Der ausserbörsliche Markt hat sich in den vergangenen Jahren deutlich belebt. Laut Andreas Langenegger vom OTC-Handelsteam der Berner Kantonalbank sind Handelsaktivität und umgesetzte Volumen deutlich gestiegen. Der Branchenmix ist dagegen recht konstant geblieben; erst auf sehr lange Frist lassen sich Veränderungen feststellen. Laut Langenegger hatten Unternehmen aus dem Bereich Tourismus, Hotellerie und Bergbahnen früher ein wesentlich grösseres Gewicht als heute. Mittlerweile sind es Energie- und Industrieunternehmen sowie Regionalbanken, welche die grössten Handelsvolumen erreichen.
«Der Branchenmix ist über die Jahre hinweg recht homogen geblieben», konstatiert auch Björn Zern, Gründer und Chefredaktor der auf ausserbörslich gehandelte Aktien spezialisierten Informationsplattform Schweizeraktien.net. Lediglich der Mediensektor habe wegen Fusionen und Übernahmen klar an Bedeutung verloren. Zern zieht zudem eine historische Parallele zwischen den heute populären Finanzierungsformen Crowdfunding oder Venture-Kapital und den Anfängen einiger heute im OTC-Markt gehandelten Unternehmen vor rund 150 Jahren. «Damals haben Menschen aus der Region ihr Geld zusammengelegt und Unternehmen wie die Pilatus-Bahnen oder die Rigi Bahnen gegründet», sagt Zern. Auch zahlreiche Regionalbanken und Energieversorger seien aus dem lokalen Selbsthilfegedanken heraus entstanden – ohne vernetzendes Internet, aber mit anhaltendem Erfolg bis heute.
Einige Erfolgsstorys hat Zern natürlich präsent: Da ist die rasante Wachstumsstory der Ostschweizer Versandapotheke Zur Rose, welche den OTC-Markt Richtung Schweizer Börse verliess und ihren Aktionären sehr erfreuliche Gewinne einbrachte. Zern berichtet aber auch vom geglückten Turnaround bei der Rapid Holding nach einer durch den Euro-Verfall ausgelösten Krise. Mittlerweile erlebe Rapid wieder eine gute Entwicklung.
Ausserdem gab es immer wieder Spezialsituationen, insbesondere Übernahmen: So wurde das Parkresort Rheinfelden von der Private-Equity-Gruppe Invision gekauft, die Klinik Linde ging an die Hirslanden-Gruppe und die Genfer Privatklinik Générale-Beaulieu wurde vom Swiss Medical Network der Aevis-Victoria- Gruppe geschluckt.
Mit Blick auf die Unternehmenskommunikation konstatiert Zern eine Professionalisierung. Sie sei heute deutlich offener als früher. Allerdings gebe es noch immer recht verschlossene Firmen wie beispielsweise Caran d’Ache oder die Griesser Holding. Von geradezu familiär ablaufenden Generalversammlungen berichtet Ruedi Bircher, Gründungspartner der Stanser Vermögensverwaltung Weibel Hess & Partner. Bei ausserbörslich gehandelten Unternehmen hätten die Aktionäre allgemein mehr Möglichkeiten als bei kotierten Firmen, sich mit dem Verwaltungsrat und dem Management zu unterhalten. «Investoren und Verantwortliche sind sich etwas näher und der Austausch wird geschätzt», meint Bircher.
Zudem ist den Unternehmen eine starke Aktionärspräsenz an der Generalversammlung wichtig: Deshalb versüssen sie die Teilnahme vielfach mit zusätzlichen Naturaldividenden wie Gratiseintritten, Rabattgutscheinen oder Gratisbilletts und anderem. Laut Bircher ist dies mit ein Grund, warum Kleinaktionäre solche «Fressaktien» im Bestand halten.
Auch der Trend zum nachhaltigen Anlegen ist mittlerweile im OTC-Markt angekommen. Das Researchteam von Zern & Partner hat 2017 erstmals den OTC-Markt nach vorbildlich agierenden Firmen durchkämmt und die OTC-XResearch- Studie «Sustainable and Responsible Investment » publiziert. Von den bei der Berner Kantonalbank gehandelten Unternehmen wurden acht zu Sustainability Leader auserkoren: Adev Solarstrom, Bad Schinznach, Biella-Neher, Espace Real Estate, Patiswiss, Sunstar Holding, Thermalbad Zurzach, Thurella, Weleda.
Einen Blick in die mögliche Zukunft des OTC-Handels wagt indessen André Spillmann, Spezialist für Nebenwerte bei der Zürcher Kantonalbank. «Es wäre viel einfacher, wenn es nur eine Plattform für den Handel nicht kotierter Aktien gäbe», findet Spillmann. Das wäre für die Banken günstiger, die am Markt gelisteten Firmen hätten einen besseren Überblick über den Handel ihrer Aktien und Anleger profitierten von mehr Liquidität und besserer Markttransparenz. Allerdings könnte ein solcher Handelsplatz von der Regulierungsbehörde als Börse bewertet und daher mit entsprechenden Auflagen belegt werden.
Die Plattform Daura.ch hat indessen ein Stück von Spillmanns Vision verwirklicht. Sie ist ein 2018 gegründetes Joint Venture von Swisscom und dem auf Blockchain- Recht spezialisierten Anwalt Luka Müller. Daura.ch gibt Unternehmen die Möglichkeit, eine digitale Aktie in einem Blockchain-Netzwerk zu schaffen, und stellt somit auch einen Handelsplatz dar. Die Titel des Fintechs Sygnum, aber auch des Tourismusunternehmens Weisse Arena Gruppe sind schon auf der Plattform abgebildet. «Das wird unsere Welt verändern», ist Spillmann überzeugt.