Die gfm hat «Mindshift» in den Fokus ihrer Aktivitäten gestellt. Warum?
Dominique von Matt: Zentral für die gfm ist die Frage, welchen Impact Corona, der Ukraine-Krieg und der Klimawandel auf unser Mindset und damit auch auf unser Konsumverhalten haben.
Jean-Marc Grand: Dem Thema «Mindshift» liegen drei Thesen zugrunde. Die erste These lautet: Wir erleben eine Rückkehr zum Vertrauten. In diesen Kontext gehört zuerst einmal das Revival der Heimatliebe. Im Moment verfolgen wir nicht nur eine Deglobalisierung der Lieferketten, sondern auch eine in unseren Köpfen. Auf die Frage an die Schweizer Bevölkerung, wie sie ihr Einkaufsverhalten nach der Pandemie geändert hat, wurde «Häufiger Schweizer Produkte kaufen» am meisten genannt. In diesem Jahr fordern 67 Prozent, dass mehr in der Schweiz produziert wird. Themen wie Swissness und Regionalität werden in Zukunft noch wichtiger.
Wie lautet die zweite These zum Thema Mindshift?
DvM: Die Ansprüche an das gesellschaftliche Engagement von Marken steigen exponentiell. Wenn 88 Prozent der Bevölkerung im DACH-Raum Marken bevorzugen, die aktiv zur Lösung globaler Probleme beitragen, können wir nicht weiter an der Seitenlinie stehen. Neben dem Nachhaltigkeitsengagement müssen Marken immer häufiger auch Stellung zu gesellschaftlichen Themen beziehen. Im Jahrzehnt der Nachhaltigkeit brauchen Unternehmen eine «Social Licence to Operate». Das Fazit für uns: Brand Activism wird belohnt. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Engagement im Bereich Klimawandel und Rassismus eine Kundin beziehungsweise einen Kunden zu gewinnen, ist gemäss einer Studie von Deloitte viermal höher, als diese zu verlieren.
JMG: Gleichzeitig ist diese Strategie mit immer höheren Risiken behaftet. Wir starten heute in der Defensive: 72 Prozent der Schweizer Bevölkerung glauben in diesem Jahr, dass es sich bei den Nachhaltigkeitsengagements von Unternehmen um PR handle. Wichtig ist hier ein gutes Expectation Management.
Damit kommen wir zur dritten und letzten These: Die Virtualisierung unseres Lebensstils ist nochmals sprunghaft angestiegen.
DvM: Corona hat die Verschiebung vom realen in den virtuellen Raum auf ein «Next Level» gebracht, weil auch alle nicht digitalaffinen Menschen begannen, online zu shoppen und zu gamen. Über drei Viertel der Pensionierten sind heute online. Aber auch die unter Dreissigjährigen sind immer länger online: Sie verbringen pro Woche im Durchschnitt dreissig Stunden am Handy.
JMG: Gaming hat alle Bevölkerungsgruppen erreicht. Das Durchschnittsalter der Gamer in der Schweiz, die mehrmals pro Woche oder täglich spielen, liegt bereits bei 41,8 Jahren. Die Bedeutung der Game-Welten ist auch Ausdruck einer Realitätsflucht, die nicht nur in der digitalen Welt stattfindet. Anders kann ich mir den Erfolg des «Barbie»-Films jedenfalls nicht erklären – eine Psychologin würde den Film wohl als «Übersprunghandlung» angesichts der gravierenden Probleme einordnen. Da passt leider gut dazu, dass das Interesse an News in der Schweiz sinkt.
DvM: Das Metaverse wird kommen, viel später, als wir denken, aber dafür umso heftiger. KI wird diesen Trend noch verstärken, aber sie wird vor allem die Art, wie wir arbeiten und kommunizieren, bereits vorher revolutionieren. Alle Topunternehmen werden in KI investieren, beim Prompt Engineering aufrüsten und damit vermutlich ähnliche Möglichkeiten haben, was eher der Uniformität Vorschub leistet. Für uns als Markenführer heisst das, dass wir den Unterschied durch menschliche Kreativität schaffen müssen. KI kennt alle Regeln, kann sie aber nicht brechen und wirklich Neues hervorbringen. Wir müssen das vordergründig Irrationale zulassen können, weil das vielleicht den entscheidenden Unterschied schafft.