Was hat der TCS für Konzepte betreffend Mobilität der Zukunft?
Kurz gesagt: «Miteinander statt gegeneinander» und «Offenheit gegenüber neuen Technologien». Es bringt uns nichts, wenn der Individualverkehr, der Langsamverkehr und der ÖV gegeneinander ausgespielt werden. Wir müssen vermehrt alle Hauptträger der Verkehrsleistung integrieren sowie die Multimodalität fördern und zugänglicher machen. Und dann sollten neue Technologien schnell adoptiert werden. Während es beim ersten Punkt noch Verbesserungspotenzial gibt, ist die Schweiz beim zweiten Punkt bereits sehr weit. Beispielsweise werden wir ab 1. März eine sehr fortschrittliche Gesetzgebung für das autonome Fahren haben.
Jürg Wittwer ist seit 2016 Generaldirektor vom Touring Club Suisse (TCS), dem grössten Mobilitätsclub der Schweiz mit rund 1,6 Millionen Mitgliedern und 1'900 Mitarbeitenden. Zuvor war er unter anderem CEO der Mondial Assistance Schweiz sowie Leiter Distribution und Mitglied der Geschäftsleitung der Allianz Suisse.
Täglicher Stau in den Ballungsgebieten, Stau am Gotthard und so weiter. Wie kann der Individualverkehr effizienter und umweltverträglicher gestaltet werden?
A priori ist jede Form der Mobilität umweltschädlich. Auch ein Carbonrahmen für ein Velo hinterlässt einen ökologischen Fussabdruck. Ein voll beheiztes Tram, das in der Nacht stundenlang seine sechzig Tonnen ohne Passagiere beschleunigt und wieder abbremst, ist nicht «umweltfreundlich». Und schliesslich ist auch ein Elektroauto nur «umweltfreundlicher» als sein Pendant mit Verbrennungsmotor, aber deswegen noch lange nicht «unschädlich».
Gleichzeitig ist unsere Gesellschaft ohne Mobilität nicht überlebensfähig. Der Individualverkehr hat in den letzten Jahren sehr grosse Fortschritte in der Umweltverträglichkeit gemacht, kleine E-Flitzer und autonome Shuttles werden hier hoffentlich einen weiteren Quantensprung erlauben.
Ist der E-Antrieb die Lösung?
Genau genommen ist nicht der Elektroantrieb der Gamechanger, sondern die rasante Entwicklung der Batterietechnologie, sowohl bezüglich Energiedichte als auch hinsichtlich Preis und Umweltverträglichkeit. Gepaart mit der künstlichen Intelligenz wird der Elektroantrieb tatsächlich unsere Mobilität revolutionieren. Hierbei sollte man nicht nur an die Elektrifizierung des klassischen Autos denken.
Elektromobilität erlaubt völlig neuartige Fahrzeuge: von tragbaren Trendfahrzeugen über einplätzige Pods – halb Auto, halb Motorrad – und autonome Shuttles auf Abruf bis hin zu Taxidrohnen in der Luft.
Wenn Sie unbegrenzte Macht und Mittel hätten: Wie würden Sie die Mobilität der Zukunft gestalten?
Zuallererst würde ich die erzwungene Mobilität reduzieren. Dazu gehören der Arbeitsweg und die Wege zum Einkaufen, zum Arzt, zur Schule, zum Sportclub. Jeder und jede von uns würde es vorziehen, wenn diese Wege kürzer wären. Dafür braucht man jedoch tatsächlich unbegrenzte Macht und Mittel, da es sich vor allem um städteplanerische Massnahmen handelt. Das wäre meine erste Massnahme.
Als zweite Massnahme würde ich jedem Pendler, jeder Pendlerin einen kleinen Elektroflitzer kostenlos zur Verfügung stellen – und es würde mich freuen, wenn eine Universität erforscht, wo bei einer solchen Lösung das ökologische und ökonomische Optimum zur Ergänzung unseres grossen und oftmals ungenügend ausgelasteten ÖV liegt.
Der Modalsplit hat sich in der Schweiz während der letzten dreissig Jahre nicht bewegt – trotz teilweise massiven politischen Eingriffen und finanziellen Investitionen. Vielleicht braucht es wirklich neue und innovative Ansätze. Mir ist Kreativität lieber als Zwangsmassnahmen.