Amazon verzeichnete zwar 2020 ein Rekordjahr, aber seit zehn Monaten stagniert der Aktienkurs. Das hat einen Grund: Der Anteil von Amazon am boomenden US-E-Commerce-Markt ist von knapp 44 auf 31,4 Prozent zurückgegangen. Es sind nicht nur neue E-Commerce-Marktplätze, die mit unterschiedlichen Strategien gegenüber Amazon Boden gutmachen. Grosse Retailer wie Walmart und Target greifen Amazon dort an, wo das Unternehmen schwächelt: bei der Logistik und Distribution im grossen, weiten Land, abseits der urbanen Ballungszentren. Zusätzlich erleichtert Shopify mit seiner Software kleinen und mittleren Firmen, sich eine eigene Online-Verkaufsplattform aufzubauen. Und weil kaum jemand mit der schieren Grösse der Amazon-Logistikmaschine mithalten kann, verlegen sich die Konkurrenten auf kleinere Sortimente, die sie mit ihrer eigenen Logistik gut handhaben können.
Mitbesitz nicht zielführend
Unternehmen müssen sich in ihrer Absatzstrategie mit Marktplätzen auseinandersetzen. «Marktplätze sind als Bestandteil einer digitalen Vertriebsstrategie nicht mehr wegzudenken», sagt Alexandra Scherrer, CEO des auf E-Commerce spezialisierten Zürcher Beratungsunternehmens Carpathia. «Konkret bedeutet dies, dass Marktplätze in der Strategie berücksichtigt werden müssen, was aber auch bedeuten kann, dass bewusst dagegen entschieden wird, auf Marktplätzen zu verkaufen.» Wichtig sei auf jeden Fall, dass Anbieter sich überlegen, wie sie den grossen Vorteil von Marktplätzen, nämlich die Reichweite, für sich nutzen können, um beispielsweise neue Kundinnen und Kunden auf ihre Produkte aufmerksam zu machen. «Dabei müssen sie jedoch aufpassen, nicht in eine Abhängigkeit zu geraten», so Scherrer. «Wer auf Marktplätzen verkauft, muss sich bewusst sein, dass die Kunden weiterhin dem Marktplatz gehören, sie müssen erst zu eigenen Kundinnen gemacht werden.»
In den USA ist der Marktanteil von Amazon auf 31,4 Prozent gesunken.
Eine Strategie, insbesondere für Hersteller und Brands, könnte laut Scherrer so aussehen: Über den Marktplatz ein ausgewähltes Sortiment anbieten, auf dem eigenen Online-Shop jedoch das ganze Sortiment präsentieren sowie zusätzlich eine bessere Verfügbarkeit, bessere Preise und Services, mehrwertstiftende Features wie etwa einen Konfigurator und eine herausragende Beratung einbringen. «So macht man durch den Marktplatz eine breite Kundschaft auf die eigene Marke und die Produkte aufmerksam, lockt die Kundinnen und Kunden aber mit dem besseren Angebot auf die eigene Plattform und macht sie zu den eigenen», so Scherrer. «Über alle möglichen Kanäle zu verkaufen, halte ich für keine gute Idee, denn es könnte zu einer negativen Preisspirale führen.» Auch ein Mitbesitz an einem Marktplatz sei nicht unbedingt zielführend. «Nur durch eine Beteiligung bei einem Marktplatz werden die eigenen Absätze nicht erhöht», sagt Scherrer.
Auch der Aufbau eigener Marktplätze ist keine einfache Aufgabe. «Gerade im B2C-(Business-to-Consumer-)Bereich ist es schwierig, genügend Händler und vor allem Kunden auf den digitalen Marktplatz zu bringen», sagt Darius Zumstein, Dozent und Forscher im Bereich E-Commerce an der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. «Wissenschaftliche Studien zeigen, dass gerade lokale Marktplätze leider selten erfolgreich sind, weil sie nicht skalieren.» Im B2B-Bereich könnten Marktplätze laut Zumstein Sinn machen, vor allem wenn ein Unternehmen mit vielen Lieferanten und Geschäftskunden zusammenarbeitet und über ein grosses Sortiment verfügt.
Direktvertrieb hat grösstes Potenzial
«In einer Kooperation ist ein Marktplatz günstiger zu betreiben als im Alleingang. Gerade für KMU mit wenig Erfahrung und Know-how im Bereich Digital», so Zumstein. Eine sorgfältige Auswahl und ein strategisches Fit der Partner seien in diesem Fall wichtig. Das grösste Potenzial habe aber der Direktvertrieb. «Durch den Direktvertrieb werden die Zwischenhändler eliminiert, direkte Beziehungen zu den Endkunden aufgebaut und die eigene Marge erhöht», so Zumstein. «Immer mehr produzierende Unternehmen investieren in eigene Online-Shops und machen sich unabhängig, Corona hat diesen Trend nochmals klar verstärkt.»
Es gibt darüber hinaus weitere Möglichkeiten. «Eine gute Nischenstrategie mit klarer Differenzierung über das Sortiment, Produkte und vor allem Services werden für die meisten Unternehmen relevant», beobachtet Zumstein. «Nur so gelingt es, sich gegen die grossen Marktplätze wie Galaxus, Amazon oder Alibaba beziehungsweise Aliexpress abzugrenzen.»