In der Umfrage «The Industry 4.0 Paradox» von Deloitte zur Digitalisierungsbereitschaft in ihrer Lieferkette wurden 361 Führungskräfte in elf Ländern befragt. Zwar weist eine grosse Mehrheit ihren Lieferketten eine hohe Priorität bei künftigen Investitionen auf. Doch nur bei 22 Prozent werden die Funktionen der Supply Chain in die Entscheidungen miteinbezogen.
In vertiefenden Gesprächen mit hiesigen Supply–Chain-Experten für die Schweizer Deloitte-Studie «Digital Supply Networks» wurden die Resultate teilweise bestätigt. Gleichzeitig wurde klar, dass viele Schweizer Firmen generellen Aufholbedarf haben. Die Lieferketten vieler Unternehmen bestehen aus wenig vernetzten Einzelfunktionen wie Einkauf, Produktion und Logistik, mit fragmentierter Führung und Datenbasis. Viele sind noch mit der Implementation von Industrie 3.0 beschäftigt, anstatt sich mit den Chancen der Industrie 4.0 auseinanderzusetzen.
Viele globale Unternehmen haben mithilfe von neuen Technologien die Glieder ihrer traditionellen Lieferketten zu schnellen, intelligenten und dynamischen Netzwerken um einen digitalen Kern herum transformiert. Dies erlaubt permanente Kommunikation, bessere Optimierung, umfassende Transparenz und schnellere Reaktionszeit auf Veränderungen. Amazon ist hier weltweit führend mit seiner starken digitalen Kundeneinbindung. Laut Raphael Pfarrer von GS1 Schweiz, dem Fachverband für nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerke, weisen aber viele Schweizer Firmen und vor allem KMU noch «mangelndes Wissen über neue Technologien und Investitionsvorbehalte» auf. Digitale Innovationen finden eher in anderen Firmenbereichen statt als in der Lieferkette. Oft denken Unternehmen, dass es noch genügend Potenzial gibt, um eine Lieferkette mit herkömmlichen Optimierungsmitteln anstelle von Digitalisierung zu verbessern.
Weitere Optimierung und «schlankere Prozesse mit mehr Standardisierung» seien wichtige Grundvoraussetzungen für eine «breitere Digitalisierung», sagt Daniel Meier, Head of Global Supply Chain D&M bei Burckhardt Compression. Als Hauptbarrieren beim Aufbau eines digitalen Liefernetzwerks erweisen sich nebst fehlenden Datenstandards auch schlechte Datenqualität und ungenutzte Daten. «Verschiedene Kunden können verschiedene Datenstandards haben» und somit laut Max Peter, Head of Handel & Supply Chain Management bei Emmi, die «Datenharmonisierung erschweren». Zudem sind viele Firmen nicht richtig ausgestattet, ihre umfangreichen Daten sicher zu speichern, einfach abzurufen und dynamisch zu analysieren. Damit fehlt die Fähigkeit, neue Erkenntnisse aus den Daten zu gewinnen und ausgewogene Entscheidungen zu treffen.
Als Barriere erweist sich auch die Knappheit von Supply-Chain-Talenten in der Schweiz. Gesucht sind Leute mit spezifischem Wissen zur Schnittstelle zwischen dem operativen Geschäft und der IT, Experten also, die komplexe Themen übersetzen, aktuelle Supply-Chain-Trends analysieren und vernetzte Lösungen mit digitalen Technologien anbieten können. Laut Domenico Repetto, Logistikchef Nordwest- und Zentralschweiz bei Coop, werden nur die Personen erfolgreich in einem digitalen Liefernetzwerk arbeiten können, die «tieferes digitales Wissen und grössere Offenheit für Technologie aufweisen, als dies für Smartphones gebraucht wird». Gefragt sind Leute, die das Risiko nicht scheuen.
Die Transformation der Glieder einer traditionellen Lieferkette zu einem digitalen Liefernetzwerk kann zum Wachstumstreiber werden, wenn Firmen gross denken und richtige Schwerpunkte setzen. Folgende fünf Grundsatzfragen helfen dabei:
- Was sind die Ziele und Hoffnungen?
- Wie viele Liefernetzwerke sind notwendig, das heisst, braucht es eine Segmentierung nach Kunden, Produkten, Geografien oder Kanälen?
- Was ist mein Alleinstellungsmerkmal? Geschwindigkeit, Agilität, Dienstleistung, Kosten, Qualität oder Innovation?
- Wo muss ich meine alte Lieferkette transformieren, um die strategischen Geschäftsziele zu erreichen?
- Welche Initiativen sind notwendig, um das neue digitale Liefernetzwerk zu konfigurieren?
Nach der Beantwortung dieser Fragen fangen erfolgreiche Unternehmen mit kleinen Transformationsprojekten am Rande ihrer Organisation an und versuchen, diese zu skalieren. Experimentieren und scheitern ist dabei ein wichtiges Prinzip, da beides zu grösserer Innovation führt. Digitalisierte Entwicklung, synchronisierte Planung, intelligente Beschaffung und Fabriken sowie dynamische Bedarfsdeckung und vernetzte Kunden sind nur einige Beispiele möglicher Priorisierungen, die mittels neuer Technologien wie Sensoren, Robotik, autonomes Fahren, Drohnen, Blockchain, 3D-Druck, prädiktive Analytik oder künstliche Intelligenz zu Wachstumschancen werden können. Wichtig ist, dass die Transformationsprojekte schnell realisiert und nicht unbedingt perfektioniert werden. Denn oft sind Iterationen notwendig, da sich digitale Technologien schnell und ständig weiterentwickeln.
Markus Koch, Leiter Strategic Development; Philipp Merkofer, Senior Researcher; beide Consumer & Industrial Products, Deloitte Schweiz, Zürich.