Welches sind potenzielle Arbeitgeber? Diese Frage stellte sich Michelle Velvart gegen Ende ihres Masterstudiums in Maschinenbau an der ETH. «An den Jobmessen der ETH informierte ich mich und knüpfte erste Kontakte mit Firmen», erzählt die heute 28-Jährige.
Richtig auf die Jobsuche habe sie sich aber erst nach den bestandenen Prüfungen gemacht. «Meine grösste Herausforderung war, herauszufinden, in welche Richtung ich will», sagt Michelle Velvart. «Ich habe daher mit allen möglichen Leuten geredet und Ideen und Erfahrungsberichte gesammelt. Gleichzeitig überlegte ich mir, welche Thematiken mich interessieren und was für mich wichtig ist.» So standen auf ihrer Liste etwa Mikro- und Nanosysteme, Energietechnik, Nachhaltigkeit, ein kollegiales Umfeld und ein gutes Team.
Velvart nutzte die verschiedenen Vorstellungsgespräche, zu denen sie eingeladen wurde, um mehr über den jeweiligen Arbeitsalltag und die Firmenkultur zu erfahren. «Ich merkte gut, ob ein Unternehmen und ich zusammenpassen.» Zusammengepasst haben schliesslich Velvart und Sensirion, wo Velvart seit Februar 2022 als Junior-Entwicklungsingenieurin arbeitet.
Eigeninitiative ist gefordert
Sensirion, 1998 als Spin-off der ETH Zürich entstanden und im Bereich Sensortechnologie tätig, besetzt rund 80 Prozent der offenen Stellen mit Hochschulabsolvierenden. «Im Jahr 2022 haben wir vierzig Absolventen und Absolventinnen, vorwiegend von der ETH, rekrutiert», sagt Désirée Widmer, HR-Business-Partner bei Sensirion. Widmer ist überzeugt, dass der Einstieg in den Arbeitsmarkt für Hochschulabsolvierende, besonders für Ingenieure und Ingenieurinnen, nicht schwierig ist, sofern sie sich darum bemühen. «Ich stelle jedoch fest, dass junge Erwachsene eher eine Konsumhaltung haben und warten, bis sie angesprochen werden. Wer aber einen guten Job will, braucht Eigeninitiative – auch später im Job.»
Die Fachfrau nennt weitere Rekrutierungskriterien, auf die sie achtet: «Die Bewerbenden müssen interessierte, motivierte und engagierte Leute sein, die vernetzt denken und bereit sind, sich aus ihrer Komfortzone zu bewegen.» Es gelte «Potenzial vor Erfahrung»: «Wir legen grossen Wert auf den Cultural Fit, die passenden Leute und auf weiche Faktoren wie Teamfähigkeit und die Lust, etwas mitzugestalten. Alles andere ist lernbar.» Die Noten und das Thema der Abschlussarbeit werden ebenfalls hinzugezogen, wobei auch aussercurriculare Aktivitäten, soziales Engagement und Auslandserfahrungen einen positiven ersten Eindruck bestärken.
Auf die häufige Frage, wie wichtig Praktika während des Studiums seien, antwortet Widmer: «Sie sind keine zwingende Voraussetzung, um für ein Bewerbungsgespräch bei uns eingeladen zu werden, aber von Vorteil für die Bewerbenden.» Velvart, die während ihres Studiums verschiedene Praktika absolviert hat, kennt die Vorteile: «Ich erhielt Einblick in die Abläufe der Wirtschaft, lernte abzuschätzen, welche Arbeit mir zusagt, und mich durchzubeissen. Die Praktika waren für mich sehr wertvoll, ich habe fachlich und menschlich profitiert.»
Absolvierende sollten den Mut haben, ihre Ziele konsequent zu verfolgen.
Herausforderungen im Berufsalltag
Trotz der praktischen Erfahrungen war der Wechsel von der Hochschule in die Industrie eine Herausforderung für Velvart: «Die grösste Umstellung war, in einem Team zu arbeiten und gemeinsam ein Ziel zu verfolgen. Ich lernte dadurch eine neue Art der Verantwortung kennen. Als Studentin betrifft es nur mich, wenn ich eine Prüfung nicht bestehe. In der Teamarbeit sind alle am Erfolg oder Misserfolg beteiligt.»
Velvart fand ihre neue Rolle, das andere Umfeld und die vielen Informationen zu Beginn herausfordernd, aber auch motivierend. In den ersten drei Monaten gibt es bei Sensirion ein breitgefächertes Onboarding-Programm, wie Widmer erläutert. Die Berufseinsteigenden lernen alle Bereiche des Unternehmens kennen und erhalten Informationen zu den Prozessen und zur Kultur der Firma. Zusätzlich hat jede Abteilung spezifische Einführungsprogramme. «Das dreimonatige Onboarding-Programm läuft neben der regulären Arbeit und ist kein Training, bevor die Neuen arbeiten dürfen», sagt Widmer. «Im Gegenteil: Wir praktizieren den Sprung ins kalte Wasser. Wir wollen, dass die jungen Leute sofort arbeiten und direkt Verantwortung übernehmen.» Es stünden aber viele Rettungsschwimmerinnen und -schwimmer bereit, stellt Widmer klar und nennt als Beispiel das «Götti»-System, bei dem jeder Einsteiger eine erfahrene Mitarbeiterin als Ansprechpartnerin erhält.
Ausserdem dürfen alle Mitarbeitenden die internen Schulungen an der Sensirion Academy nutzen. Velvart hat sich dort beispielsweise zum Thema «Meetings effizient gestalten» weitergebildet. «Wir bieten viel Unterstützung in den ersten Monaten», sagt Widmer. «Wir erwarten jedoch, dass sich die Leute ein Netzwerk aufbauen und wissen, wer für welches Thema zuständig ist.»
Dank Learning by doing und der offenen und unterstützenden Firmenkultur habe sie enorm viel gelernt in den ersten Monaten, sagt Michelle Velvart. «Von der ETH habe ich die Basis und den Werkzeugkasten mitbekommen und mich in Ausdauer geübt. Das nützt mir nun bei meiner Arbeit.» Velvart ist mit ihrem Berufseinstieg zufrieden, ihre Kriterien haben sich «mehr als erfüllt». Nur eines würde sie anders machen: «Ich habe nach dem Studium mein Können manchmal zu sehr hinterfragt und liess mich einschüchtern, wenn es hiess, man habe zu wenig Erfahrung.» Aus heutiger Sicht rät Velvart: «Absolventen und Absolventinnen sollten den Mut haben, sich nicht von Unsicherheiten leiten zu lassen, sondern an ihre Fähigkeiten zu glauben und ihre Ziele konsequent zu verfolgen.»