Wie wird man Kellermeister des berühmtesten Champagners der Welt?

Im Grunde habe ich mich für die Schönheit und die Harmonie der Natur entschieden. Ich wollte immer in und mit der Natur arbeiten. Und dieser Wunsch hat mich zur Önologie und zum Champagner geführt. Dass ich bei Dom Pérignon gelandet bin, war wohl Schicksal. Mein Vorvorgänger als Kellermeister, Philippe Coulon, hat mich praktisch direkt von der Universität angeworben und dann im Haus «aufgezogen».

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Nehmen Sie uns mit zu Ihrer täglichen Arbeit.

Der Austausch und die Begegnung mit anderen stehen im Mittelpunkt meiner Arbeit. Der Beruf des Kellermeisters ist eine Tätigkeit als Handwerker, Techniker und Agronom gleichzeitig. Kellermeister zu sein, ist vor allem eine humanistische Aufgabe; wir erschaffen einen Wein mit dem Körper, mit Intelligenz und Emotionen. Es ist fast eine spirituelle Suche. Und wir haben das Glück, ständig der Natur ausgesetzt zu sein. Sie erinnert uns daran, demütig zu bleiben, zu respektieren und zu akzeptieren, dass das Leben komplex ist.

Die Champagner von Dom Pérignon stehen für einen bestimmten Stil. Welchen Einfluss haben Sie überhaupt?

Dazu muss man wissen: Es gibt zum einen natürlich die Tradition, das Erbe von Dom Pérignon, man kann es bezüglich der Komplexität und der Harmonie der Champagner auch als die DNA des Hauses bezeichnen. Und zum anderen gibt es dich als Kellermeister. Es ist eine ständige Diskussion zwischen dir und Dom Pérignon. Und ich muss, immer unter Berücksichtigung des Erbes, eine Richtung vorgeben, die den Champagner zusammen mit meinen Ideen und Emotionen vervollständigt. Damit ist jeder Champagner eine Begegnung zwischen einer Person und einem Erbe. Heute arbeite ich mit Champagnern, die von Richard Geoffroy, meinem Vorgänger, entworfen wurden, und einigen, die sogar von seinem Vorgänger hergestellt wurden.

Sie sind jetzt seit rund fünf Jahren Kellermeister von Dom Pérignon. Was haben Sie in dieser Zeit verändert?

Es gibt viele Dinge, die ich bereits eingebracht hatte, bevor ich die Position übernahm. Mit meinem Vorgänger Richard habe ich 13 Jahre zusammengearbeitet. Und er hatte mit seinem Vorgänger Dominic 15 Jahre zusammengearbeitet. Man bringt seine Seele, seine Emotionen und seinen Spirit ein. Und es gibt ausführliche Diskussionen mit dem Team. Allerdings muss ich zugeben, dass man, wenn man die Führungsrolle übernimmt, auf einmal in einer Position ist, in der man die Vision entwickeln und die Richtung vorgeben muss.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir verwenden sehr viel Energie für den Weinberg. Dort stehen wir vor einer Reihe von Herausforderungen wie dem Klimawandel und der Krise bezüglich der Biodiversität. Als Weinerzeuger haben wir die Verantwortung, dort etwa zum Besseren zu verändern. Und auch zu dokumentieren, was wir hinterlassen. Ich sehe mich als Agrarökologen. «Öko» bedeutet ja «Haus». Es ist das Haus des Lebens, das wir aufs Feld zu bringen versuchen.

Sie setzen keine Pestizide mehr ein?

Schon seit 15 Jahren nicht mehr. Das war ein langer Prozess: Wir pflanzten erst Gras an, danach entschieden wir uns, den Boden umzugraben. Aber das Umgraben ist auch nicht ideal, man verändert die Erde und fährt mit Traktoren durch die Natur. Seit fünf, sechs Jahren suchen wir die richtigen Pflanzen, die die Weinstöcke komplementieren und nicht zu viele Nährstoffe und Wasser aus dem Boden ziehen. Doch das ganze Thema ist sehr komplex.

Zur Person

Vincent Chaperon studierte Önologie an der Universität Burgund und schloss sein Studium 1996 ab. Anschliessend arbeitete er für die Champagnerhäuser G. H. Mumm und Ruinart, bevor er 1999 zu Moët & Chandon kam. Im Jahr 2005 wurde Vincent Chaperon zum stellvertretenden Kellermeister von Dom Pérignon ernannt. Er arbeitete mit Kellermeister Richard Geoffroyzusammen. Nach dessen Weggang wurde er 2019 zum Kellermeister des Hauses ernannt.

Das Unternehmen: Die LVMH-Gruppe, Eigentümerin von Champagnerhäusern wie Ruinart, Mercier und Krug, besitzt über ihre Tochtergesellschaft Moët & Chandon die Marke Dom Pérignon.

 

Sie verkaufen aktuell Champagner aus Jahrgängen, als noch gespritzt wurde.

Ja, das ist Champagner aus einer anderen Ära. Aber im Champagner sind keine Spuren davon zu finden. Es ist eher eine philosophische Betrachtung.

Den Champagner, den Sie heute kreieren, wird man erst in zehn, zwanzig oder dreissig Jahren trinken. Wer kann Ihre Arbeit heute eigentlich beurteilen?

Korrekt, im Prinzip arbeite ich für die nächste Generation. Der Champagner, den wir heute machen, wird frühestens in zehn Jahren getrunken. Vieles davon erst in dreissig, vierzig oder fünfzig Jahren. Aber es geht mir nicht um die Beurteilung meiner Arbeit. Was mich antreibt, sind die Leidenschaft und die Emotionen in der Arbeit mit dem Champagner. Ich frage mich jeden Tag, was ich heute hinterlassen habe. Hatte ich einen positiven emotionalen Moment? Das mag etwas philosophisch oder spirituell sein. Aber das beschäftigt mich sehr, es geht um diese positive Energie, die du aus den besonderen Momenten des Tages ziehen kannst. Das ist für mich wichtig.

«Der grösste Fehler ist heute, unseren Champagner zu schnell zu geniessen.»

 

Wie schwer wiegt die Verantwortung für dieses Erbe, die Sie ja zwangsläufig tragen?

Natürlich ist es eine Verantwortung, aber sie belastet mich nicht. Ich nehme für mich die Freiheit in Anspruch, in jeder Minute in der Lage zu sein, das Unternehmen zu verlassen. Das ist in gewisser Weise eine mentale Position. Natürlich ist niemand ganz frei. Es gibt die Familie, die Kinder, finanzielle Bedingungen, aber man muss versuchen, sich mental diese Freiheit zu geben, zu sagen, ich kann jederzeit gehen. Das ist aus meiner Sicht elementar, um täglich qualitativ hochwertig zu arbeiten. Denn je abhängiger wir von einem Job sind, desto weniger Leistung bringen wir.

Ihr Lieblingsjahrgang?

2022 – ich hänge sehr an ihm und hatte eine sehr starke emotionale Verbindung zu diesem Jahrgang. Seit 2018 bin ich immer weiter gegangen, um mich selbst zu bestätigen, um meinen eigenen Weg zu gehen, und das ist es, was dieser Jahrgang vermitteln wird.

Wenn Sie beispielsweise in zwanzig Jahren weiterziehen, was möchten Sie hinterlassen?

Ich habe eine künstlerische Ambition. Ich möchte eine neue Richtung für den Champagner kreiert haben. Ich möchte Dom Pérignon helfen, über die Produkte, die Erfahrungen und Projekte zu wachsen, sich zu erweitern und sich auf neuen Ebenen zu etablieren. Kreativität ist das Gegenteil von Industrialisierung. Leben ist Kreativität. Bei jedem neuen Jahrgang von Dom Pérignon starten wir bei null. Wir erfinden uns jedes Jahr neu. Jeder Jahrgang ist eine Gelegenheit, um einen neuen Stern in der Galaxy von Dom Pérignon zu kreieren. Und ein weiterer Punkt ist, dass ich die Menschen um mich herum entwickelt und weitergebracht habe.

Welche Trends sehen Sie in der Champagnerindustrie?

Der grosse Trend ist, dass der Champagner mehr in die Richtung Wein geht. Über vierzig Jahre steht Champagner als Symbol für das Geniessen, das Feiern, die Freude, für positive Energie. Das soll so bleiben, aber Champagner ist nicht nur das. Viele haben vergessen, dass Champagner auch exzellenter Wein ist. Der auch ein Essen perfekt begleiten kann. Diesen Aspekt wollen wir stärker hervorheben.

Wie sollte man einen Dom Pérignon geniessen?

Nehmen Sie sich Zeit beim Trinken, und denken Sie an die Zeit, die es gedauert hat, ihn herzustellen und zu kreieren. Das öffnet ein Fenster für Respekt, Neugier und Zeit. Der grösste Fehler ist heute, unseren Wein zu schnell zu geniessen und grosse Teile der Komplexität und der verschiedenen Ebenen zu verpassen, die er bietet. Unser Champagner handelt von Ebenen. Lass diese verschiedenen Ebenen zu dir sprechen.

Und bei welcher Temperatur?

Am besten bei zehn Grad servieren und dann etwas erwärmen lassen, beispielsweise während des Essens. Um zu sehen, wie sich der Champagner verändert. Es ist sehr komplex.