Es ist immer noch neunzig Sekunden vor Mitternacht.» Mit dieser düsteren Standzeitbestimmung mahnte im Januar dieses Jahres wieder das «Bulletin of the Atomic Scientists», dass uns Menschen kaum Zeit verbleibt, um das drohende Ende der Welt noch abzuwenden. Seit 1947 führt das Bulletin eine Weltuntergangsuhr, deren Zeiger die Wahrscheinlichkeit einer menschgemachten globalen Katastrophe vermitteln sollen. Die Doomsday Clock, die alljährlich entsprechend der jeweiligen Bedrohungslage gestellt wird, zeigte anfangs nur die Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs an. Mittlerweile bezieht der verantwortliche Wissenschaftsrat aber auch klimatische, biologische und technologische Risiken in seine Gefahrenkalkulation mit ein. So wird die Uhr seit 78 Jahren vor- und zurückgestellt, je nachdem, wie sich der Gesundheitszustand der Welt entwickelt, die im fortgeschrittenen Stadium am Menschen krankt. Bei sieben Minuten beginnend, rückte der Minutenzeiger während des atomaren Wettrüstens zwischen den USA und der Sowjetunion bis auf zwei Minuten an die Mitternacht heran, entspannte sich aber am Ende des Kalten Krieges auf siebzehn Minuten. Derart viel Zeit wurde der Welt seither nie mehr zugestanden. Die Uhr wird heute nicht einmal mehr vollständig gezeigt. Man hat ihr rundes Zifferblatt auf die letzte Viertelstunde beschnitten – auf einen Viertelkreis der Hoffnungslosigkeit. Das Bulletin scheint den Glauben an die Abwendbarkeit der Katastrophe verloren zu haben. Angesichts einer Zeit, die kurz vor Mitternacht stillsteht, dürfen wir bestenfalls auf einen marginalen Aufschub des unausweichlichen Endes hoffen.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Doch das Bild einer auf die Endzeit zugeschnittenen Uhr ist unvollständig und verschärft vielleicht die Gefahr, die es doch eigentlich verhindern möchte. Es erzwingt nämlich die Erzählung einer dauernden Eskalation, der zuletzt noch die Zeit ausgeht, um ihrer Warnung den nötigen Nachdruck zu verleihen: Bleibt denn zwischen neunzig Sekunden und null mehr als Fatalismus? Dabei ist doch gerade das runde Zifferblatt, das den Lauf der Sonne nachvollzieht, ein Urbild der Hoffnung. Während Sanduhren, Wasseruhren und Kerzenuhren eine ablaufende Zeit präsentieren, gibt uns das Zifferblatt der Räderuhr die Zeit als eine zyklische zu verstehen. Jeder Schritt bedeutet Ende und Neuanfang zugleich. «Es ist noch nicht vorbei», erklärt die Hauptfigur in Béla Tarrs Film «Die werckmeisterschen Harmonien», nachdem er eine Gruppe müder, schwergliedriger Arbeiter eine Sonnenfinsternis hat tanzen lassen. Eine schreckliche Dunkelheit war über die Erde gekommen, und für einen kurzen Augenblick stand alles still. Doch dann kehrt hinter dem Schatten des Mondes das Licht der Sonne zurück, und die massigen Körper führen ihre kosmischen Drehungen fort, wieder und wieder und wieder …

Die Zeit selbst verändert sich mit den sie darstellenden Bildern. Im runden Zifferblatt erfahren wir die Zeit in ihrer Ewigkeit – einer ewigen Wiederkehr der Ängste, aber auch der Gewissheit, dass auf die dunkelste Stunde der Nacht die Morgendämmerung folgt.