Ørsted gilt als der Musterschüler unter den Versorgern weltweit. Im Corporate-Knights-Global-100-Index waren die Dänen viermal in Serie das nachhaltigste Energieunternehmen und unter allen Firmen die Nummer sieben. Ørsted hat laut eigenen Angaben sein Geschäftsmodell rascher als alle anderen weg von fossilen Energieträgern in Richtung Windkraft bewegt.
Kreditmärkte schauen genau hin
Die Dänen vollziehen einen regelrechten Spagat: Im Vergleich zu vielen Stromproduzenten wird das zukünftige Umsatzwachstum als unterdurchschnittlich veranschlagt. Grund ist der Energiemix: Ørsted produziert viel Solarstrom – und der wird auf dem Heimmarkt ständig billiger. Die Preisspitzen der vergangenen Monate, als einige Akteure auf dem europäischen Markt die Engpässe der französischen AKW-Stromproduktion und die Knappheit des kaum noch verfügbaren russischen Erdgases (zu) teuer bezahlten, sind vorbei.
Ørsted wird indes auch von vielen «echten» ESG-Fonds gehalten. Diese Fonds arbeiten unter der europäischen Artikel-9-Regulierung, und hierzu gehören nur Unternehmen, die konkrete Karbonreduktionsziele verfolgen. Unter solchen nachhaltigen Aktien wird Ørsted eher mit Tesla verglichen als mit anderen Versorgern. Das zeigt sich auch in den hohen Börsenwert-zu-Buchwert-Verhältnissen (bei Ørsted liegt das gemäss den Analysten und Analystinnen von Jefferies bei 3,4, Tesla kommt auf 5, viele Versorger liegen zwischen 1 und 2). Hinsichtlich der Aktienbewertung wird Ørsted dagegen lediglich beim 17-Fachen der Gewinne gehandelt – und das ist im Vergleich mit anderen nachhaltigen Energieunternehmen wie EDP (Portugal), Scatec (Norwegen) und Neoen (Frankreich) sehr niedrig: Ørsted produziert stabile und regelmässige Gewinne – im Gegensatz zu jungen, aufstrebenden und noch mit hohen Investitionen arbeitenden Versorgern.
Analystinnen und Analysten verweisen auf die hohe Bewertung des Unternehmens und die hohe Qualität der kommenden Einnahmen. Beim Vergleich der Schulden mit dem Vorsteuergewinn auf Stufe Ebitda liegt das Verhältnis bei 1,2. Zum Vergleich: Bei Versorgern sind laut den Analystinnen von Morgan Stanley Werte bis 3 absolut okay. Alpiq etwa kommt auf 3,3 (per Ende Juni 2022) und erhält von den Kreditanalysten der ZKB lediglich ein BBB-Minus-Rating. Die Kreditratings der ZKB für Axpo und BKW sind etwas besser. Immerhin: Sowohl die drei grossen schweizerischen Stromerzeuger als auch die Dänen haben keine Probleme, ihre Obligationen zu vertretbaren Konditionen am Markt unterzubringen.
Ørsted ist indes trotz den grossen Windfarmen in der Nordsee weiterhin ein energieintensiv arbeitendes Unternehmen. Auch in der Konstruktion, im Aufbau und in der Wartung von Windanlagen steckt viel Energie und einiges an Umweltbelastungen, was (auch) die Versorger im Rahmen der ESG-Berichterstattung über die gesamten Lieferketten hinweg ausweisen müssen.
Umbau in Richtung Dienstleister
Die ESG-Analysten und -Analystinnen von Jefferies empfehlen deshalb Investoren, die Umweltbelastungen von Versorgern wie Ørsted in den Portfolios mit Finanzdienstleistern, die hinsichtlich der Emissionen als unproblematisch gelten, auszubalancieren. Neu ausbalanciert werden indes auch die Geschäftsmodelle – und da gehen einige europäische Versorger, inklusive Alpiq aus der Schweiz, in eine ähnliche Richtung: Aus den Stromerzeugern, die hohe Assets in ihren Büchern halten, sollen (auch) Dienstleister werden, bei denen die Kraftwerke und Stromanlagen nicht mehr so «schwere» Blöcke in den Bilanzen darstellen.
Die Attraktivität dieses Marktes ist offenbar gross – auch das Private-Equity-Haus Blackstone spielt hier mit. Solche Unternehmen kommen nur in Märkte mit attraktiven mittelfristigen Aussichten – kurzfristige Unterbewertungen sind hier ein Einstiegssignal.