Sie wurden kürzlich zum Präsidenten der European Rail Freight Association (ERFA) gewählt. Wozu braucht es diese Vereinigung?

Dirk Stahl: Die Interessen unserer Branche werden einerseits durch die CER, die Gemeinschaft der europäischen Bahnen, vertreten. Diese ist allerdings stark von den integrierten Staatsbahnen und deren Bedürfnissen geprägt. Die ERFA dagegen vereint seit mehreren Jahren die Privatbahnen und New Entrants – viele neue und innovative Unternehmen.

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Und was will die ERFA?

Der Güterverkehr ist ein internationales und liberalisiertes Geschäft. Deshalb ist es entscheidend, dass alle Güterbahnen im freien Netzzugang ihre Züge reibungslos durch Europa fahren können. Wenn dies nicht gelingt, wird die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene nicht gelingen.

Fühlen sich die ERFA-Bahnen gegenüber den Staatsbahnen benachteiligt?

Wir müssen als private Güterbahnen zugunsten unserer Kunden für unsere Interessen einstehen. Der Vorteil der ERFA liegt darin, dass wir ganz konsequent die Interessen des Güterverkehrs gegenüber der Politik vertreten und auf die Wichtigkeit beispielsweise ausreichender Gütertrassen hinweisen. Hier scheuen wir uns auch nicht, auf Konflikte mit dem Personenverkehr und den Infrastrukturbereichen hinzuweisen. Dies tun die integrierten Staatsbahnen in der Regel nicht allzu konsequent.

Welche Erfolge konnte die ERFA denn jüngst verbuchen?

Wir konnten für die Anliegen des Güterverkehrs die Akzeptanz deutlich erhöhen. In vielen europäischen Ländern haben die privaten Güterbahnen hohe Marktanteile und ein stärkeres Wachstum als die Staatsbahnen. In der Schweiz feiern die Güterbahnen mit der ausgezeichneten Verlagerungspolitik auch materielle Erfolge.

Das heisst?

Heute existieren Netznutzungspläne für den Güterverkehr, mit denen Gütertrassen gesichert werden. Dieses Erfolgsmodell möchten wir auch nach Europa tragen und damit die Verlagerung auf die Schiene beschleunigen. Bemerkenswert ist, dass mit meiner Wahl der Chef eines Schweizer Unternehmens die Interessen der Bahnen in Europa auch gegenüber der EU vertreten wird.

Welche Ziele werden Sie als ERFA-Präsident prioritär verfolgen?

Ich möchte zum einen deutlich machen, welche wichtige Rolle die Güterbahn in der Klimapolitik übernehmen kann. Zum andern sind mir die europäischen Bahnkorridore ein wichtiges Anliegen. Es müssen in allen Ländern die gleichen Rahmenbedingungen existieren, es braucht einen wirklichen europäischen Bahnmarkt. Die nationalen Eigenheiten müssen abgebaut werden, es gibt keine Gründe dafür.

Wie profitiert die Schweiz von Ihrer Präsidentschaft?

Die Schweizer Verlagerungspolitik wird nur gelingen, wenn in allen umliegenden Ländern ein schienenfreundliches Umfeld entsteht und auch im Norden und Süden der Neat die Anschlüsse gesichert sind. Diese Grundhaltung bezüglich effizienter und leistungsfähiger Korridore werde ich nach Brüssel tragen. Das dient aber nicht nur der Schweiz, sondern der gesamten europäischen Bahnpolitik.in der EU zeigt man sich an diesen Überlegungen und Erfahrungen durchaus interessiert.

BLS Cargo ist schon heute international ausgerichtet. Wie läuft das Geschäft im Jahr 2019?

Grundsätzlich sind wir gut unterwegs und liegen im Plan. Wir konnten neue Kunden gewinnen und neue Produkte anbieten. Eine konjunkturelle Abschwächung spüren wir allerdings seit einigen Monaten bei unseren Chemie- und Automobilkunden. Dies dürfte sich negativ auf die Nachfrage nach Zügen bis Ende Jahr auswirken. Schon heute sehen wir eine Reduktion. Weiter bereitet uns der Brexit gewisse Sorgen. Wir spüren grosse Unsicherheiten, was die Verkehre von und aus England betrifft.

Die BLS hat im Mai die belgische Crossrail übernommen. Wie kommt die Integration voran?

Mit Crossrail fahren wir von Antwerpen in Belgien und aus Deutschland auf der Nord-Süd-Achse durch die Schweiz. Und auch im Ost-West-Verkehr sind wir aktiv – sogar mit Verkehren nach China. Die Integration des Unternehmens verläuft planmässig, erfordert aber viel Aufmerksamkeit. Der belgische Markt und Crossrail waren mit ein Grund, dass wir 25 neue Mehrsystemlokomotiven von Siemens bestellt haben, mit denen wir über mehrere Länder neu bis nach Belgien fahren können.

Sofern Sie genügend Lokomotivführer finden. Dort herrscht doch Personalmangel?

In Belgien und auch in der Schweiz haben wir genügend Personal. Anders sieht es in Deutschland aus: Dort greifen wir neben den eigenen Mitarbeitenden auch auf Personaldienstleister zurück. Diese Situation beschränkt dort zurzeit unser Wachstum.

Sie wollen die Verlagerungspolitik nach Europa tragen. Spüren Sie heute schon Auswirkungen der grünen Welle?

In unserem Geschäft sind die Qualität der Dienstleistung und ihr Preis nach wie vor ausschlaggebend. Wenn wir dort nicht wettbewerbsfähig sind, dann kommt trotz grüner Welle niemand zu uns. Die Bahn ist bei den grossen Verladern aber ein strategisches Thema – nicht nur wegen des Klimas, sondern auch wegen der überlasteten Strasseninfrastruktur. Wir spüren somit eine positive Grundstimmung.

Mit Planzer, Camion Transport, Galliker und Bertschi sind diesen Sommer vier grosse Schweizer Logistikdienstleister bei SBB Cargo eingestiegen. Wie sehen Sie die Entwicklung bei Ihrem Wettbewerber?

Im nationalen Verkehr kann ich durchaus nachvollziehen, dass sich die Spediteure an SBB Cargo beteiligt haben. Die genauen Zielsetzungen kenne ich nicht, aber wir pflegen eine gesunde Wettbewerbsbeziehung zu den SBB. Unser eigentlicher Konkurrent ist aber SBB Cargo International, das von diesem Deal nicht betroffen ist. Am Ende ist für uns entscheidend, dass die Bedingungen im Wettbewerb für alle gleich sind und dass dieser fair ausgetragen wird.

«Es braucht einen wirklichen europäischen Bahnmarkt.»

Dirk Stahl CEO BLS Cargo