Der Stichtag war am Montag, 25. März 2024. Frühmorgens New Yorker Zeit wurden Daten von mehreren Hunderttausend Usern auf die neu aufgeschaltete App der Metropolitan Transportation Authority (MTA) migriert, des Verkehrsverbunds der New Yorker U-Bahnen, Züge und Busse. In ein paar Wochen dürften es mehrere Millionen User sein, denn die meisten New Yorker ÖV-Benutzerinnen und -Benutzer haben das System auf ihrem Smartphone. Weniger bekannt als die neue App ist die Tatsache, dass ein Schweizer Unternehmen dahintersteckt: Die Luzerner Tech-Firma Axon Vibe hat die neue Generation der App in Zusammenarbeit mit der MTA entwickelt.
Kaffeegutscheine bei Verspätungen
Kurz nach dem Startschuss ist Geschäftsführer Roman Oberli zufrieden. «Wir bekommen gutes Feedback», stellt er erleichtert fest. Denn die App sei ein herausforderndes und mehrschichtiges Projekt gewesen, das vor dem Roll-out lange mit ein paar tausend Pendelnden getestet worden war. Über die Basis-App erhalten die User Auskünfte über die Auslastung der einzelnen U-Bahn-Wagen und Buslinien, Störungen im Verkehrssystem und Infos zum Staumonitor auf der Strasse in Echtzeit. Menschen mit Mobilitätseinschränkungen können sich via App in eine Art Rollstuhltaxiprogramm einloggen, das sie bei der Fahrt von A nach B durch New York unterstützt.
Auf freiwilliger Basis schalten die User eine Funktion auf dem Smartphone ein, die es erlaubt, die eigene Position automatisch zu erkennen und aufzuzeichnen. Abgesehen von einigen Touristen und Touristinnen bewegen sich im Raum New York vor allem Pendelnde auf den immer gleichen Routen. Aufgrund dieser Informationen berechnet das System, wo es Potenziale gibt, um Privatfahrten auf den öffentlichen Verkehr umzuleiten. Axon Vibe hat sich in seinem New Yorker Projekt für einen Weg der kleinen Schritte in Form von Belohnungen als Anreize entschieden. Etwa mit einem Kaffeegutschein, der auf dem Smartphone der Nutzenden als Entschuldigung erscheint, wenn sich die U-Bahn mal wieder verspätet hat.
Bei Störungen schafft es die App mit rechtzeitigen Warnhinweisen, die nachrückenden Leute bereits vorher umzulenken, um sie nicht an einer unbedienten U-Bahn-Station unnötig warten zu lassen. Auch Autofahrende erhalten rechtzeitig Informationen, etwa wenn die Parkplätze in Manhattan alle besetzt sind. Dann schlägt ihnen die App vor, sich für eine Fahrt mit dem öffentlichen Verkehr zu entscheiden, weil dann ein Gratiskaffee winkt. So soll der ÖV gegenüber dem Auto konkurrenzfähig werden. «Unser Ansatz ist die Belohnung, nicht die Bestrafung», sagt Roman Oberli. Im nächsten Schritt gehe es darum, zu testen, wie der öffentliche Verkehr mit der Taxiflotte von New York zu kombinieren sei, allenfalls auch mit Sammeltaxis.
30 Prozent betragen in der Spitze die Einlösequoten der Gutscheine bei Verkehrsverspätungen.
Wenn eine Person zu Randzeiten den Bus nicht mehr erreicht, weil der vorher genutzte Zug verspätet war, ermöglicht ihr die App, ein Taxi zum Preis eines ÖV-Tickets zu buchen. Das sei spannend für alle involvierten Parteien. «Wenn sich die Person für die Kombination Taxi und ÖV entscheidet, gibt es eine Autofahrt mit dem entsprechenden CO₂-Ausstoss in die Innenstadt weniger.» Die Differenz zwischen Taxikosten und ÖV-Ticketpreis wird von einem grünen Fonds aus Staatsgeldern finanziert, der darauf abzielt, den CO₂-Ausstoss zu verhindern. Das entlastet gemäss Roman Oberli die ÖV-Betreiber, die seit der Pandemie unter massivem Druck stehen. Denn anders als in der Schweiz wird in den USA auch mal eine Busstrecke gestrichen, wenn sie nicht mehr rentabel ist.
App für die Deutsche Bahn
Pionierarbeit leistet Axon Vibe auch durch die Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn (DB) mit ihren Millionen von Pendelnden. Das Luzerner Unternehmen lancierte für die DB die erste App. Auch hier stehen Incentives, also Belohnungen, im Vordergrund: Wenn die Kunden und Kundinnen viel Bahn fahren, bekommen sie Gratisbrezel. Bei Störungen, die sie betreffen, erhalten sie kostenlosen Kaffee. Das Geschäftsmodell ist so simpel wie bestechend: Kaffee und Brezel werden von den Bäckereien finanziert. Im Gegenzug sorgt die App dafür, dass diese Betreiber mehr Kundschaft haben, auch zu Randzeiten. So sind die Bäckereien besser ausgelastet und Axon Vibe erhält für die Vermittlung eine Kommission. Als Alternative gibt es als Entschuldigung für die Verspätung auch Shopping-Gutscheine. Sie erreichen die Smartphones der Kundschaft während der Bahnfahrt, also dann, wenn sie Zeit fürs Onlineshopping hat. Deshalb ist das Geschäftsmodell von Axon Vibe nicht zuletzt eine sehr durchdachte Marketinggeschichte: Wenn Gutscheine als Wiedergutmachung daherkommen, nehmen die Pendelnden sie weniger als Werbung wahr. Dies zeigen auch die Einlösequoten, die zwischen vergleichsweise guten 10 und 30 Prozent liegen.
Die Reisenden können jederzeit Einsicht in ihre eigenen Daten nehmen oder sie löschen. Das tun jedoch nur rund 1 bis 2 Prozent. «Die grossen Massen interessiert es nicht. Die wollen die Störungsmeldung», sagt Roman Oberli. Ihnen sei es vor allem wichtig, dass ein Weg effizient und zuverlässig ist und gleich lang dauert. Wäre das Geschäftsmodell nicht auch in der Schweiz möglich? Theoretisch ja. Die SBB arbeiteten vor Jahren mit Axon Vibe zusammen, schlugen dann aber eine andere Strategie ein. Auf die Zukunft der Mobilität angesprochen, erklärt Oberli, dass der Mischverkehr künftig noch besser funktionieren würde, wenn selbstfahrende Taxis zum Einsatz kommen. Diese könne man bei einer Verkehrsstörung ans andere Ende der Stadt schicken, wo sie gebraucht werden. Heute würden die Taxifahrer manchmal schlicht nicht glauben, dass dort ein gutes Geschäft zu machen sei.
Axon Vibe
Das Luzerner Unternehmen ist in der Branche nicht unbekannt: Der Gründer und Eigentümer Stefan Muff entwickelte mit seiner ersten Firma Endoxon einst digitale Kartenlösungen und verkaufte diese 2006 an Google als Basistechnologie für Google Maps. Heute entwickelt Axon Vibe für Verkehrsbetreiber auf der ganzen Welt technische Lösungen. Der Hauptsitz ist in Luzern, das Unternehmen beschäftigt rund hundert Angestellte in Luzern, London, New York und Vietnam.
1 Kommentar
Da bin ich aber froh, lebe ich nicht in New York. Wie bei den Axon-Firmen mit Daten umgegangen wird ist dilletantisch und nachlässig - ich empfehle allen, sich mal etwas mit „Axon Insight“ zu beschäftigen oder mal ein Auskunftsbegehren nach DSG dort hinzusenden. Da wird munter mit Daten gehandelt, ohne die Betroffenen jemand zu informieren oder zu fragen.