Wie beeinflussen die Kriege in der Ukraine und in Gaza/Israel Ihr Geschäft?

Der Krieg in der Ukraine hat die Gas- und Energiepreise in ganz Europa explodieren lassen – aktuell liegen die Preise immer noch viermal höher als vor dem Krieg. Was den Krieg in Gaza/Israel betrifft, sehen wir europaweit Auswirkungen auf Rohstoffe wie Schrott. Israel war früher für EU-Länder ein wichtiger Partner für den Handel mit Schrott und Stahl. Diese Auswirkungen treffen unsere Gruppe, die europaweit tätig ist. Stahl Gerlafingen hingegen bezieht Schrott für das Recycling nur aus der Schweiz und aus dem grenznahen Bereich von EU-Ländern.

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Die EU hat – im Gegensatz zur Schweiz – die strategische Bedeutung der eigenen Basisindustrie erkannt. Die Schweiz ist deshalb mit einer aggressiven und strategisch ausgerichteten EU-Industriepolitik konfrontiert. Diese torpediert mehr und mehr den metallischen Materialkreislauf in der Schweiz, aber auch die Exporte in die EU. Die Situation für energieintensive Metallfirmen hat sich über den Sommer weiter verschärft. Die vielfältigen Stützungs- und Fördermassnahmen der EU für die eigene Industrie werden künftig noch stärkere Effekte in der Schweiz zeigen und einen fairen Wettbewerb endgültig verunmöglichen – mit einer Verliererin, der Schweiz. Ohne zielgerichtete und schlaue Interventionen des Bundes, die auch temporär angelegt sein können, wird es sehr schwierig, unsere Wettbewerbsfähigkeit zu wahren. Dazu kommt der Grenzschutz für Stahl, der uåns immer stärker trifft. Momentan können wir einen substanziellen Teil unserer Exporte nicht mehr wie gewohnt durchführen. Demgegenüber wird der Schweizer Markt mit billigem Stahl aus unseren Nachbarländern und Drittstaaten buchstäblich geflutet, was uns längerfristig aus dem Markt treiben wird. Insofern hat für uns vor allem eines Priorität: Wir müssen unsere Marktanteile in der Schweiz verteidigen.

Das müssen Sie erläutern.

Insbesondere im Energiebereich gewährleisten die aktuellen Rahmenbedingungen die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Schweizer Unternehmen nicht. Wir sind ständig mit europäischen Wettbewerbern (zum Beispiel aus Frankreich, Italien und Deutschland) konfrontiert, deren Energiepreise deutlich niedriger sind als die unseren und deren Politik Investitionen in Dekarbonisierungsprojekte fördern, die hierzulande nicht vorhanden sind. Insbesondere die nachhaltige Produktion von Baustahl ist für die Schweiz eine strategische Industrie. Stahl Gerlafingen deckt 50 Prozent des internen Bedarfs, und der Ausfall eines solchen Systems würde zum sofortigen Stillstand aller nachgelagerten Sektoren führen. In diesem Fall müsste der gesamte Schweizer Schrott ins Ausland exportiert und das fertige Produkt importiert werden. Dies würde nicht nur zu einer Abhängigkeit vom Ausland führen, sondern auch die globale CO2-Emissionen-Bilanz deutlich erhöhen.

Der Stahlharte

Name: Alain Creteur
Funktion: CEO Stahl Gerlafingen

Das Unternehmen Stahl Gerlafingen ist der grösste Recyclingstahlproduzent der Schweiz. Mit Bewehrungs- und Profilstahl werden der Hoch- und Tiefbau sowie die Industrie mit qualitativ hochstehenden Stahlprodukten versorgt. Mit rund 540 Mitarbeitenden produziert das Unternehmen jährlich 700 000 Tonnen Stahlprodukte, die mehrheitlich in der Schweiz und im grenznahen Ausland abgesetzt werden.

Der Bundesrat hält eine CO2-Abgabe, wie sie die EU eingeführt hat, für verfrüht.

Die Europäische Union verfolgt die Weiterentwicklung ihres CO2-Emissionshandelssystems. Nebst einer höheren Absenkrate der zulässigen CO2-Emissionen und dem Wegfall von kostenlos zugeteilten Emissionsrechten umfasst das Paket auch sogenannte Grenzausgleichmechanismen (CBAM), welche für die betroffenen Industrien gleiche Wettbewerbsbedingungen wie in Drittländern schaffen. So soll sichergestellt werden, dass die klimapolitischen Ziele erreicht werden können und nicht lediglich die Industrie ins nicht europäische Ausland verlagert wird. Mit dem Entscheid des Bundesrates, auf solche Ausgleichsmechanismen in der Schweiz zu verzichten, verpasst er es, den klimapolitischen Zielen der Schweiz Nachdruck zu verleihen.

«Die Schweiz wird mit billigem Stahl derzeitbuchstäblich geflutet.»

 

Der Bundesrat begründet diesen Entscheid mit den damit verbundenen aussenwirtschaftlichen Risiken und dem unsicheren Kosten-Nutzen-Verhältnis solcher Massnahmen.

Die Annahme, dass die betroffenen Industrien ihr Produktionsniveau auch ohne CBAM halten können, entbehrt jeglicher Grundlage und wurde im europäischen Raum bereits mehrfach widerlegt. Der Bundesrat verkennt dabei, dass es sich bei den betroffenen Industrien um Schlüsselindustrien für die Schweizer Wirtschaft handelt, deren Produkte und Know-how für sämtliche nachgelagerten Branchen essenziell sind.

Was wird passieren, wenn der Bundesrat nicht einlenkt?

Die Auswirkungen davon, CBAM mittelfristig in der Schweiz nicht umsetzen zu können, dürften weitreichend sein. Nicht nur sehen sich die betroffenen Industrien mit ungleichen Wettbewerbsbedingungen und hohem Importdruck konfrontiert. Der Import von Gütern aus Ländern mit weniger ambitionierter Klimapolitik dürfte mittelfristig und global auch zu höheren Emissionen, Transportkosten, Druck auf die Verkehrsinfrastruktur und einer hohen Abhängigkeit vom Ausland führen. Eine solche Politik kann nicht im Interesse des Werkplatzes Schweiz sein.

Wenn Sie einen Wunsch an die Politik frei hätten – welcher wäre das?

Wie oben bereits erwähnt, sind die Marktverzerrungen durch die EU und ihre Mitgliedsländer ein massives Problem. Hier wünschten wir uns mehr Unterstützung durch die Politik. Uns würden Lösungen im Bereich der europaweit höchsten Netzabgaben schon helfen. Denn diese verteuern unsere Energie im Vergleich zum Ausland zusätzlich. Dazu sollten energieintensive Unternehmen die Möglichkeit erhalten, gleichberechtigt mit den Energieversorgern bei der Winterreserve mitzubieten. Wenn wir die Produktion stoppen, wird Energie zur Stabilisierung der Netze frei. Zudem können wir dem Bund diese Reserven billiger anbieten als die Energieversorger. Und wenn man weiterdenkt, könnte der Bund, wie Italien es getan hat, einen Energiepreisdeckel von 70 Franken pro Megawattstunde für einen Bedarf von 25 Prozent beschliessen. Wer diesen tieferen Preis in Anspruch nimmt, muss die Differenz zwingend in Produktionskapazitäten für erneuerbare Energien investieren. Wir haben unserseits mehrere Vorschläge erarbeitet und sind bereit, in Verbesserungsprojekte und Massnahmen zu investieren. Wir stehen auch für Diskussionen zur Verfügung, um mit allen interessierten Stakeholdern eine Win-win-Lösung im Interesse der ganzen Schweiz zu finden.

Können Sie Beispiele aus dem Ausland nennen, die den Wettbewerb verzerren?

In Frankreich beispielsweise wird strategischen energieintensiven Unternehmen seit Jahren ein günstiger Strompreis garantiert, und Dekarbonisierungsprojekte werden über den Green Deal finanziert. In Italien gibt es verschiedene Flexibilitätsinstrumente, die es energieintensiven Unternehmen ermöglichen, das Übertragungsnetz zu stabilisieren und das Netzentgelt drastisch zu senken. Darüber hinaus wurde kürzlich ein Gesetzesentwurf verabschiedet, der diesen Unternehmen durch Investitionen in erneuerbare Energien einen vorteilhaften Energiepreis garantieren soll.

Wie zufrieden sind Sie mit den regulatorischen Rahmenbedingungen im Bereich der Kreislaufwirtschaft?

Gerade im Bereich der Kreislaufwirtschaft gibt es noch einige regulatorische Widersprüche zu beseitigen. Nur ein Beispiel: Die Stahl Gerlafingen hat zur Verbesserung ihrer Materialbilanz einen bautechnisch hochwertigen und umweltgerechten Baustoff aus Elektroofenschlacke (EOS) nach VSS-Normen zertifizieren lassen. Dieser Baustoff macht die Verwendung von Kies bei Ausgleichs- oder Fundationsschichten im Hoch- und Tiefbau, als Koffermaterial im Strassen-, Platz- und Gleisbau oder als Zuschlagstoff für die Beton- und Asphaltproduktion überflüssig. Leider sind die Kantone noch sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, diesen Baustoff vollständig gleichberechtigt anzuerkennen.

Trotz der schwierigen Marktsituation planen Sie noch Investitionen?

Wir verfolgen ein umfangreiches Investitionsprogramm, das die Produktion in Gerlafingen effizienter und damit auch viel umwelt- und klimafreundlicher machen soll. Aufgrund der Marktlage mussten wir beim Tempo der Umsetzung ein wenig bremsen, wir stehen aber nach wie vor zu diesem Investitionsplan. Bezüglich des geografischen Fokus: Wir sehen Potenzial in der Südschweiz und kaufen derzeit vermehrt in Norditalien ein.