Der Kontrast könnte kaum grösser sein. Hier das prächtige Hotel oberhalb von Épernay, dort die eher gemütlich als prächtig anmutende Weingutvilla in Aÿ-Champagne. Ersteres wartet mit einem luxuriösen Spa-Bereich und gleich zwei Restaurants auf. Allein der Suiten wegen lohnt sich der Besuch im «Royal Champagne» – und da sind  zudem die gigantische Auswahl an Weinen aus der Region und die Delikatessen zum Frühstück (hausgebackene Financiers!) erwähnenswert. Zwei Stunden nach dem Einchecken soll hier das Abendessen stattfinden.

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In der Villa wiederum residiert die Champagnermarke Lallier. Hübsch ist es ja hier, aber wirklich repräsentativ? Man könnte daran zweifeln: Keine Besuchermassen wie bei Pommery und Moët & Chandon, keine Neugierigen, die sich wie bei Anselme Selosse um die wenigen Flaschen kultigen Winzerchampagner balgen. Understatement ist im Hause Lallier Trumpf.

Im Heiligtum der Franzosen

Auch derjenige, der die Gäste nun empfängt, erst in der Villa, dann auch im Hotel, ist keiner der plakativen Sorte. Dominique Demarville war viele Jahre das Kellermeistergesicht von Veuve Clicquot und landete nach einem kleinen Umweg bei Lallier. Als Chef de Cave und General Manager in einer Person. Demarville? Er sei der Beste, sagt einer seiner Kollegen im Vertrauen. Blöd nur, dass der Star noch nicht viel vorzeigen kann. Er muss erst mal das verkaufen, was sein Vorgänger eingelagert hat. Viele Monate reifen die Champagner schliesslich auf der Hefe, bis sie degorgiert, dosiert, verkorkt und präsentiert werden. Im Falle der Prestigecuvées vergehen auch schon mal acht und mehr Jahre, bis das Ergebnis feststeht. Hätte da jemand am Anfang einen Fehler gemacht, stimmte das Mischungsverhältnis nicht, wäre es längst zu spät, um zu korrigieren. Was jetzt bei Lallier, dem Haus mit Familientradition seit 1906, auf dem Markt ist, schmeckt zwar gut bis hervorragend. Doch an der absoluten Spitze der führenden Champagnerhäuser sah das Haus bislang kaum jemand.

Genau das dürfte sich nun ändern. Dass er ganz nach oben will, sagt Demarville zwar nicht, dazu ist er viel zu diplomatisch. Doch eines ist klar: Seit der Getränkekonzern Campari 2020 Lallier übernahm und damit Furore auf dem Markt der Champagner auslöste – eine italienische Firma wagt es, im Heiligtum des französischen Weinbaus mitzumischen! –, redet man über Lallier. Dass der neue Eigentümer investiert, was das Zeug hält, ist schliesslich sichtbar. Neben Demarville, der seit Anfang 2021 das Ruder übernommen hat, sind die junge Önologin Camille Seite und Weinbergmanager Mathieu Pingret neu im Team. Kein Wunder, dass die Lagen rund um Aÿ-Champagne aussehen wie gemalt. Was verbessert man sonst noch, wenn vieles schon gut ist? Eine Revolution ist nicht geplant, aber Stellschrauben gibt es viele, an denen eifrig gedreht wird. Hört man Demarville zu, fallen Begriffe wie Nachhaltigkeit und Hefen; auf Letztere legt der neue Chef viel Wert, sie werden aus den Parzellen vermehrt. Dass Frische neben Terroir den Charakter der Lallier-Champagner prägen soll, ist auch klar. Der biologische Säureabbau wird, wenn es die Reife der Trauben erlaubt, unterbunden. Er soll ja schliesslich auch beim zweiten und dritten Glas noch Spass machen, der Lallier-Champagner. Und natürlich interessiert sich Demarville auch für Holzfässer aus Eichenholz, das in der Champagne geschlagen wird; Frische muss mit Komplexität unterfüttert werden. Produziert wird übrigens nicht im Keller in Aÿ-Champagne, wo lediglich die kostbarsten Flaschen reifen, sondern in einem modernen Gebäude in Oger.

Chardonnay dominiert zum ersten Mal

Fürs Diner eignet sich das Hotel Royal Champagne besser. Dominique Demarville hat das Beste mitgebracht, was sein neuer Keller zu bieten hat. Der Réflexion genannte Einstiegswein wird um einen Basisjahrgang herum komponiert; im R.019 spielt der Jahrgang 2019 die Hauptrolle. Beim Blanc de Blancs, ganz aus Chardonnay vinifiziert, sind Jakobs- und Miesmuscheln mit Safran an der richtigen Stelle. Die Ouvrage genannte Topcuvée harmoniert danach nicht nur mit dem in Olivenöl pochierten Wolfsbarsch, sondern macht auch zur Ente eine prima Figur. Schliesslich hat die Küche den Vogel mit gebackenen Äpfeln, Honig von hoteleigenen Bienen und mit einem zitrusfruchtigen Jus umrahmt. Grandios ist auch – schon jetzt – der sogenannte Loridon, der Terroirchampagner einer kleinen Parzelle in Aÿ-Champagne. Wenn man sich vorstellt, dass Demarville da noch einen draufsetzen könnte, wird einem ganz flau im Magen.

Den Loridon nach neuem Konzept wird der Neugierige natürlich erst in einigen Jahren kosten dürfen – zusätzlich zum einen oder anderen Projekt, das bislang noch nicht kommuniziert und vielleicht noch nicht einmal entwickelt wurde. Immerhin gibt es schon den allerersten Champagner, für den Kellermeister Demarville wirklich haftbar gemacht werden kann: Bei der Réflexion-Version R.020 dominiert zum ersten Mal der Chardonnay (die 51 Prozent der weissen Sorte werden um Pinot noir ergänzt). Mit dreissig Monaten reifte der Wein deutlich länger als verlangt, und die 7 Prozent Dosage sind so niedrig gehalten, dass sie nicht als Süsse wahrnehmbar sind. Die Schnelligkeit, mit der sich das Glas leert, würde auch dem zurückhaltenden Monsieur Demarville ein Lächeln ins Gesicht treiben.

Die berühmten Kellermeister der Champagne neben Dom Pérignon

Meisterklasse Dom Pérignon war gewiss der bekannteste Kellermeister aller Zeiten. Der Mönch und Förderer der Schaumweinproduktion erfand in der Abtei von Hautvillers zwar nicht den Champagner, wie so manche angeblich schlauen Bücher kolportieren, aber er sorgte für nachhaltige, massstabsetzende Verbesserungen. Dom Pérignons Ideen machten den hiesigen Schaumwein erst zu dem, was er heute ist. Ihm nachgeeifert haben viele, doch einen Namen über die Region hinaus machten sich wenige. Zu ihnen gehört Vincent Chaperon. Der Chef 
de Cave von Dom Pérignon trat die Nachfolge des mittlerweile ins Sake-Business gewechselten Richard Geoffroy an. Bei der Marke Krug sorgt mit Julie Cavil nun eine der wenigen weiblichen Topönologinnen für spannende Prestigechampagner. Zu den aufstrebenden Stars gehört Maximilien Bernardeau, der neue Chef de Cave des familiengeführten und für seinen Grand Siècle weltbekannten Produzenten Laurent-Perrier. Längst etabliert sind dagegen zwei andere: Jean-Baptiste Lécaillon von Roederer (er zeigt, dass in der Region auch stille Weine von herausragender Güte vinifiziert werden können) und Mathieu Kauffmann. Dieser war einst Chef de Cave von Bollinger und ist inzwischen in der Pfalz verantwortlich für Deutschlands ambitioniertestes Schaumweinprojekt namens Christmann & Kauffmann – kein Champagner, aber trotzdem richtig gut.