Die Schweiz war früh dran. Mit dem «Crypto Valley» rund um die Stadt Zug sorgten wir weltweit für Aufmerksamkeit. Internationale Medien feierten uns als Vorzeigeland für Blockchain, Bitcoin und digitale Innovation. Und alt Bundesrat Johann Schneider-Ammann sagte es 2018 treffend: «Die Schweiz soll zur Kryptonation werden.» Eine Aussage, die ihrer Zeit voraus war – umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass sieben Jahre später Donald Trump ankündigt, Amerika zur «Crypto Capital» machen zu wollen. Was einst Schweizer Vision war, ist heute amerikanische Strategie.

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Der Autor:

Rino Borini, Unternehmer, Gründer von House of Satoshi und Finance 2.0, Studiengangsleiter HWZ Zürich

Und wir waren auf einem guten Weg. Bereits 2019 stattete die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) als erster Finanzregulator weltweit zwei Kryptobanken – Amina (damals noch Seba) und Sygnum – mit einer Bankenlizenz aus. Auch regulatorisch übernahm die Schweiz früh eine Vorreiterrolle: Mit der Einführung der DLT-Gesetzgebung im Jahr 2021 wurde erstmals weltweit ein umfassender Rechtsrahmen für Blockchain-basierte Vermögenswerte geschaffen – ein Balanceakt zwischen Innovationsförderung und Rechtssicherheit, der international Anerkennung fand.

 

Vom Vorbild zum Nachzügler

Doch diese Vorreiterrolle beginnt zu bröckeln. Der Henley Crypto Adoption Index zeigt es schwarz auf weiss: Nachdem die Schweiz 2023 noch auf Platz zwei rangiert hatte, stürzte sie 2024 auf Rang elf ab. Andere Länder nehmen Fahrt auf und hängen uns ab: Hongkong, die USA, die Vereinigten Arabischen Emirate, Singapur – selbst Thailand zieht vorbei. Währenddessen wird in der Schweiz beobachtet, diskutiert und reguliert. Und dabei fällt auf: Keine der führenden globalen Kryptoplattformen – Binance, Bybit, Bitget, Coinbase, Crypto.com, Kraken oder Bitfinex – hat einen Sitz in unserem Land. Stattdessen bevorzugen sie Standorte wie die USA, Dubai oder Singapur. Zwar beheimaten wir mit Ethereum eine der bedeutendsten Blockchain-Stiftungen weltweit, ebenso wie Cardano, Polkadot oder Solana. Doch diese Präsenz ist oft steuerlich motiviert – und nicht das Resultat eines aktiven Ökosystems, das Innovationen hervorbringt.

Ein breit anerkannter Swiss Stablecoin? Ebenfalls Fehlanzeige. Dabei wäre ein digitaler Franken, privatwirtschaftlich getragen und breit abgestützt, die logische Antwort auf eine Welt, in der programmierbares Geld zur Normalität wird. Effizienzgewinne und Skalierungseffekte, die Blockchain-Lösungen ermöglichen, lassen sich nur realisieren, wenn Transaktionen «on-chain» mit digitalem, programmierbarem Geld abgewickelt werden können. Umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, welche globale Bedeutung der Schweizer Franken als sicherer Hafen (Safe Haven) geniesst – ein digitales Abbild davon hätte enormes Potenzial.

 

KI ist der grösste Gamechanger unserer Zeit

Noch grösser wird das Potenzial, wenn man über den Stablecoin hinaus denkt – und ihn mit künstlicher Intelligenz (KI) kombiniert. Und besonders spannend wird es, wenn Stablecoins, KI und Blockchain zusammenkommen – etwa in Bereichen wie Machine-to-Machine Payments: KI-gesteuerte Systeme treffen Entscheidungen in Echtzeit und führen selbstständig Zahlungen über Blockchain-Netzwerke in Stablecoins aus. Die Zahlung erfolgt automatisiert, sobald eine Dienstleistung erbracht wurde – sicher, schnell und nachvollziehbar. Stablecoins dienen dabei als Treibstoff für automatisierte Geschäftsmodelle: Zahlungen, Kredite, Risikobewertung, Vertragsabwicklung – alles in Echtzeit. Wer heute diese Infrastruktur schafft – also digitale Zahlungswege, Datenräume und regulatorische Klarheit –, gestaltet morgen die Basis für eine neue Wirtschaft: automatisiert, global vernetzt und effizient.

 

Es gibt auch Lichtblicke

Doch es gibt Projekte, die zeigen, dass die Schweiz noch immer Weitsicht beweisen kann. Die SNB arbeitet mit der SIX und ausgewählten Banken an einem Wholesale CBDC – Projekt «Helvetia III» – zur Abwicklung von Finanzmarkttransaktionen. Auch der Schweizerische Bankenverband testet ein digitales Settlement-Asset für Franken. Die Substanz ist also da. Aber zwischen Proof of Concept und praktischer Umsetzung liegt eine gefährlich lange Strecke.

Und während wir uns Zeit lassen, beschleunigt der Rest der Welt. Die USA sprechen von «Crypto Capital», und Donald Trump geht noch weiter und kündigte an, Bitcoin in die nationale Reserve aufzunehmen – als digitales Pendant zu Gold. Denn Bitcoin ist längst kein Nischenthema mehr. Es ist grösser als der Silbermarkt. Wäre es ein Unternehmen, stünde es in den Top Ten der Welt. Es läuft seit 16 Jahren stabil, ohne CEO, ohne Zentrale, ohne Rettungsschirm. Nur Code, Vertrauen und ein globales Netzwerk. 

Auch hier könnte die Schweiz mitspielen. Warum nicht Bitcoin – wie im US-Vorbild – als strategische Währungsreserve prüfen? Vor 25 Jahren begann die SNB, Goldreserven im Wert von 21 Milliarden Franken zu verkaufen. Heute wären diese Reserven über 110 Milliarden wert. Eine Mahnung, langfristige Entwicklungen nicht zu unterschätzen. Bitcoin ist immer noch jung. Wer jetzt handelt, kann sich frühzeitig positionieren – als Land, das Stabilität mit Weitblick verbindet.

 

Was braucht es jetzt?

Erstens: einen klaren, innovationsfreundlichen Rahmen. Gründungen, Kooperationen, Geschäftsmodelle – sie alle brauchen Verlässlichkeit, Schnelligkeit und digitale Infrastrukturen. Und es braucht auch die Banken! Noch heute ist es für viele Kryptofirmen schwierig, ein voll funktionierendes Bankkonto zu bekommen. Zudem ist eine Regulierung erforderlich, die Geschäftsmodelle statt Technologien bewertet. Technologieneutral, pragmatisch, zukunftsoffen. Der Regulator soll ermöglichen, nicht verhindern. Und darüber hinaus braucht es den Mut, programmierbares Geld, Blockchain und KI-basierte Systeme nicht als Bedrohung zu sehen, sondern als strategische Chance.

Doch dazu sind Mut, Vorstellungskraft und Lust am Gestalten notwendig. Wer früh lernt, gestaltet mit. Wer zögert, verliert. Die Schweiz muss wieder mutiger werden. Blockchain, KI und digitales Geld sind keine Zukunftsmusik. Sie sind Realität. Und sie passieren jetzt.