Als erste Energieversorgerin in Europa hat sich IWB 2019 entschieden, Pflanzenkohle zu produzieren. Was ist das Besondere daran?
Gegenüber einer herkömmlichen Holzfeuerung bleibt in unserem Prozess mehr als die Hälfte des im Holz gebundenen CO₂ in der Kohle erhalten. Wird die Kohle in den Boden eingebracht, gelangt CO₂ nicht zurück in die Atmosphäre, da Kohle im Gegensatz zu Holz über Jahrhunderte nicht verrottet. Zudem gibt es ein zweites Produkt im Prozess: Wärme, die etwa als Fernwärme genutzt werden kann.
Wie funktioniert das genau?
Wir verwenden Restbiomasse, in diesem Fall Biomasse in Form von holzigem Grünschnitt, und entgasen dieses Holz mittels der Pyrolyse: Da dies unter Ausschluss von Sauerstoff geschieht, verbrennt der Stoff nicht vollständig, sondern bleibt als Pflanzenkohle erhalten. Diese hat einen Nutzen; wird sie ins Erdreich eingebracht, steigen die Nährstoff-/Wasserhaltefähigkeiten des Bodens, und Lebensraum für Mikroorganismen entsteht. Das CO₂, das die Pflanzen der Atmosphäre entzogen haben, bleibt wie erläutert langfristig im Boden gebunden. Und das Elegante dabei: Die beim Prozess erzielte Wärme kann für Industrieprozesse oder Fernwärme genutzt werden.
Wie weit sind sie mit der Pilotanlage?
Wir sind mitten in der Inbetriebnahme. Wir produzieren bereits Kohle, aber noch im reduzierten Betrieb.
Die Inbetriebnahme läuft bereits seit mehr als einem Jahr. Warum läuft die Anlage noch nicht rund?
Das ist relativ normal, weil es sich hier um eine ganz neue Konzeption handelt, bei der wir nicht auf eine jahrzehntelange etablierte Standardtechnologie zurückgreifen können.
Was bereitet die grössten Probleme?
Die Aufbereitung der Biomasse wie beispielsweise die Anlieferung und Vortrocknung ist sicherlich sehr herausfordernd. Ein anderer Knackpunkt ist, dass die Hersteller der Pflanzenkohleanlagen relativ junge Firmen sind. Die Anlagen funktionieren, aber die Zuverlässigkeit ist noch nicht vergleichbar mit etablierten Industrieprozessen.
Ein grosses Investment?
Solch eine Anlage kostet schlüsselfertig je nach Standort und Lieferumfang zwischen 3 und 7 Millionen Franken. Für dieses Investment muss die Anlage etwa zwanzig Jahre lang laufen, um rentabel zu sein.
Welche Mengen sind geplant?
Die Sollproduktionsmenge pro Jahr muss rund 650 Tonnen Kohle betragen. Und Wärme soll in einem Umfang von circa 2 Gigawattstunden jährlich erzeugt werden, die ins Fernwärmenetz eingeleitet werden sollen. Damit können rund 300 städtische Haushalte in einem Jahr beheizt werden.
Was machen Sie mit der Kohle?
Pflanzenkohle ist grundsätzlich ein hervorragender Dünger. Wir haben uns dazu entschlossen, den Vertrieb selbst zu organisieren, und bieten 4- und 45-Liter-Säcke an. Das sind Gebinde für Privathaushalte und kleinere Gartenbauunternehmen, Gärtnereien, auch von Städten und Kompostbetrieben.
Ist dafür genug Nachfrage vorhanden?
Absolut. Zurzeit muss noch Pflanzenkohle in die Schweiz importiert werden, weil es keine ausreichenden Mengen gibt. Der Preis liegt in den letzten vier Jahren stabil bei etwa 350 Franken pro Kubikmeter.
Der Kohlenflüsterer
Name: Philipp Vögelin
Funktion: Projektentwickler Innovation bei IWB Industrielle Betriebe Basel
Ausbildung: Maschineningenieur, Dr. sc. ETH
Karriere: Akademischer Motorsportverein Zürich, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Energiesysteme ETH Zürich, Strategieentwickler bei IWB.
Das Unternehmen IWB steht für Energie, Wasser, Mobilität und Telekom. Als Dienstleister für erneuerbare Energie und Energieeffizienz ist es in der Region Basel und darüber hinaus führend.
Wie beliebt ist Pflanzenkohle bei landwirtschaftlichen Betrieben?
Für die breite Anwendung ist die Pflanzenkohle leider zu teuer. Das Ausbringen von Komposten oder Mist mit Pflanzenkohle wäre gut für den Boden, aber die Bäuerinnen und Bauern können ihre Gurken deshalb auch nicht teurer verkaufen. Darum müssen wir andere Wege finden.
Welche?
Eine Möglichkeit wäre, dass Lebensmittelhersteller oder -verteiler sagen, dass sie etwas für die Bodenqualität und die CO₂-Bilanz tun wollen und den landwirtschaftlichen Betrieben die Kohle finanzieren, um es dann durch einen kleinen Preisaufschlag bei den Konsumierenden wieder reinzuholen. Ein anderes Beispiel wäre eine Kaffeerösterei, die sich dafür einsetzt, die Treibhausgase der Kaffeeproduktion auszugleichen, indem sie den Aufwand trägt und dafür den Preis für die Konsumierenden leicht erhöht.
Gibt es Interessenten für den Bau weiterer Pflanzenkohleanlagen?
Gerade für Gemeinden ist Pflanzenkohle sehr attraktiv. Beispielsweise hat die Gemeinde Maisprach BL im letzten Frühjahr beschlossen, solch eine Anlage zu bauen. Sie will ihren Wärmeverbund ausbauen und wird die Abwärme der Pflanzenkohleanlage, die ja zudem CO₂-negativ ist, im eigenen Wärmenetz nutzen. Und die Kohle wird zur Bodenverbesserung eingesetzt.
Gibt es viele solche Projekte?
Drei bis fünf weitere Anlagen sind aktuell in der Planung. Solch ein Prozess ist allerdings sehr aufwendig.
Wie ist die Perspektive für die Kohle in den nächsten Jahren?
Meine Hoffnung ist, dass sowohl im kommunalen Gartenbau als auch in der Landwirtschaft der Einsatz massiv zunimmt, weil die Herstellung von Pflanzenkohle im Moment die effektivste CO₂-Minus-Technologie ist und die Kohle einen ökologischen Mehrwert für den Boden hat. Dazu müsste es deutlich mehr grosse Produzenten geben.
Neben der Einbringung in den Boden: Gibt es weitere Anwendungsfelder?
Ich sehe riesiges Potenzial der Pflanzenkohle für den Baustoffeinsatz, insbesondere als Zusatz von Strassenbelägen oder Zement. Dafür könnte man auch Biomasse verwenden, die belastet ist. Etwa Gärreste aus Biogasanlagen oder Papierfaserschlämme. Damit könnte man die CO₂-Bilanz von Strassenbelägen mit ein paar Prozent Kohle auf null bekommen.
Und falls es keine Abnehmer gibt, könnte man die Kohle auch wieder verfeuern?
Ja, das ginge. Aber dann ist der Prozess ja nur CO₂-neutral und nicht mehr CO₂-negativ.
Was passiert mit dem Grünschnitt, wenn er nicht verkohlt wird?
Der würde vermutlich kompostiert, zur Verfeuerung in Holzschnitzelheizungen oder grossen Holzkraftwerken eignet sich diese minderwertige Biomasse in der Regel nicht. Und wir haben gerade in unserer Region sowieso eher zu viel davon.
Könnten Sie die eingeschlossenen Mengen an CO₂ nicht auch als Zertifikate verkaufen?
Im Prinzip, ja. Aber zum einen sind die Preise dafür relativ niedrig. Und zum anderen besteht ja unser Konzept darin, dass wir auf einen CO₂-negativen Prozess zielen. Mit dem Verkauf von Zertifikaten wären wir zwar noch CO₂-neutral, aber eben nicht mehr negativ.