Klimaerwärmung, abnehmende Biodiversität und steigende soziale Disparitäten: Angesichts der drängenden Probleme setzt sich je länger, je mehr die Erkenntnis durch, dass es nur eine Erde gibt und wirtschaftliches Handeln der Gesellschaft dienen muss, um zukünftigen Generationen eine lebenswerte Umwelt zu sichern.
Doch das Verständnis sickert noch nicht bei allen durch: Das grösste Hindernis für die Umgestaltung des Wirtschaftssystems liegt nämlich im menschlichen Geist; in den Überzeugungen darüber, wofür Unternehmen eigentlich da sind, wem sie dienen und wie sie Werte schaffen. Dabei kommt der normativethischen Ebene – die Ebene, die hinterfragt, wie man im moralischen Sinne handeln soll – eine wichtige Aufgabe zu: Um nachhaltiges Wirtschaften im Unternehmen zu verankern, ist die Rolle der Führungskräfte entscheidend.
Herausforderungen der Verankerung
Doch nachhaltiges Führen ist keine leichte Aufgabe und wer nachhaltige Grundsteine legen möchte, muss einige Hürden überwinden. So zeigt eine im Jahr 2020 durchgeführte Studie vom Führungskräfteverband CEC European Managers, dass nur 17 Prozent der europäischen Manager eine Ausbildung in nachhaltiger Entwicklung absolviert haben. Das ist wenig, setzt doch eine ganzheitliche Umsetzung von Nachhaltigkeit einen tiefgreifenden Kulturwandel voraus: Wer nachhaltige Werte wie Umweltsensibilität oder soziale Gerechtigkeit im Unternehmen verankern möchte, benötigt die entsprechende Haltung. Denn eine innovationsfeindliche Unternehmenskultur, die auf bewährte Denkmuster und Lösungsansätze setzt, ist Gift für nachhaltiges Verhalten.
Ebenfalls toxisch sind einfache Antworten, schnelle Lösungen oder Patentrezepte. Nachhaltige Ansätze sind zumeist neu und entsprechend komplex; sie erfordern das Zusammenführen von Wissen und Erfahrungen vieler. Beim Ausprobieren von Neuem ist querdenken erlaubt, doch wer sich nicht ernst genommen fühlt, wird nichts Neues ausprobieren wollen. Deshalb bedingen ungewohnte Innovationsvorschläge Transparenz sowie den Einbezug und das Vertrauen aller. Nur so funktioniert der organisationale Lernprozess.
Dabei begleitet ein kontinuierlicher Dialog mit den Anspruchsgruppen und eine Auseinandersetzung mit ihren Bedürfnissen und Erwartungen diesen Prozess. So kann die Komplexität erfasst werden, denn Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Teilelement. Sie ist ein integriertes Konzept und wirkt sich auf alle Geschäftsbereiche aus. Zur Unterstützung muss eine nachhaltige Geschäftspolitik auch in den Systemen abgebildet werden; bei Performanceprozessen, bei der Personalrekrutierung oder beim Einkauf neuer Produkte: Wer Nachhaltigkeit abbildet, kann die Entwicklung bewusst und aktiv steuern.
Führungskräfte, die ihre Verantwortung für nachhaltiges Wirtschaften wahrnehmen, vertiefen ihr Bewusstsein über sich, die Welt und ihre Zusammenhänge. Sie verfügen über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten, um im Sinne der Nachhaltigkeit zu entscheiden und zu handeln. Sie inspirieren und fordern andere dazu auf, neue Sicht-, Denk- und Interaktionsweisen zu übernehmen.
Kompetenzrahmen
Das heisst aber nicht, dass Leader alle Kompetenzen in sich vereinen müssen. Vielmehr sind Haltung und der Wille entscheidend, um tiefgreifende Veränderungen herbeizuführen und die Kompetenzen in Teams zu entwickeln. Es gilt jedoch, dass Führungspersonen alle Kompetenzen kennen und sich überlegen, für welche davon sie stehen wollen.
Die Startfrage lautet dabei: Will ich Antrieb hinter der Umsetzung von Nachhaltigkeit oder primär ein Mitläufer oder eine Begleiterin sein? Der Antrieb bedingt einen funktionierenden moralischen Kompass, der ethisches Verhalten und ein tief empfundenes Gefühl der Verantwortung um das Wohlergehen der Menschheit und der Natur ins Zentrum setzt. Weil bei Führungskräften mit moralischem Kompass Worte und Taten übereinstimmen, agieren sie als vertrauenswürdiges Vorbild für Veränderungen. Der Kompass dient dazu, dem Druck konkurrenzierender Interessen standzuhalten und die eigenen Werte und Ziele gegenüber Anspruchsgruppen zu vertreten, ohne anderen gefallen zu wollen.
Eine wirkungsvolle Selbstführung ist Voraussetzung für eine reflektierende Führungspersönlichkeit. Die Selbstführung hilft zu verstehen, welche Impulse und Energie notwendig sind, um die Organisation auf den Weg zu bringen und zu halten. Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit sind herausfordernd und lösen Widerstände aus, die zu Spannungen und Emotionen führen. Sich selbst zu führen, heisst, zu reflektieren und wahrzunehmen, sodass man seine Emotionen und sein Verhalten bewusst steuern kann. Dazu gehört auch, sich selbst zu motivieren, Widerstände zu überwinden und die Dynamik in Richtung der gewünschten Ziele aufrechtzuerhalten.
Systemisches, kritisches und langfristiges Denken ist eine weitere Voraussetzung, die bei der Gestaltung nachhaltiger Prozesse unabdingbar ist. Sie erfordert ein Bewusstsein für komplexe Systeme – also die Berücksichtigung von Kaskadeneffekten, Rückkopplungsschleifen und konkurrenzierenden Anforderungen verschiedener Interessengruppen, die im Zusammenhang mit nachhaltigen Problemlösungen auftreten können. Bei Bedarf ist die Sicht auf die Detailebene notwendig, um die Ursache eines Problems zu eruieren und dann wieder herauszuzoomen, um die Perspektive des grossen Ganzen zu erhalten.
Komplexe Probleme und die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele sowie der Agenda 2030 sind langfristige Veränderungsprozesse, deren breiten Horizont man sich bewusst sein muss. Ein Zielbild liefert Argumente, das «Warum» für den Wandel. Es ist nachvollziehbar und motivierend für Mitmenschen. Damit das Zielbild als normativer Gestaltungsrahmen für die Organisation dient, braucht es die Fähigkeit, mittels Storytelling zu inspirieren. Ziele sollten sinnvoll in den verschiedenen Realitäten der Interessengruppen verankert und Massnahmen mit einer Kombination aus Ehrgeiz und Pragmatismus gemeinsam ausgehandelt werden.
Dabei fördert Dialog den Austausch, schärft das Zielbild und regt zum Handeln an. Der Aufbau von Beziehungen zu Interessengruppen erfordert die Fähigkeit, die Vielfalt von Kulturen und sozialen Gruppen zu verstehen. Unterstützend schaffen Transparenz, das Erkunden anderer Perspektiven und Verlässlichkeit eine Vertrauensbasis. Sie ist Grundlage, um Stakeholder zu überzeugen und Konflikte zwischen Interessengruppen konstruktiv zu lösen.
Zentral ist dabei auch das Mobilisieren, also andere in den Entscheidungsfindungsprozess zu integrieren und Prioritäten und Umsetzungen gemeinsam zu definieren. Gleichzeitig müssen Rollen, ihre Verantwortungen und Erwartungen immer wieder thematisiert werden, um Wirkung zu erzielen. Die Gefahr der Verantwortungsdiffusion ist allgegenwärtig. Deshalb sind eine solide Vertrauensbasis und Feedbackprozesse wichtig, um den Fokus zu halten und Unterstützungsbedarf zu klären. Es ist ein Balanceakt zwischen Beharrlichkeit in der Umsetzung und Autonomie zulassen, um Probleme auf neue Weise zu lösen.
Ohne Schleichweg ans Ziel
Der Wandel hin zu nachhaltiger Führung erfolgt nicht von heute auf morgen. Es gilt, sich nicht vom Ziel abbringen zu lassen. Der Weg ist anspruchsvoll, Straucheln jederzeit möglich. Es ist ein Prozess ohne Abkürzung. Doch wer die Kompetenzen im gesamten Team verteilt, sich auf die wichtigen Dinge innerhalb des eigenen Einflusskreises konzentriert und dabei Verantwortung übernimmt, wird mit Erfolg zu einem oder einer Sustainable Leader.
Jürg Eggenberger ist Co-Geschäftsleiter bei Swiss Leaders