An der Klimakonferenz in Paris 2015 wurde ein globales Übereinkommen verabschiedet, welches erstmals alle ratifizierenden Staaten zur Reduktion der Treibhausgasemissionen verpflichtet. Es hat zum Ziel, die durchschnittliche globale Erwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, wobei ein maximaler Temperaturanstieg von 1,5 Grand Celsius angestrebt wird. Ebenfalls angestrebt wird eine Ausrichtung von staatlichen und privaten Finanzflüssen auf eine treibhausgasarme Entwicklung sowie eine Verbesserung der Anpassungsfähigkeit an ein verändertes Klima.
Die Schweiz will bis 2030 ihre Emissionen gegenüber 1990 um mindestens 50 Prozent reduzieren. Und bis 2050 will unser Land unter dem Strich gar keine Treibhausgasemissionen mehr ausstossen. Eine der Voraussetzungen für die Zielerreichung wäre das revidierte CO2-Gesetz gewesen, das letzten Sommer an der Urne gescheitert ist.
Mit diesem Nein hat die Schweiz kein messbares Verminderungsziel mehr, zudem liefen mehrere Klimaschutzinstrumente Ende 2021 aus oder bestehen nur noch befristet: Darunter die Möglichkeit für Schweizer Firmen, sich von der CO2-Abgabe zu befreien (befristet auf 2024)
Verminderungsziel trotz Pandemie verfehlt
Was bedeutet dies nun konkret? «Die Verpflichtung der Schweiz, die Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 1990 zu halbieren, kann dennoch eingehalten werden», heisst es von Seiten des Bundesamts für Umwelt BAFU. Allerdings müssten mehr Massnahmen im Ausland durchgeführt werden. Das sei möglich, denn das Übereinkommen von Paris sehe die Möglichkeit explizit vor, Verminderungen ausserhalb des eigenen Landes anzurechnen – entsprechende Regeln habe die Staatengemeinschaft an der Klimakonferenz in Glasgow 2021 beschlossen.
Allerdings bestehe dringend Handlungsbedarf: «Das Mitte veröffentlichte Treibhausgasinventar für das Jahr 2020 hat gezeigt, dass das gesetzliche Verminderungsziel von 20 Prozent verfehlt wurde. Die Emissionen lagen nur um 19 Prozent unter dem Wert von 1990, obwohl das Jahr 2020 aufgrund des pandemiebedingt geringeren Verkehrsaufkommens und des milden Winters ausserordentlich war», so das BAFU. Trotz geringerem Heizbedarf habe der Gebäudesektor sein Ziel verfehlt, und auch die Verkehrsemissionen seien nicht genügend zurückgegangen.
Mögliche Wege für die Absenkung der Treibhausgasemissionen in den Sektoren Verkehr, Gebäude, Industrie, Land- und Abfallwirtschaft zeigt die langfristige Klimastrategie des Bundesrats von 2021 auf: 90 Prozent der Emissionen können mit heute bereits bekannten und erprobten Technologien vermindert werden. Dazu gehören beispielsweise der Ersatz von Ölheizungen durch Wärmepumpen oder der Umstieg auf Elektrofahrzeuge. Bis 2050 sollen sowohl der Gebäude- als auch der Verkehrssektor CO2-frei sein.
Wie das BAFU erklärt, vermindert die vom Bundesrat Ende 2021 in die Vernehmlassung geschickte Revision des CO2-Gesetzes die Emissionen innerhalb der Schweiz um 33 Prozent, die restlichen Verminderungen sollen mit Klimaschutzprojekten im Ausland erbracht werden. Dafür bestehen Abkommen mit mehreren Staaten, darunter Peru, Ghana, Senegal, Vanuatu, Domenica und Georgien. Die im Jahr 2050 noch verbleibenden Emissionen müssen mit sogenannten Negativemissionstechnologien (NET), die CO2 aus der Luft abscheiden und dauerhaft speichern, ausgeglichen werden. Zurzeit sind NET allerdings erst im Stadium von Pilotanlagen.
«Staaten wie die Schweiz müssten schon deutlich vorher auf Netto Null kommen»
Lene Petersen, Senior Manager Climate and Business Markets bei WWF Schweiz
Wirkung der Wirtschaft
Weniger optimistisch fällt die Einschätzung des WWF aus: «Das Ziel von Paris ist global Netto-Null bis 2050, Staaten wie die Schweiz müssten dafür eigentlich schon deutlich vorher auf Netto Null kommen», sagt Lene Petersen, Senior Manager Climate and Business Markets bei WWF Schweiz.
Auf der Agenda der Wirtschaft scheinen die Klimaziele zumindest angekommen zu sein: «Es ist definitiv ein steigendes Interesse zu beobachten – die Ambitionen haben in letzter Zeit angezogen, das sieht man beispielsweise im exponentiellen Wachstum von Unternehmen, die sich der Science Based Targets Initiative anschliessen und sich wissenschaftsbasierte Ziele setzen, die sich an einem 1,5 Grad Celsius Absenkpfad orientieren», erklärt Petersen.
Damit befände sich zumindest einmal die Zielsetzung im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen. Unternehmen, die sich solche Ziele setzen, konsequent umsetzen und sich darüber hinaus für den Klimaschutz engagieren würden, seien Vorreiter. «Eine glaubwürdige und wirkungsvolle Klimastrategie ist mehr als ein Reduktionsziel», unterstreicht Petersen. Der WWF habe in einem auf Beginn der Paris-Ära publizierten Dokument Empfehlungen für unternehmerische Klimastrategien festgehalten.
Dies sind die Empfehlungen vom WWF Schweiz, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens umzusetzen:
- Unternehmen müssen sich wissenschaftsbasierte kurz- und langfristige (Netto-Null)-Ziele setzen. Unter anderem durch die Verbreitung der Science Based Target Initiative (SBTi) – hierzulande startete kürzlich eine Initiative von Go for Impact, die vom WWF und economiesuisse gemeinsam gefördert wird.
- Die konsequente Umsetzung der Ziele sowie die maximale Ausschöpfung des Reduktionspotenzials: Dies beinhaltet die Veränderung in der gesamten Wertschöpfungskette und häufig Anpassungen des Geschäftsmodells, übergreifende Initiativen und Projekte wie beispielsweise den Aufbau einer Beschaffungsplattform für nachhaltige (Vor)produkte, um eine Dekarbonisierung der Lieferketten zu fördern.
- Die Verantwortungsübernahme für verbleibende Emissionen und deren Schadenskosten auf dem Weg zu Netto Null, indem umfassend in Klimaschutz investiert wird – losgelöst von Carbon Credits.
- Aktive Advocacy für Klimaschutz auf allen Ebenen – politsch, innerhalb der Branche, im Verband, bei Lieferanten und Kunden.
- «Truth in claims»: Unternehmen müssen transparent kommunizieren und keine falschen oder irreführenden Claims verwenden (Stichwort ‹klimaneutral›).
Stand heute würden diese Empfehlungen allerdings von sehr wenigen Unternehmen umgesetzt. Ein gutes Beispiel sei die Swiss Re, die neben ihrem Commitment zu wissenschaftsbasierten Zielen die Abkehr von Kompensation hin zu Netto-Null, der Neutralisierung von Restemissionen und der Einführung von einem steigenden CO2-Preis über alle Scopes hinweg verfolge.
Auch die Swisscom habe bereits validierte wissenschaftsbasierte Ziele, helfe ihren Kunden, CO2 zu reduzieren und verpflichte sich, eine Einsparung von über 1 Million Tonnen CO2 bis 2025 zu ermöglichen. Auch Mammut habe ein validiertes, wissenschaftsbasiertes Ziel und setzte auf Kreislaufwirtschaft – beispielsweise, indem T-Shirts aus alten Kletterseilen hergestellt würden. Doch Petersen betont: «Klar ist – um die Ziele von Paris zu erreichen, müssen sämtliche Unternehmen mitziehen.»
Die Schweiz bis 2050 auf Netto Null zu bringen, sei machbar. Dies zeigten diverse Studien. Handlungsbedarf bestehe sofort: Sowohl die Wirtschaft als auch die Privathaushalte müssten ihre Emissionen rasch und kontinuierlich senken. «Wir befinden uns in der ‹Dekade des Handelns› und müssen schnell und entschlossen agieren», sagt Petersen.