Aller Unbill wie Ukraine-Krieg, Energieprobleme, Inflation und Pandemie zum Trotz: Krisenstimmung macht sich in der Schweizer Uhrenbranche entlang dem Jurabogen zwischen Genf und Schaffhausen keine breit. Weshalb auch? Nach der raschen Erholung vom Covid-Schock und einem Anstieg der Uhrenexporte auf über 22 Milliarden Franken im letzten Jahr versprechen die aktuellen Prognosen für A wie Audemars bis Z wie Zenith das nächste Halleluja. Begründet im aktuellen Zwischenzeugnis, der September-Statistik der Fédération de l’industrie horlogère suisse (FH), Biel: Nach drei Quartalen 2022 glänzt die Exportrangliste mit einem zweistelligen Plus von 12,6 Prozent gegenüber der vergleichbaren Vorjahresperiode. Das verspricht, passieren in den nächsten, bis Jahresende verbleibenden Wochen nicht noch ähnlich verrückte Sachen wie im Februar dieses Jahres, ein neues Allzeithoch. Also ein Exportvolumen um oder gar über 24 Milliarden Franken. Ausgerechnet in den heute schwierigen Zeiten, denen der Beipackzettel «Krise» angeheftet wird!
Klagen sind daher aus dem hinter der Pharma- und der Maschinenindustrie drittwichtigsten Exportzweig lediglich unterschwellig zu hören. Sie beziehen sich, wie überall in der Industrie, auf Preissteigerungen bei Rohstoffen und Energien, auf unsicher gewordene Lieferketten, auf zu reaktionsarme Zulieferer und auf fehlenden Personalnachwuchs. Stockende Absatzmärkte hingegen werden kaum thematisiert, selbst der Nachfrageeinbruch in den bis vor einem Jahr führenden Abnehmerländern China und Hongkong wird nur am Rand als Bremsklotz angeführt, allen voran von jenen Marken (wie etwa Omega), die bisher ihre Schwergewichte in Asien und dort vor allem in Festland-China hatten. Geografisch haben sich in den letzten zwölf Monaten die Schwerpunkte verschoben. Die USA haben die Leaderposition übernommen und werden diese nach Abschluss der Zwischenwahlen weiter festigen. Apropos China: Der weltweite Trend hin zu Smartwatches spielt dort den heimischen Anbietern in die Hände. Mithalten können die Schweizer Anbieter hier nicht.
Uhren aus zweiter Hand eine gute Alternative
Für Schlagzeilen in Zusammenhang mit den Swiss-made-Tickern sorgte seit Frühjahr das Geschäft mit dem Label Certified Pre-Owned, kurz CPO. Nach einem extremen Höhenflug zu Covid-Zeiten, ausgelöst durch die Flucht in Sach- und Luxuswerte, brach der Höhenflug der gebrauchten Uhren in den letzten fünf Monaten ein. Spektakuläre Blasen platzten, die Zinserhöhungen der Notenbanken entzogen den Märkten Liquidität, auch dem Uhrenmarkt. Mit Konsequenzen. Die Uhrenplattform Chronext, Zug, beispielsweise, zusammen mit dem deutschen Konkurrenten Chrono 24 Taktgeber für das CPO-Geschäft, musste einen Viertel der der Belegschaft, damit vierzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, entlassen. So schmerzhaft das für den einzelnen Betroffenen gewesen sein mag, so zutreffend stimmt die Bemerkung von Patrik Hoffmann, dem Geschäftsführer von Watchbox Europa. Er bezeichnet den gegenwärtigen Einbruch im CPO-Geschäft als «eine Normalisierung des Marktes» und macht den Querverweis auf den Aktienhandel.
Die Uhrenbranche reagiert auf den neuen Schwerpunkt. Kenner der Szene prophezeien, dass der globale Handel mit gebrauchten Uhren den Verkaufsumsatz neuer Uhren bald übersteigen wird. Nicht erst in zehn oder zwanzig Jahren, sondern wahrscheinlich ab 2025. Deshalb stellen zukunftsorientierte Firmen wie der weltgrösste Uhrenhändler Bucherer oder Rolex die Weichen gezielt Richtung CPO-Geschäft.