Die bestehenden Gebäude in der Schweiz sind laut dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) für ein Viertel der inländischen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Wichtigster Faktor ist die Verbrennung von Öl und Gas für die Heizungen und die Warmwassererzeugung. Die schweizerische Energiestiftung fordert deshalb eine «Gebäudewende». Eine vollständige Dekarbonisierung des Gebäudesektors sei möglich – aber in fast der Hälfte der Fälle würde beim Ersatz einer bestehenden Heizung in Mehrfamilienhäusern und in Gebäuden ohne Wohnungen wieder eine fossile Heizung eingebaut. Wann und unter welchen Umständen lohnen sich welche energetischen Sanierungen?

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Auch Dämmstoffe erfordern Energie

Nach wie vor sind in der Schweiz fast 60 Prozent der Wohngebäude fossil beheizt, sagt David Belart, Head Development and ESG bei Avobis. Dementsprechend handelt es sich bei der energetischen Sanierung des Wohnimmobilienbestandes um eine sehr grosse Herausforderung. «Primär einmal stellt sich die Frage, ob die Bauwirtschaft überhaupt über die Kapazitäten verfügt, um die entsprechenden Massnahmen wie Heizungsersatz und Erneuerung der Gebäudehüllen innerhalb der notwendigen Frist durchzuführen», so Belart. «Dabei sollten aber die weiteren Aspekte der Nachhaltigkeit nicht vernachlässigt werden: Die Produktion von Dämmstoffen ist ebenfalls energieintensiv, was den ökologischen Vorteil einer Sanierung schwächen kann.»

Im Vorfeld einer solchen Sanierung ist auf jeden Fall die strategische Ausrichtung der Liegenschaft zu prüfen. «Dies kann je nach Standort und Art des Gebäudes zur Folge haben, dass unterschiedliche Themen für die Festlegung der Szenarien relevant sind: Baurechtliche Rahmenbedingungen, Ausnützungsreserven, Grundrissqualitäten, Zustand der Tragstruktur, Aussenraumgestaltung, Baugrund und mögliche Energieträger beispielsweise», sagt Belart weiter.

«Häufig ist die energetische Sanierung nur eine von mehreren zu kombinierenden Massnahmen, die ins Auge gefasst werden sollten: Erneuerung von Küche und Bad, Anpassungen der Wohnungsgrundrisse, Balkonerweiterungen und allenfalls sogar Aufstockungen oder Anbauten bis hin zu Ersatzneubauten, sofern der Zustand oder die Eingriffstiefe im Rohbau dies nahelegen.» In vielen Fällen gibt es laut Belart die drei Szenarien Fortführung respektive Sanierung des Bestands, Aufstockung respektive Erweiterung der Liegenschaft im Falle von Ausnützungsreserven – und Ersatzneubau.

Belart rät zu einem Vorgehen vom Groben ins Feine sowohl bei der Planung als auch bei den Kalkulationen. «Zu Beginn sollte der Fächer an Lösungsmöglichkeiten möglichst breit sein und dementsprechend die «Flughöhe» und der Detaillierungsgrad noch relativ grob», so der Experte. «Die Weichenstellungen erfolgen dann schrittweise, um im Zweifelsfall die Projektvarianten zu verfeinern und zu vertiefen.»

Die grösste Herausforderung seien zukünftige Markt- und Preisentwicklungen. In jedem Fall relevant seien die Energiepreise, welche sich langfristig auf den Betrieb der Liegenschaft auswirken. «Der Preisanstieg bei fossilen Energieträgern hatte zur Folge, dass erneuerbare Energien bei den Heizsystemen sowie auch Photovoltaik-Anlagen schneller rentabilisiert werden können», sagt Belart. «Die Sensitivität solcher Berechnungen kann gross sein und zu unterschiedlichen Interpretationen führen.» Wenn feststeht, dass der Bestand modernisiert werden soll, sind die entsprechenden Wirtschaftlichkeitsrechnungen zu vertiefen, um die Rentabilität der energetischen Massnahmen (Gebäudehülle, Heizsystem) unter Beweis zu stellen (siehe Kasten).

Rechenbeispiel für energetische Sanierung

Beispielobjekt: Mehrfamilienhaus mit zwölf Wohnungen mit Gasheizung, die Energiebezugsfläche (EBF) beträgt rund 1400 m2.

Sanierungsvarianten:

  • Fortführung Bestand: Ersatz Gasheizung und einfache Sanierung der Gebäudehülle (Dämmung Kellerdecke und Dach, Fensterersatz); Annahme: rund 200 000 Franken Sanierungskosten
  • Energetische Sanierung: Ersatz der Heizung durch Erdsonden mit Wärmepumpe, umfassende Sanierung der Gebäudehülle (Aussenwärmedämmung, Fensterersatz, Dämmung Kellerdecke und Dach); Annahme: rund 390 000 Franken Sanierungskosten.

Anmerkung: Bezogen auf die Mehrinvestition von rund 190 000 Franken wird mit dieser jährlichen Einsparung von Energiekosten eine sehr attraktive Rendite von rund 4,8 Prozent erzielt werden. Innerhalb von rund 20 Jahren kann die Mehrinvestition damit vollständig amortisiert werden. Im Falle einer absehbaren Erhöhung der CO₂-Abgaben auf den theoretisch kostendeckenden Zielwert von 180 Franken pro Tonne CO₂ steigt die Rentabilität aufgrund der noch grösseren Einsparung bei einer energetischen Sanierung mit erneuerbaren Energien auf über 5,6 Prozent, und die Amortisationsdauer sinkt auf rund 18 Jahre.

QUELLE: AVOBIS, 2023

Ganz generell sei das Denken in Szenarien entscheidend. «Diese sind jeweils phasengerecht auszugestalten, sodass sie ‹vom Groben ins Feine› bearbeitet werden können», sagt Belart weiter. Die zugrunde liegenden Annahmen wie beispielsweise bauliche Eingriffstiefen, Kosten und Erträge sind transparent darzustellen, sodass im Falle von Änderungen der Marktsituation auf frühere, eventuell verworfene Szenarien zurückgegriffen werden kann.»

Ein Beispiel ist der Anstieg der Rohstoffpreise und die mindestens teilweise damit verbundene Sensibilisierung für die graue Energie, welche dazu führen könne, dass bei Projekten, bei denen man zunächst an einen Ersatzneubau gedacht hatte, vermehrt Alternativszenarien mit einer Nutzung und Überformung der bestehenden Strukturen geprüft oder wiedererwogen würden.

 

Umbau statt Neubau prüfen

Mit der Zunahme einer ganzheitlichen Sichtweise stellt sich die Frage, was es wirklich braucht beim Bauen. «Damit einher geht eine stärkere Sensibilisierung für die graue Energie», beobachtet Belart. «Ein Ersatzneubau kann zwar im Betrieb energieeffizienter sein als eine Sanierung, jedoch benötigt er deutlich mehr Energie in der Erstellung.» Beim Abbruch von Beton und Mauerwerk einer Bestandsliegenschaft werde graue Energie vernichtet, was im Falle einer Weiternutzung vermieden würde.

«Bei niedrigen Materialpreisen spielt dies keine grosse Rolle; die Preisentwicklungen der jüngsten Vergangenheit haben jedoch aufgezeigt, dass ein sinnvoller Umgang mit bestehenden Rohbauten auch wirtschaftlich sein kann», so Belart. «Immerhin machen diese typischerweise rund 30 Prozent der Erstellungskosten aus, welche im Idealfall gespart werden können, sofern die Tragstruktur flexibel genug ist, um zeitgemässe Grundrisse im Ausbau, die gewünschte Haustechnik und eine neue Gebäudehülle aufzunehmen.» 

Und es stellt sich die Frage, wer das Vorhaben am besten umsetzt. «Hier sind verschiedene Kompetenzen gefragt», so Belart. «Man kann die planenden und ausführenden Unternehmen direkt beauftragen; alternativ dazu kann man eine General- oder Totalunternehmung mit der Gesamtleistung beauftragen.» Auf jeden Fall sei darauf zu achten, dass die Bauherrschaft über das notwendige Wissen, also Bestellerkompetenz verfügt, um die jeweiligen Anbieter optimal einzusetzen und zu führen, und sich bei Bedarf in diesem Bereich beraten und verstärken lässt. Ebenso ist natürlich wichtig, dass die entsprechenden Anbieter über spezifische und vergleichbare Referenzen im Umbaubereich verfügen.