Tiktok, BYD, Alipay, Alibaba, Xiaomi – eine Handvoll chinesischer Firmen ist in den vergangenen Jahren erfolgreich innerhalb des Schweizer Markts aufgestiegen. Auch in Europa zählen diese Firmen zu den grossen Wachstumstreibern; sie werden inzwischen in einem Atemzug mit ihren westlichen Konkurrenten Instagram, Tesla, Amazon und Samsung genannt. «Diese Entwicklung zeigt die Auswirkung des Smart-Nation-Entwicklungsprogramms, das sich China 2015 selbst verordnet hatte», sagte der belgische Sinologe und China-Experte Pascal Coppens kürzlich an einer Konferenz in Peking. Bei diesem Programm stehen für den Aufbau von Firmen und ihren Marken qualitative statt quantitative Entwicklungsaspekte im Vordergrund. Eine ganz zentrale Rolle hierbei spielt die künstliche Intelligenz (KI).

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KI als Firmenboss 

Allerdings gehe dabei auch einiges schief, so Coppens weiter. «Wenn man in China etwas neu aufbaut und unternimmt, geht es im ersten Anlauf oft grässlich daneben.» Das betreffe auch und gerade den Aufbau von Marken – die ersten Produktgenerationen seien oft schockierend schlecht, so Coppens, der mit seiner Familie die Entwicklungsschritte in China der vergangenen dreissig Jahre selber erlebt hat. «Aber so im vierten, fünften Anlauf sieht es dann viel besser aus – und heute ist die KI bereits überall drin.» Sie steuert die mobile Werbung genauso wie die Avatare, welche Nachrichten verlesen – und inzwischen auch Firmen. Die Firma Netdragon Websoft mit Sitz im chinesischen Fuzhou hat im Frühling das KI-Programm Tang Yu zu ihrem neuen CEO erklärt. Diese KI kümmert sich seither um 70 Prozent der Alltagsentscheidungen wie auch um den Markenaufbau.

Beispielsweise über die KI-Maschine von Perplexity. Dieses inzwischen mit 3 Milliarden Dollar bewertete Unternehmen, das keine eigenen Large Language Models (LLM) aufgebaut hat, sondern die bestehenden von Open AI und weiteren Firmen nutzt, experimentiert gemäss «Financial Times» mit Marken wie Nike und Marriott an neuen Werbemodellen, mit denen die Google-Dominanz herausgefordert werden soll. Ziel hier ist die Entwicklung von «gesponserten» Folgefragen an die grossen Marken.

 

Marken brauchen weiterhin eine Strategie

Diese Entwicklung weist laut den Expertinnen und Experten der Boston Consulting Group (BCG) eine naheliegende Logik auf. «Denn Marken sind heute wichtiger denn je», sagt Joanna Stringer, Managing Director und Partner bei BCG London. «Sie verkörpern die Fähigkeit eines Unternehmens, menschliche Verbindungen in grossem Massstab aufzubauen.» In einer Welt fragmentierter Medien und individueller Infoblasen würden Konsumierende stärker als je zuvor an der Glaubwürdigkeit dessen zweifeln, was ihnen begegnet. Gerade deshalb sei die Beständigkeit eines Markenversprechens und der Aufbau echter Glaubwürdigkeit zu einem der wertvollsten Vermögenswerte im modernen Geschäftsleben geworden.

«KI bietet heute zahlreiche Möglichkeiten, Marken effizient zu entwickeln, und kann viele der komplexen Prozesse übernehmen, wie etwa Marktchancen für Marken identifizieren und optimieren durch die Analyse der Marktnachfrage und des Wettbewerbsverhaltens», so Stringer weiter. «Ebenso kann KI zur Skalierung einer Marke beitragen, indem sie Berührungspunkte analysiert und deren relative Bedeutung sowie den Return on Investment bewertet.» Dennoch würden wesentliche Aspekte in menschlicher Hand bleiben: die Kreativität, Vorstellungskraft und Empathie, die notwendig sind, um eine Markenstrategie sensibel und erfolgreich umzusetzen, sowie das Vermögen, innerhalb der Organisation Unterstützung und Vertrauen für die Marke zu gewinnen. Prompting statt Catwalk.

 

KI als Umsatzbooster

Sichtbar ist das bereits bei einigen Modelabels: Etro beispielsweise liess für seine Frühlingskampagne einen Teil der Bilder von der KI generieren. Weitere Marken wie Moncler, Mango, Valentino und Pandora nutzen die KI ebenfalls. Die «neuen Supermodels» bewegen sich dann in fantastischen Sci-Fi-Umgebungen, die mit ausgefeiltem Prompting erzeugt wurden. Man benötigte beispielsweise bei der Handtaschenmarke Misela für die 15 Frauen, die ihre Taschen in 15 unterschiedlichen Städten tragen, nur noch wenige Minuten für das Zusammenstellen der Bilder – und keine Reise um die Welt mehr. Gemäss dem Beratungsunternehmen McKinsey soll die KI in den nächsten drei bis fünf Jahren zwischen 150 und 275 Milliarden Dollar zu den Gewinnen der Firmen beitragen – wegfallende Reisekosten sind ein Teil davon.

Gewisse Schwächen hat die KI derzeit noch – und hier müssen die Menschen weiterhin einspringen. Beispielsweise bei den Kleidungsstücken. Diese werden laut einem Bericht der «Financial Times» bei den Etro-Modellen nach wie vor konventionell aufgenommen und erst bei den späteren Schritten in die künstlich erzeugten Umgebungsfotos eingebaut.