Der ausserbörsliche Aktienmarkt der Schweiz (OTCMarkt) hat auf Unternehmen eine anhaltende Anziehungskraft – aus ganz unterschiedlichen Gründen. In den vergangenen Jahren hat eine Reihe von Firmen die Schweizer Börse verlassen und wechselte in den ausserbörslichen Handel. Precious Woods, Lenzerheide Bergbahnen, Repower, Biella oder Myriad sind nur einige. Der Grund für den Wechsel war meist der gleiche: Die Kosten für das Listing an der Schweizer Börse. Die von internationalen Normen bestimmten Anforderungen an Rechnungslegung und Compliance verursachten den Unternehmen in Relation zu den an der Börse erzielten Handelsvolumen einen übermässigen Aufwand.
Allerdings erlebte der OTC-Markt auch einen echten Neuzugang, dessen Aktien vorher noch nicht handelbar waren. Das war Ende 2016 die Energie Zürichsee Linth AG (EZL) mit Sitz in Rapperswil-Jona. Dieser regional tätige Energieversorger wurzelt in der 1903 gegründeten Gasversorgung Rapperswil und gehörte zu 95 Prozent der Stadt. Mit der Publikumsöffnung wollte man die unternehmerische Freiheit vergrössern, erläutert Finanzchef Markus Näf. Im Hintergrund steht die Energiestrategie 2050 des Bundes und der deshalb angestrebte Ausbau erdgasferner Aktivitäten wie beispielsweise Biogaserzeugung oder Installationsdienstleistungen im Versorgungsgebiet.
Heute präsentiert sich das Aktionariat der EZL dreigeteilt. Die Stadt Rapperswil- Jona besitzt noch 35 Prozent, die Anlagestiftung der Credit Suisse ist mit 34 Prozent dabei und 31 Prozent der Aktien wurden im breiten Publikum platziert. Die seitens der Credit Suisse engagierte CSA Energie- Infrastruktur Schweiz investiert übrigens ausschliesslich in der Schweiz und fokussiert dabei auf zentrale, bestehende Energieinfrastruktureinrichtungen, die bewährte Technologien einsetzen. Zwischen dem Anlagebedarf von Pensionskassen und dem Kapitalbedarf von Energieinfrastrukturbetreibern besteht eine hohe Interessenübereinstimmung, vor allem mit Blick auf lange Zeithorizonte und kontinuierliche Erträge.
Insgesamt hat die EZL nun etwa 800 Aktionärinnen und Aktionäre, von denen rund 70 Prozent aus der Region stammen. «Wir haben bisher nur positive Erfahrungen mit der Publikumsöffnung gemacht», konstatiert Näf. An der Generalversammlung Anfang März waren rund 300 Aktionäre mit total 83 Prozent der Stimmen anwesend. Das Unternehmen legte gute Zahlen vor, der konsolidierte Umsatz stieg um 9 Prozent auf 54 Millionen Franken.
Den «Börsengang» selbst wickelte die EZL mit der Zürcher Kantonalbank ab. Laut Näf war der Prozess einfach und unkompliziert. Das grosse Interesse der Anleger an der Aktie konnte nicht vollständig erfüllt werden: Die Emission war 2,5-fach überzeichnet, erinnert sich Näf. Nun freut er sich besonders darüber, dass sich der Firmenwert per Ende Jahr vergleichsweise einfach aus der Marktkapitalisierung ergibt. Die Aktionäre, vielfach Kunden des Unternehmens, freuen sich über die Partizipationsmöglichkeit an einem ihnen bekannten Unternehmen. Im laufenden Jahr liegt die Dividendenrendite bei 3 Prozent, 2017 waren es laut Näf 2,8 Prozent.
Schon länger im ausserbörslichen Markt gehandelt werden die Aktien der Bad Schinznach AG, die im gleichnamigen Ort ein Thermalbad, ein Hotel sowie eine Privatklinik betreibt. «Diese Präsenz ist einfach entstanden», meint Finanzchef Rolf Tanner. Dahinter stand der Wunsch von Aktionären, Aktien verkaufen oder kaufen zu können. «Das Unternehmen hat dazu keinen Beitrag geleistet», so Tanner. Heute ist man mit der Leistung der OTCMarktplätze zufrieden. Sie erlauben eine aktuelle Kursübersicht und faire Schätzung der Firmenbewertung und zeigen die Nachfrage rund um die Aktie.
Ähnlich schildert Weleda-CFO Michael Brenner die Lage. Der Partizipationsschein werde seit 2012 mit stetig steigender Transaktionszahl ausserbörslich auf verschiedenen Plattformen gehandelt, weil das dem Wunsch der Anleger nach einer einfachen Handelsmöglichkeit entspreche. Weleda beteilige sich nicht aktiv daran. Der Weg in den ausserbörslichen Markt ist vergleichsweise einfach. Um ins Handelsuniversum der ZKB aufgenommen zu werden, muss eine Aktiengesellschaft Geschäfts-, Finanz- und Revisionsberichte für die vergangenen drei Jahre einreichen und Angaben zu Statuten, Management, Beteiligungsstruktur und etwaigen Aktionärsbindungsverträgen machen. Ein bankinternes Komitee prüft die Anträge und entscheidet. «Wir machen einen Qualitätstest der Gesellschaft im Interesse der Investoren », erläutert André Spillmann, Spezialist für Nebenwerte bei der Zürcher Kantonalbank. Geht alles glatt, dauert der Prozess rund zwei Monate und kostet das Unternehmen im besten Fall so gut wie nichts. Man verdiene an den Aktientransaktionen und eventuell einem Market-Making- Mandat, so Spillmann.
Genauso effizient nimmt die Berner Kantonalbank BEKB Firmen auf ihre Handelsplattform auf. Auch hier müssen die Aspiranten einer bankinternen Prüfung standhalten, die von einem Gremium mit Experten aus Handel, Kapitalmarkt, Firmenkundengeschäft und Compliance durchgeführt wird. Die Privatbank Lienhardt & Partner wendet weiche Kriterien an. «Die Firma muss einen längeren Track-Record haben und operativ in der Schweiz tätig sein», sagt Nebenwerte-Experte Thomas Brunner. Man habe in der vergangenen Zeit immer wieder Anfragen von Jungunternehmen bekommen, die ihr Aktionariat verbreitern wollten. Sollten sie jedoch in Konkurs gehen, stelle das ein Reputationsrisiko für die Privatbank dar – deshalb gab es nur Absagen. «Wir wollen keine Aktien von Firmen in den Handel bringen, die zwei Jahre später im Konkurs sind», so Brunner.
Als Szenarien, die den Gang in den OTC-Markt für Firmen attraktiv machen, sehen die Experten einhellig die Nachfolgeregelung oder eine Verbreiterung des Aktionariats infolge starken Wachstums. Allerdings könne man ein OTC-Listing auch zur Steigerung des eigenen Bekanntheitsgrades in der Region anstreben. Schliesslich ist und bleibt der OTC-Markt auch ganz allgemein eine günstige Alternative zu den aufwendigen Listings an der Schweizer oder Berner Börse.