Als James Bond, verkörpert durch Pierce Brosnan, in der Eröffnungssequenz von «Golden Eye» die 220 Meter von der Verzasca-Staumauer im Tessin sprang, flog er an den erwähnenswerten Innovationen glatt vorbei: Bogenstaumauern wie diese werden durch Sensoren laufend überwacht. Auch die Zuflüsse spielen dabei eine wichtige Rolle. Das junge Unternehmen Rain Alert beispielsweise sammelt die Niederschlagsdaten von bestimmten Wassereinzugsgebieten, um dann Warnungen auszulösen: an Wasseraufbereitungsanlagen, wenn die Trinkwasserqualität gefährdet ist, und auch an Kraftwerke. Denn mit Hochwasser gelangt auch mehr Material in die Seen und Gewässer.
Sediment im Getriebe gewünscht
Das sogenannte Sedimentmanagement ist ein zentrales Thema, mit dem man sich laut Sprecherin Kathrin Röck bei Voith Hydro, einem der wichtigen Turbinenhersteller, beschäftigt. «Während der Transport von Sedimenten durch die Turbinen früher ein No-Go war, haben wir nun ein System entwickelt, mit dem ein kontinuierlicher, quasi natürlicher Sedimenttransport in vordefinierten Mengen durch die Turbinen flussabwärts ermöglicht wird.»
Von einem vollautomatisierten Boot aus werden Sedimente vom Grund angesaugt und niedrig konzentriert über eine Leitung zum Wasserkraftwerk transportiert. «Die Menge der durch die Turbinen beförderten Feststoffe wird sorgfältig an das jeweilige Wasserkraftwerk und seine Umgebung angepasst», erklärt Röck weiter. «Dadurch werden Schäden an den Turbinen und unnötige Betriebsunterbrechungen vermieden.»
Konventionelle Methoden zur sogenannten Entlandung von Sedimenten wie etwa Ausbaggerungen oder Spülungen sind vergleichsweise teuer, ineffizient und aufwendig. «Das Thema ist vor allem in Gebirgsregionen äusserst relevant», so Röck. Weitere Hersteller haben Softwaresysteme entwickelt, mit denen sich Schäden an den Anlagen und Turbinen rechtzeitig erkennen und sich Wartungsunterbrechungen planen lassen. Bei Andritz Hydro zum Beispiel verweist man auf die selbst entwickelte Metris-Diomera-Plattform für den Betrieb und die Wartung ganzer Wasserkraftwerke. Solche Software schliesst auch eine konstante Risikoerfassung, Echtzeitdaten und Trendanalysen ein.
Die Digitalisierung der Wasserkraft vollzieht sich rasant: Branchenspezialisten und -spezialistinnen arbeiten an Softwarelösungen mit Digital Twins, womit sich Planungen, Betrieb, Anpassungen und Umbauten von Anlagen von der Gebäudehülle bis hinunter zum einzelnen Ventil einfacher bewerkstelligen lassen.
Was grosse Energieunternehmen nicht von ihren Lieferanten beziehen können, entwickeln sie selber. «Die Anwendungen für die Analyse der Kraftwerkbetriebsdaten hinsichtlich Abnutzung und Revisionsbedarf und die optimierte Abstellungsplanung sind Eigenentwicklungen der Axpo», erklärt Axpo-Sprecher Noël Graber. «Weitere Anwendungen wie elektronische Dokumentation oder mobile Instandhaltung oder auch die App zur Staumauerüberwachung entwickeln wir gemeinsam mit unseren Softwarepartnern. Wieder andere Anwendungen beziehen wir quasi von der Stange und konfigurieren sie dann so, dass sie in der Wasserkraft einsetzbar sind.»
Erst am Anfang der Reise
Ein grosses aktuelles Thema bei der Axpo ist die Unterstützung von visuellen Inspektionen mittels automatisierter Bilderfassung mithilfe von autonomen Drohnen, Robotern, Booten, Klein-U-Booten sowie der KI-unterstützten Bildanalyse. «Dazu haben wir unter dem Titel «robotics@hydro» ein Pilotprojekt gestartet, das Erkenntnisse zur Frage liefern soll, welche Anwendungen wir gewinnbringend einsetzen können», sagt Graber.
«Mittelfristig führen die Anwendungen mobile Instandhaltung und elektronische Dokumentation zu einer effizienteren Arbeitsweise und zu formalisiertem Anlagenwissen in den Systemen. Das wird uns helfen, den Fachkräftemangel und die Pensionierungswelle der Babyboomergeneration abzufedern», erläutert Graber.
Langfristig werde die Axpo über die Datenanalyse mit «Predictive Maintenance» in die Lage versetzt, die Anlagen so lange wie möglich unter kontrolliertem Risiko zu nutzen. «Mit diesem Wissen können wir die Investitionen in unseren Anlagenpark optimieren», so Graber. «Unser aktuelles Portfolio an digitalen Lösungen für die Wasserkraft ist also erst der Anfang einer grossen Reise.»