Auch wenn uns das aktuelle fragile Umfeld mit den geopolitischen Unsicherheiten, der Inflation und den volatilen Märkten zur Vorsicht mahnt, stellt die Klimawende sicherlich eine der grössten Chancen für langfristige Anlegerinnen und Anleger dar.
Der Autor
Frédéric Rochat, Head Private Banking, Lombard Odier, Genf.
Heute sind mächtige Kräfte am Werk, die eine unerlässlich gewordene Klimawende unterstützen und fördern: Druck der Verbraucherinnen und Verbraucher, regulatorische Massnahmen, Änderungen der Geschäftsmodelle durch die Unternehmen und eine angemessene Kapitalallokation der Anlegenden. Mit staatlichen Investitionsprogrammen oder Steuererleichterungen tragen die Regierungen ebenfalls zur Klimawende bei.
Die vier grossen Achsen
1. Elektrifizierung: Strom ist auf dem besten Weg, der vorherrschende Energieträger zu werden. Sein Anteil an der weltweiten Energienachfrage wird von etwa 20 Prozent im Jahr 2020 auf über 70 Prozent im Jahr 2050 steigen. Um Strom zu erzeugen, müssen wir von fossilen auf erneuerbare Energiequellen (Wasser, Wind, Sonne und sicherlich Kernkraft) umsteigen.
2. Landwirtschaft und Naturschutz: Bis 2050 wollen wir zwei Milliarden Menschen zusätzlich ernähren, während wir der Natur gleichzeitig grosse Ackerflächen im Rahmen von Wiederaufforstungs- und Biodiversitätsprojekten zurückgeben. Wir werden sowohl unsere Produktionsmethoden als auch unsere Verbrauchsgewohnheiten überdenken müssen.
3. Grundstoffe: Es gilt, das Wirtschaftswachstum auf hohem Niveau zu halten, ohne mehr Rohstoffe zu fördern. Wir müssen das Modell «take, make, waste» durch das Modell «reduce, re-use, recycle» ersetzen. Baustoffe müssen überdacht werden; Autos werden gemeinschaftlich genutzt und ihre Bestandteile recycelt.
4. CO₂: Das Modell der Marktwirtschaft muss erweitert werden, um alle externen Effekte einzubeziehen. CO₂-Emissionen müssen immer teurer werden. Das schafft Anreizmechanismen, ohne welche die Unternehmen keine wirklichen Übergangsstrategien einführen. Gleichzeitig wird die nachgewiesene CO₂-Sequestrierung Geldtransfers ermöglichen, die noch vor Kurzem nicht denkbar waren.
Ähnlich wie die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert oder die IT-Revolution in den letzten fünfzig Jahren werden sich diese Transformationen stark auf alle unsere Wirtschaftssysteme auswirken. Führende Unternehmen werden gestärkt daraus hervorgehen, andere werden verschwinden.
Die meisten der für diese Transformationen erforderlichen Technologien gibt es bereits. Sie entwickeln sich derzeit zu Massenlösungen. Wir stehen am Anfang einer exponentiellen Zunahme dieser industriellen Lösungen, die beispiellose Wachstumschancen eröffnen dürften.
Diese Zunahme hat mehrere Ursachen. Erstens den Rückgang der Produktionskosten: Die Kosten erneuerbarer Energien sind in den letzten zehn Jahren um 60 bis 90 Prozent gefallen. Zweitens die kontinuierlichen Leistungssteigerungen: E-Fahrzeuge erreichen eine Energieeffizienz von rund 80 Prozent gegenüber 20 Prozent bei herkömmlichen Fahrzeugen. Drittens die massive staatliche Unterstützung. So tragen in den drei grossen Blöcken Europa, USA und China Subventionen in der Höhe von Hunderten Milliarden Franken dazu bei, die Investitionen zu beschleunigen und industrielle Lösungen in grossem Massstab umzusetzen – zum Beispiel bei Wärmepumpen, Elektrofahrzeugen und Baustoffen.
Der Krieg in der Ukraine ist ein zusätzlicher Beschleuniger: Er hat offenbar in Europa die Überzeugung erneuert, dass eine echte Energieunabhängigkeit wichtig ist.
Ausrichtung der Portfolios
Es ist aufschlussreich, zu verfolgen, worin die Unternehmen investieren. Die Investitionen deuten häufig auf zukünftige Gewinnquellen hin. Allein die Energiewende dürfte in den nächsten zehn Jahren weltweit mit Investitionen von fast 3800 Milliarden Franken pro Jahr einhergehen. Dieser Betrag ist mit den IT-Investitionen vergleichbar, die heute fast 20 Prozent des Gesamtertrags der Unternehmen weltweit ausmachen, gegenüber nur 5 Prozent in den Neunzigerjahren.
Die Klimawende hat das Konzeptstadium hinter sich gelassen. In vielerlei Hinsicht beschleunigt sie sich. Für uns Anlegerinnen und Anleger stellt sich die Frage: Wollen wir sie ignorieren – oder sollten wir sie nicht vielmehr systematisch in unsere Portfolios integrieren?