Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die Schweiz wurde erstmals ein Staat wegen unzureichender Klimaschutzmassnahmen verurteilt. Die Umsetzung des Gerichtsentscheids dürfte die Schweizer Gesellschaft verändern, bietet aber auch die Chance, eine nachhaltige Zukunft zu gestalten. Kapitalsammelstellen wie Vermögensverwalter spielen dabei eine zentrale Rolle, denn sie lenken Kundenvermögen treuhänderisch in nachhaltig agierende Staaten.
Die Autorin
Ophélie Mortier, Chief Sustainable Investment Officer bei Degroof Petercam (DPAM).
Doch wie beurteilen Assetmanager den Nachhaltigkeitsgrad eines Landes? Der belgische Vermögensverwalter DPAM entwickelte im Jahr 2007 dazu ein Nachhaltigkeitsmodell für OECD-Länder. Dieses untersucht verschiedene Variablen, auf die das Land Einfluss nehmen kann. Um ein Höchstmass an Objektivität und Vergleichbarkeit zu erreichen, basiert das Modell auf quantitativen Daten, die aus zuverlässigen Quellen wie staatlichen Datenbanken, internationalen Regierungsagenturen wie dem Internationalen Währungsfonds sowie führenden Nichtregierungsorganisationen wie Transparency International stammen. Ein Beirat, bestehend aus internen und externen Fachleuten, begleitet zudem fachlich die Erstellung, Umsetzung und Überprüfung des Modells.
Ganzheitlicher Blick als Erfolgsfaktor
Aus DPAM-Sicht setzt sich ein nachhaltiges Land für die Freiheit und das Wohl seiner Bürger ein. Es geht respektvoll mit der Umwelt um und ist verlässlich in Bezug auf internationale Verantwortung und Verpflichtungen. Es sichert Zukunft und investiert über Bildung und Innovation in die nächsten Generationen.
Das Nachhaltigkeit-Ländermodell stützt sich auf die drei wichtigsten Nachhaltigkeitsdimensionen: Umwelt, Soziales und Governance. Jede Dimension ist gleich wichtig und wird individuell analysiert. Zugleich gibt es zwischen ihnen Interdependenzen. So wirkt sich etwa Russlands Krieg in der Ukraine auf die Ernährungssicherheit aus und hat zu einem weltweiten Anstieg der Lebensmittelpreise geführt. Aufgrund dieser Interkonnektivität der verschiedenen Faktoren ist eine Nachhaltigkeitsanalyse auf Länderebene im Rahmen eines integrierten Modells von wesentlicher Bedeutung.
Das Strassburger Klimaurteil gegen die Schweiz gilt als Paradebeispiel von Bürgern, die über Nichtregierungsorganisationen Staaten wegen mangelnder Verantwortung für ihre Umweltambitionen und Emissionsziele verklagen. Sie sind auch ein Beweis für die enge Beziehung zwischen Governance und Umwelt.
Schweiz kämpft sich zurück
Mit Blick auf das Länderranking für die Schweiz zeigen die Daten von DPAM: Das Engagement scheint nachgelassen zu haben. So rutschte die Schweiz vom ersten Halbjahr 2022 bis zum zweiten Halbjahr 2023 von Platz vier auf Platz sieben ab. Es bleibt noch ein weiter Weg – auch wenn sich ein Hoffnungsschimmer abzeichnet: Im jüngsten Ranking vom ersten Halbjahr 2024 kämpfte sich die Schweiz auf Platz fünf zurück. Gute Voraussetzungen, um auch das Klimaurteil beherzt anzugehen.