Was hat Sie und Ihre Kolleginnen bewogen, mit Sallea eine eigene Firma zu gründen?
Uns war es immer wichtig, mit unserer guten Ausbildung auch etwas in der Welt und in der Gesellschaft zu bewirken. Zudem haben wir die Grundlage für eine innovative Lösung für ein globales Problem an der ETH in mehrjähriger Forschung entwickelt. Zu dieser Kombination kommt natürlich auch eine innere Motivation von allen Gründerinnen und dem gesamten Team, etwas selbst aufzubauen und sich dabei in verschiedensten Bereichen weiterzuentwickeln – sei es im Bereich Leadership, in den rechtlichen Aspekten einer Firmengründung oder im Patentwesen. Zu guter Letzt sind wir auch der Meinung, dass nachhaltige Lösungen eine breite Adoption bedürfen, um einen grossen, positiven Effekt zu zeigen. Dafür dürfen jedoch finanzielle Aspekte wie die Erschwinglichkeit nicht unterschätzt werden. Die Herausforderung und Möglichkeit, ein Produkt marktfähig zu machen und dabei auch noch etwas für unseren Planeten zu tun, wollten wir uns nicht entgehen lassen.
Sie bauen 3D-Drucker als Basis für das Kultivieren von Fleisch. Wie funktioniert das?
Der 3D-Druck ermöglicht es uns, Strukturen herzustellen, welche konventionell nicht gefertigt werden können. Dies trifft auch auf Gitterstrukturen zu, welche mit heutigen Herstellungsverfahren auf einfache Strukturen limitiert sind. Mit dem 3D-Druck können wir Designlimitierungen stark reduzieren und die Strukturen entsprechend auf die Anwendung optimieren.
Konkret?
Das bedeutet, dass wir dank dem 3D-Druck Gitterstrukturen, sogenannte Scaffolds, fertigen können, welche das Zellwachstum in dicke Stücke ermöglicht. Zellen auf konventionellen Scaffolds wachsen nur bis rund 2 bis 4 Millimeter Dicke in diese Scaffolds ein. Mit unseren können wir diesen Wert drei- bis fünfmal erhöhen. Damit fokussieren wir uns auf hochwertige Fleisch- und Fischstücke wie Steaks und Filets. Eine Schwierigkeit des 3D-Drucks ist die limitierte Materialauswahl. Wir bauen deshalb auf einem industriell üblichen Templating-Prozess auf, einem indirekten Druckprozess. Dabei wird ein wasserlösliches Material in eine negative Gussform gedruckt, welche anschliessend mit essbaren Materialien wie Pflanzenproteinen ausgegossen werden. Schlussendlich wird die Gussform mit Wasser weggewaschen und die poröse, essbare und dreidimensionale Gitterstruktur freigegeben.
Wie schmeckt eigentlich kultiviertes Fleisch?
Es ist dem traditionellen Fleisch sehr ähnlich, hat ein äquivalentes Nährstoffprofil und bringt den ganz natürlichen Fleischgeschmack mit sich, welcher direkt von den Zellen kommt.
Auch pflanzliche Ersatzprodukte kommen dem Original immer näher.
Na ja, während die Textur und das Nährstoffprofil von konventionellem Fleisch durch rein pflanzliche Ersatzprodukte mittlerweile gut imitiert werden können, bleibt es eine grosse Herausforderung, den Geschmack wirklich gut zu treffen.
Wie sieht es auf der Kostenseite aus?
Kultivierte Zellen sind noch relativ teuer. Deshalb arbeiten immer mehr Firmen an Hybridprodukten. Dabei werden Pflanzenproteine und Zellmasse in idealem Verhältnis gemischt, um sowohl Textur, Nährstoffprofil als auch den Geschmack bestmöglich an die Erwartungen der Konsumenten anzupassen.
Eine vor Jahresfrist publizierte Umfrage des GDI hat gezeigt, dass die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer «Laborfleisch» nicht probieren würde. Essgewohnheiten lassen sich offensichtlich nicht rasch ändern.
Eine Skepsis zeugt oft auch von fehlendem Wissen, eine Angst vor dem Unbekannten. Es ist deshalb verständlich, dass Konsumentinnen und Konsumenten diese neuen Produkte noch skeptisch sehen. Das gesamte Ökosystem – Sallea inklusive – ist deshalb gefordert, aufzuklären und den Herstellungsprozess transparent zu machen. Auch ist die Bezeichnung dieser neuen Produkte wegweisend.
«Laborfleisch» klingt in der Tat nicht gerade appetitlich …
Ja. Die Bezeichnung Laborfleisch hat sich in den ersten Schritten dieser neuen Technologie etabliert. Wie bei vielen Lebensmitteln wie Joghurt oder Brot wird auch heute noch in einem Labor Forschung betrieben. Mittlerweile sind wir aber schon einen guten Schritt weiter, die Technologie wird skaliert und ist einem Bierbrauprozess ähnlich.
Welchen Begriff ziehen Sie vor?
Der physiologische Begriff «kultiviertes Fleisch» oder auch «clean meat» beschreibt die neue Produktkategorie viel treffender und wird entsprechend auch vom Ökosystem breit verwendet.
Was planen Sie mit Sallea? Ich gehe davon aus, dass Sie sich international orientieren. Eigentlich müssten Sie in Singapur, den USA oder Israel aktiv sein …
Firmen, welche Fleisch und Fisch kultivieren, sind überall auf dem Globus verteilt. Entsprechend sind wir auch mit Sallea sehr international aufgestellt. Wir haben ein sehr gutes Netzwerk in Deutschland, den Niederlanden und England, aber auch in Israel, Singapur und in den USA. Für unsere Kunden, die das Fleisch kultivieren, sind diese Hotspots absolut relevant. In Singapur, USA, Israel und England sind erste kultivierte Produkte bereits zugelassen oder auf dem Markt. Sallea ist allerdings ein B2B-Unternehmen und wird Kultivierer weltweit beliefern.
Wo bleibt da die Schweiz?
Die Schweiz ist ein sehr guter Standort, denn sie bietet dank internationaler Konzerne viel Know-how und Erfahrung im Lebensmittelbereich. Ich denke da an Nestlé, Bühler oder Givaudan. Aber auch im Bereich Medizinaltechnik und Tissue Engineering. Kultiviertes Fleisch bewegt sich hier an einer spannenden Schnittstelle, da die benutzten Technologien oft aus der Medizinaltechnik kommen, die Endanwendung aber ein Lebensmittel ist. Zudem bietet die Schweiz sehr gut ausgebildete Talente, welche für uns als Startup essenziell sind. Dadurch sind wir in der Schweiz sehr gut aufgestellt, um von hier aus global zum wichtigsten Scaffold-Provider für die zelluläre Landwirtschaft zu werden.
Kürzlich haben Sie in einer Finanzierungsrunde 2,6 Millionen Dollar für die Weiterentwicklung von Sallea eingenommen. Wie ist es dazu gekommen?
Das war einerseits getrieben von den Ambitionen und Zielen, die wir Gründerinnen für Sallea teilen und anderseits durch die Komplexität der Sache. Wir forschen und entwickeln im Deep-Tech-Bereich, da ist der Weg bis zur ersten Vermarktung und zur Skalierung des Geschäfts typischerweise länger als in anderen Bereichen. Die Zusammenarbeit mit und die Finanzierung durch Risikokapitalfirmen ist deshalb ideal für uns, da wir so an unseren ambitionierten Wachstumszielen und der disruptiven Innovation arbeiten können.
Zur Person
Nicole Kleger (32) studierte Materialwissenschaften an der ETH Zürich und promovierte zum Thema 3D-Druck für poröse Materialien. Kürzlich wurde sie vom Female Innovation Forum (FIF) zur «Female Innovator of the Year» ausgezeichnet. Das Female Innovation Forum ist eines der grössten Ökosysteme für Gründerinnen und Jungunternehmerinnen und vernetzt die Startup-Welt im In- und Ausland miteinander. Als Hobbys gelten für Kleger Wandern, Radsport, Familie und Windsurfen.
Zur Firma
Das von Nicole Kleger, Anna Bünter und Simona Fehlmann Ende 2023 als Spin-off der ETH gegründete Zürcher Startup Sallea entwickelt mit 3D-Druck essbare Gerüste für die Kultivierung ganzer Stücke Fisch oder Fleisch.