Der Frühsommer auf den ausgedehnten ukrainischen Ackerflächen ist geprägt von der Pflege und Aussaat sowie der Hoffnung auf gute Ernteerträge. Mehr als zwei Jahre nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges prognostiziert das ukrainische Ministerium für Agrarpolitik für das Jahr 2024, dass die Ernte über dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre liegt. Und dies, obwohl das Getreide witterungsbedingt teilweise früher eingefahren wurde. Für Weizen sind gemäss offizieller Schätzung Erträge von rund 21 Millionen Tonnen zur erwarten. Die Ukraine benötigt davon etwa 6 Millionen Tonnen für den Inlandsverbrauch. Der Rest des Weizens wird exportiert, was die legendäre Bedeutung der Ukraine als «Brotkorb der Welt» selbst unter widrigsten Bedingungen bestätigt.

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Effektives Business-Ökosystem

«Es ist notwendig, ein effektives Business-Ökosystem rund um Agrarunternehmen zu schaffen, das trotz des Krieges weiterhin produktiv in der Ukraine arbeitet», betonte Alex Lissitsa, CEO des Agrarunternehmens IMC und Präsident der Association Ukrainian Agribusiness Club (UCAB), auf der Ukraine Recovery Conference (URC 2024). Angesichts der immensen Herausforderungen sind für den ukrainischen Agrarsektor zusätzliche Finanzinstrumente nötig. Seine Forderung: «Es ist schwierig, während des Krieges Investoren anzuziehen. Es braucht neue, für beide Seiten vorteilhafte Finanzierungsoptionen, sei es Privatkapital oder öffentliche Zuschüsse.» Ein entscheidender Faktor sei mit Blick auf die kommenden Jahre die Rückkehr ukrainischer Fachkräfte.

Partnerschaftliche EU-Integration

Seitens EU werde regelmässig die Bedeutung der Ukraine als wünschenswerte Partnerin proklamiert, so sieht es Alex Lissitsa. Diese Haltung muss sich jedoch in verbindlichen politischen Leitplanken und Garantien wiederfinden. «Wir brauchen einen Fahrplan mit konkreten Massnahmen und Aussichten mit Blick auf die globalen Märkte», fügte Georg v. Nolcken, CEO der Continental Farmers Group und Mitglied des UCAB-Präsidiums, dieser Einstellung hinzu.

Anastasiia Bilych ist Leiterin der Strategie- und Kommunikationsabteilung von Arnika Organic, dem mit 18’000 Hektaren grössten Bioagrarunternehmen Europas. Arnika Organic wirtschaftet gemäss anerkannten Biostandards und auch nach den für die Schweiz massgebenden Bio-Suisse-Richtlinien. Für Bilych und ihr Team geht es um mehr: «Arnika ist ein ganzes Ökosystem, das in den ukrainischen Regionen Poltawa und Tscherkassy entstanden ist. Unsere Arbeit richtet sich an hohen Indikatoren für die wirtschaftliche, ökologische und soziale Effizienz aus.»

Faire Spielregeln

Anastasiia Bilych stellt klar: «Wir wollen keine romantisierte Solidarität und haben keine unrealistischen Erwartungen.» Im Geschäftsleben gehe es nicht ums Bedauern, sondern um den freien Markt, fairen Wettbewerb und hohe Professionalität. Sie erinnert sich in diesem Zusammenhang an den Beginn des russischen Angriffskrieges und sagt: «Da haben wir erfahren, was eine dauerhafte Partnerschaft wirklich bedeutet. Alle unsere Kunden aus der EU und der Schweiz haben die unsichere Situation, in der sich das Unternehmen und sein Team befanden, voll und ganz verstanden und sie unterstützt. Im Ergebnis erfüllten wir alle unsere vertraglichen Verpflichtungen und exportierten eine Rekordmenge an Bioprodukten. Und das unter den Bedingungen zerstörter Lieferketten, insbesondere des See- und Flusstransports.»

Soja trotzt der Kriegswirtschaft

Im Schatten des Krieges entwickeln innovative Unternehmen der ukrainischen Ernährungswirtschaft wirkungsvolle Lösungen als Antwort auf die Klimakrise. Dies zeigt sich nicht zuletzt beim Sojaanbau. Als «Stickstoff-Fixierer» kann diese Ackerkultur den Dünger aus Luft und Boden eigenständig binden und ist dadurch unabhängiger als etwa Getreidekulturen. Für die Biolandwirtschaft und weitere nachhaltige Standards bildet der Sojaanbau ohnehin ein wichtiges Element in der so genannten Fruchtfolgeplanung.

In Europa angebautes Soja ist wichtig für die nachhaltige Eiweissversorgung in den EU-Ländern. Die Organisation Donau Soja prognostiziert für 2024 eine Zunahme auf bis zu 5,7 Millionen Hektar. Dazu Susanne Fromwald, Generalsekretärin von Donau Soja: «Mehr regionales, abholzungs- und gentechfreies Soja aus Europa für Europa ist eine grosse Chance für die Lebensmittelindustrie, um auf zertifiziertes Donau-Soja umzusteigen und Treibhausgase und den Klimafussabdruck zu reduzieren.» Diese Entwicklung zeigt sich auch bei den Schweizer Importen von Futtersoja. Stammte der gentechfreie Sojaextraktionsschrot bis vor ein paar Jahren ausschliesslich aus Brasilien, kommt heute fast 95 Prozent der Ware aus Europa. Entscheidend war auch, dass fast sämtliches angebautes Soja aus Brasilien mittlerweile gentechnisch verändert wird. Für die Schweizer Importunternehmen und den einheimischen Gross- und Detailhandel ist das keine Option.