hatten. Recherchen des Magazins «New Yorker» zeigten zwar, dass South Pole Gelder an Waldbesitzer im globalen Süden geschickt hatte, aber es liess sich teilweise nicht nachvollziehen, wie diese Gelder tatsächlich verwendet wurden. Jüngere Schweizer Startups wie Xilva oder Callirius sowie weitere europäische Jungfirmen wie Cloverly, Normative und Ecolytiq kombinieren deshalb digitale Technologien gleich auch mit entsprechenden Prozessen und den regulativen Vorgaben. Daten zu Belastungen und Kompensationen lassen sich teilweise auf mobilen Endgeräten mitverfolgen und – je nach Unternehmen – bis auf einzelne Transaktionen beziehungsweise gekaufte Produkte herunterbrechen.

 

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Bemerkenswerterweise gibt es weiterhin viele Datenlücken – auch und gerade zu den Waldbeständen. Startups wie Live EO und Planet arbeiten mit Satellitendaten und Technologien für die Auswertung, um das Geschehen in entlegenen Gebieten überwachen zu können. Das ist nicht nur wichtig für die saubere und bedenkenlose Handhabung des Kompensationszertifikatehandels. Es gibt auch eine immer grössere Zahl von Finanzdienstleistern, die sich hier über Produkte und Dienstleistungen exponieren – und bei diesem aufstrebenden Thema will man sich keine Skandale leisten. Erwähnenswert ist deshalb auch das Open Forest Protocol. Diese offene Plattform ermöglicht es laut ihren eigenen Angaben, Waldprojekte unterschiedlicher Grösse und aus allen Regionen zu erfassen, zu verifizieren und darüber zu berichten. Validierer am Boden ergänzen die weiteren Datenquellen, sie werden – zeitgemäss – mit speziellen OPN-Token entschädigt.

Von der Zurückhaltung der Investoren sind auch diese Startups betroffen. Gemäss dem Branchendienst Climate Tech VC, der diesen Bereich verfolgt, liegen die investierten Gelder in diesem Jahr 40 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres. Die Experten und Expertinnen des Beratungsunternehmens PwC stellten in einem im Oktober 2023 veröffentlichten Bericht einen ähnlichen Rückgang fest. Immerhin zeichnete sich im dritten Quartal dieses Jahres eine Erholung ab. Und die Perspektiven würden immer besser, wenn man über die Startup-Bereiche hinausschaut. Denn die Gelder sind eigentlich da: Gemäss der Internationalen Energieagentur IEA fliessen in diesem Jahr insgesamt 1,7 Billionen Dollar in den ganzen Bereich. Und laut PwC sieht man weiterhin viele Finanzierungen, auch bei Erstgründungen ganz neuer Firmen.

Standardisierung und Transparenz

Emissionszertifikate sind längst zu einem handelbaren Gut geworden: In der EU, in Grossbritannien, Kalifornien, Australien, Neuseeland, Südkorea und in China, wo Emissionszertifikate für einige Branchen als Kompensation vorgeschrieben sind, gehören solche Zertifikate zur attraktiven Ergänzung grosser Portfolios. Absicherungen sind hier ebenso möglich wie gehebelte Wetten auf höhere Preise, mit denen sich dann überproportionale Gewinne einfahren lassen.

Mit der Professionalisierung bei den Marktteilnehmenden sind indes weitere Herausforderungen hinzugekommen: Die Gegenparteien sind nicht mehr Unternehmen, die auf unterschiedliche Weise und mit verschiedenen Verfahren ihre Emissionen tatsächlich kompensieren. Die Preise der Emissionszertifikate spiegelt zunehmend das Geschehen in der Industrie eines Wirtschaftsraumes sowie die Wetterentwicklung: Wenn sich beispielsweise, wie es derzeit der Fall ist, die Perspektiven für die kontinentaleuropäische Wirtschaft eintrüben, dann hat das laut den Analysten und Analystinnen von BNP Paribas auch Folgen für die Preise der Emissionszertifikate: Sie fallen. Grosse institutionelle Investoren haben denn auch bereits nennenswerte Short-Positionen aufgebaut; sie spekulieren derzeit auf eine weitere Abschwächung der Konjunktur und damit auf weiter fallende Preise bei den Emissionszertifikaten.

Umgekehrt lässt eine kommende Kaltfront die Preise steigen, weil dann europäische Versorger gezwungen sind, den höheren Strombedarf (auch) über das Hochfahren von Kohle- und Gaskraftwerkskapazitäten auszugleichen. Längerfristig sollen weitere Industrien und hier vor allem die kommerzielle Schifffahrt der Emissionszertifikatspflicht unterstellt werden. Die EU wird zudem die Zahl der Zertifikate nach 2026 weiter verknappen, um die Preise hoch zu halten und den Firmen wirksame Anreize für eine Reduktion ihrer eigenen Emissionen – das ist das eigentliche Ziel – zu vermitteln.

Neben der Transparenz zu den Details der Kompensationsverfahren – hier gab es einige Vorfälle – gilt die Standardisierung der Preise und Anreize als wichtigstes Hindernis auf dem Weg zur globalen Verbreitung. Analystinnen und Analysten weisen immer wieder darauf hin, dass die Emissionspreise in China beispielsweise zu niedrig sind – und damit den Firmen zu geringe Anreize vermitteln, ihre Emissionen tatsächlich zu reduzieren. (mn)

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Dieser Artikel ist im Rahmen der NOAH-Konferenz entstanden, eine digitale und physische Plattform für digitale Champions und Marktführer im Bereich Nachhaltigkeit.