Tokenisierung bedeutet, ich wandle digitale oder physische Vermögenswerte in «Tokens» um, oder?
Alexander Thoma (AT): Normalerweise wird bei der Tokenisierung nicht der Vermögenswert selbst in einen Token verwandelt. Vielmehr erstellt man über Smart Contracts auf einer Blockchain digitale Tokens. Diese Tokens stehen stellvertretend für echte oder digitale Güter wie Kunstwerke, Weinflaschen, Oldtimer oder Musikstücke. Ein Token verbrieft also ein Eigentumsrecht oder auch nur einen Anteil. Vereinfacht gesagt bedeutet dies, dass – wer einen Token besitzt – offiziell das Eigentum oder einen Anteil am jeweiligen Vermögenswert nachweisen kann.
Marianne Zentriegen ist Head Payment and Debit Solutions bei Postfinance.
Können Sie hier ein Beispiel geben?
Ein Beispiel ist ein KMU, dessen Aktien vollständig tokenisiert werden. In diesem Fall werden 50’000 Tokens erstellt, wobei jeder einzelne Token genau einer Aktie entspricht. Hier existieren keine physischen Aktien mehr, sondern das Eigentum an diesen Aktien ist ausschliesslich digital auf der Blockchain hinterlegt.
Welche Vorteile bietet die Tokenisierung?
AT: Grundsätzlich macht sie den Handel effizienter und dezentraler. Konkret bedeutet dies, dass neben den Käufern und Verkäuferinnen nicht zwingend ein Vermittler oder eine dritte Partei nötig ist. Dadurch können Transaktionskosten deutlich reduziert werden. Zudem gibt es keine Einschränkungen bei den Handelszeiten, da die Blockchain rund um die Uhr, 24/7, verfügbar ist.
Alexander Thoma ist als Lead Digital Asset bei der Postfinance verantwortlich für alle Themen und Projekte rund um die Digital Assets.
Wie sieht es mit der Transparenz und Sicherheit aus?
AT: Zu jeder Zeit ist klar ersichtlich, wer Eigentümerin eines Tokens und somit des jeweiligen Vermögenswertes ist. Darüber hinaus lassen sich Smart Contracts einsetzen, um vordefinierte Bedingungen automatisch zu erfüllen. Aber klar, es gibt bei der Tokenisierung auch Risiken. Ein bekanntes Risiko ist der Verlust des Private Keys, mit dem Tokens verwaltet werden. Geht dieser Schlüssel verloren, verliert der Besitzer den Zugang zu seinen Tokens. Auch Programmierfehler in Smart Contracts sind gefährlich, da Hacker diese ausnutzen können.
Welche Arten von Vermögenswerten können tokenisiert werden?
AT: Grundsätzlich lässt sich nahezu jeder Vermögenswert tokenisieren. Dies umfasst sowohl digitale Güter wie Musikstücke, Bilder oder Eigentumsrechte an Daten als auch physische Vermögenswerte wie Weinflaschen, Fahrzeuge, Kunstwerke oder sogar Immobilien. Ebenfalls möglich ist die Tokenisierung traditioneller Fiat-Währungen, beispielsweise des Schweizer Frankens. Prinzipiell eignet sich die Tokenisierung überall dort, wo Eigentumsrechte eindeutig und nachvollziehbar festgehalten werden sollen. Durch Tokenisierung können Transaktionen transparenter und effizienter werden, abhängig von der gewählten Blockchain.
Sie sprachen die Smart Contracts bereits an. Wie unterscheiden sie sich von traditionellen Verträgen?
AT: Ein Smart Contract ist ein Computerprogramm auf einer Blockchain, das automatisch Aktionen ausführt, sobald bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Ein Smart Contract ist ein reiner Programmcode. Beispielsweise könnte ein Smart Contract automatisch das Eigentum einer Immobilie übertragen, sobald das Geld des Käufers auf dem Konto des Verkäufers eingetroffen ist. Dabei können zusätzliche Bedingungen wie die Währung oder ein Zeitrahmen festgelegt werden.
Wo können sie effektiv genutzt werden? Welche Vorteile bieten sich Unternehmen?
AT: Smart Contracts können in vielen Bereichen eingesetzt werden. Ein interessantes Feld sind Micropayments. Ein Maschinenhersteller könnte seine Maschine vermieten und per Smart Contract jede Minute der Nutzung abrechnen. Sobald das Guthaben des Kunden aufgebraucht ist, stoppt die Maschine. Und geht es um die Lieferkettenüberwachung, lassen sich regelmässig, zum Beispiel jede Minute, Daten wie Standort oder Temperatur fälschungssicher über einen Smart Contract auf der Blockchain speichern.
Welche Risiken oder Herausforderungen sind mit Smart Contracts verbunden?
AT: Smart Contracts bergen Risiken durch Programmierfehler und Hacking. Nach der Veröffentlichung auf der Blockchain können sie nicht mehr geändert werden, daher lassen sich Fehler im Programmcode nicht nachträglich beheben. Sicherheitslücken können von Hackern ausgenutzt werden, um Vermögenswerte zu stehlen oder Daten zu manipulieren. Deswegen ist es unerlässlich, jeden Smart Contract vor der Veröffentlichung umfassend durch Spezialisten prüfen und auditieren zu lassen
Kommen wir zum digitalen Zentralbankgeld (CBDC). Auch hier fehlt vielen Menschen ein detaillierter Einblick.
Marianne Zentriegen (MZ): Central Bank Digital Currency oder CBDC ist eine digitale Form von Geld, die von einer Zentralbank herausgegeben wird. Im Gegensatz zu traditionellem Zentralbankengeld wie Banknoten und Münzen bieten CBDCs zahlreiche Vorteile: Sie können in digitalen Wallets verwaltet werden und ermöglichen schnelle, sichere Transaktionen, auch über Landesgrenzen hinweg. Zudem können sie mittels Smart Contracts Regelungen beinhalten, sodass Zahlungen erst ausgelöst werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, wie etwa der Wareneingang. Es gibt zwei Hauptarten von CBDC: Retail CBDC und Wholesale CBDC. Retail CBDC wird direkt an Bürgerinnen und Bürger herausgegeben, ähnlich wie Bargeld. Wholesale CBDC wird ausschliesslich für Transaktionen zwischen Banken verwendet.
Was soll mit der Einführung von CBDCs erreicht werden?
MZ: CBDCs sind ein neues Werkzeug für Zentralbanken. Das Hauptziel ist die Modernisierung der Zahlungsinfrastruktur. Diese Technologie ermöglicht schnellere, effizientere und kostengünstigere Transaktionen, besonders beim grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr. CBDCs tragen zur Erhöhung der finanziellen Inklusion bei. Menschen ohne Zugang zu Bankdienstleistungen können durch CBDCs einfacher am Finanzsystem teilnehmen. Dies könnte insbesondere in Entwicklungsländern wichtig sein, wo ein grosser Teil der Bevölkerung keinen Zugang zu traditionellen Bankdienstleistungen hat.
Wie werden sich CBDCs auf die Geldpolitik und Geldwirtschaft auswirken?
MZ: Sie werden die Effizienz und Sicherheit des Zahlungsverkehrs verbessern. Zusätzlich stellen sie ein neues Werkzeug für Zentralbanken dar. Richtig eingesetzt, können sie die Geldpolitik stärken und die Stabilität des gesamten Finanzsystems fördern. In falschen Händen können sie aber auch Schaden anrichten: Repressive Staaten könnten via CBDCs eine ausgedehnte Kontrolle über die Finanzströme der Bürgerinnen und Bürger erlangen und so die Privatsphäre stark einschränken.
Und wie sieht es mit den Herausforderungen und Risiken aus?
MZ: Eine grosse Herausforderung bei der Einführung von CBDCs ist die Erstellung der neuen Infrastruktur, die erhebliche Investitionen und technische Expertise erfordert. Die digitalen Plattformen müssen ein hohes Mass an Cybersicherheit bieten. Ausserdem sind klare regulatorische und rechtliche Rahmenbedingungen notwendig, besonders bei grenzüberschreitenden Transaktionen. CBDCs sind ein neues Instrument der Zentralbanken und müssen sorgfältig eingesetzt werden, um die Sicherheit und Stabilität des Bankensystems nicht zu gefährden.
Wie hängen Tokenisierung, Smart Contracts und CBDCs zusammen?
AT: Smart Contracts bilden die technologische Grundlage für die Tokenisierung. Ohne Smart Contracts wäre es gar nicht möglich, Vermögenswerte digital zu tokenisieren. Deshalb können sie als eine Art technologisches Fundament oder Grundbaustein betrachtet werden, auf dem sämtliche Tokenisierungsprojekte aufbauen. Die Tokenisierung ist also direkt abhängig von Smart Contracts.
MZ: In diesem Zusammenhang sind auch CBDCs zu verstehen: Sie sind letztlich nichts anderes als digitale Tokens, die mithilfe eines Smart Contracts erstellt und verwaltet werden.
Gibt es in der Schweiz noch Regulierungsfragen zu klären, um Tokenisierung, Smart Contracts und CBDCs erfolgreich zu implementieren?
AT: Die gibt es. Die Schweiz hat bereits 2021 mit der sogenannten DLT-Mantelverordnung eine gute Grundlage geschaffen. Jetzt geht es darum, diese Regeln noch konkreter auszugestalten, damit Innovationen wie die Tokenisierung von Vermögenswerten und Stablecoins erfolgreich umgesetzt werden können.
Wie sehen Sie beide die Zukunft der Finanzwelt mit der zunehmenden Anwendung dieser Technologien?
AT: Die Blockchain-Technologie, einschliesslich der Anwendung von Smart Contracts und Tokenisierung, bietet das Potenzial für enorme Effizienzsteigerungen. Gleichzeitig profitieren alle beteiligten Parteien von einer bislang unerreichten Transparenz bei Transaktionen. Besonders die Finanzbranche wird stark von dieser technologischen Entwicklung profitieren, da sie Prozesse kostengünstiger, schneller und effizienter gestalten kann.
MZ: Die Einführung von CBDCs wird die Zukunft der Finanzwelt massgeblich prägen. Besonders Wholesale CBDCs für Transaktionen zwischen Banken könnten die Effizienz und Sicherheit im Interbankenhandel steigern. Mit CBDCs könnten Banken Transaktionen in Echtzeit und kostengünstig abwickeln. Zudem könnten CBDCs innovative Finanzprodukte und -dienstleistungen ermöglichen, was den Finanzsektor weiter diversifizieren und stärken könnte. Die Einführung von CBDCs erfordert jedoch Zeit und sorgfältige Planung. Zentralbanken, Regulierungsbehörden und Finanzinstitute müssen zusammenarbeiten, um die Vorteile dieser Technologien voll auszuschöpfen und Risiken zu minimieren.